Beobachter


Beobachter. Wandel der Zeiten! Ehedem hieß es einfach: Die besten Klaviere bei Kohn. Jetzt ist die Annonce sensibel geworden: »Das Klavier ist das adeligste Instrument .... Edle Klaviermusik ist sozusagen immer: Musik, einige tausend Meter über'm Meeresspiegel .... Die Klaviere, die man jetzt bei Kohn vereinigt sieht, sind aristokratischste Vertreter ihrer Rassen«. Natürlich gibt's auch »eine unendliche Fülle latenter Musik«. Früher war das Inseratengeschäft ein offenes; jetzt ist es »latent«. Die Feuilletonisten müssen ihre schönsten Bilder, Nuancen und Beobachtungen daran wenden. Ehedem hieß es einfach: Preis eines Bösendorfer-Klaviers 2000 Gulden. Jetzt: »Zweitausend Gulden kostet solch ein Instrument, dessen Äußeres, dessen langgestreckter, aristokratisch-schlanker Leib, dessen ganze Maßen- und Größenverhältnisse schon Harmonie atmen. Der Normalbürger wird kaum zweitausend Gulden für ein Klavier seinem Budget abpressen können. Aber man geht mit ziemlicher Unlust und Unzufriedenheit an den kleinen 'überspielten' Stutzflügel, der das häusliche Musikinstrumentar repräsentiert, wenn man einmal aus einem solchen Wunderkasten das Meer von Wohlklang heraufschwellen hörte, das zwischen seinen schwarzen Holzwinden eingefangen ist.« — Das ist wahrscheinlich alles richtig, und es ist wohl auch in Ordnung, dass Klaviere literarisch gewürdigt werden. Nur wäre strenge darauf zu achten, dass, wenn sich ein Psycholog von einem Klavier angeregt fühlt, die Anregung der Administration durch die Firma unterbleibe.

 

 

Nr. 199, VII. Jahr

23. März 1906


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