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III. [Der Wert physischer Leistung auf den der psychischen Leistung reduzierbar]

 

Nun erscheint aber der Gedanke, daß die Werthöhen der geistigen Leistung sich proportional den Werten der Unterhaltsmittel verhalten sollten, völlig paradox, ja unsinnig. Dennoch lohnt es, die Punkte aufzusuchen, in denen sich die Wirklichkeit ihm wenigstens nähert, weil diese tief in die inneren und kulturellen Beziehungen geistiger Werte zu ihren wirtschaftlichen Bedingungen und Äquivalenten hinabreichen. Wir haben uns wohl vorzustellen, daß im Gehirn, als dem Gipfelpunkt der organischen Entwicklung, ein sehr großes Maß von Spannkräften aufgespeichert liegt. Das Gehirn ist offenbar imstande, eine große Kraftsumme abzugeben, woraus sich unter anderem die erstaunliche Leistungsfähigkeit schwacher Muskeln erklärt, die sie auf psychische Reize hin entfalten können. Auch die große Erschöpfung des ganzen Organismus nach geistigen Arbeiten oder Alterationen weist darauf hin, daß die psychische Tätigkeit, von der Seite ihres physischen Korrelats her angesehen, sehr viel organische Kraft verbraucht. Der Ersatz dieser Kraft ist nun nicht nur durch ein bloßes Mehr derjenigen Unterhaltsmittel, die der Muskelarbeiter braucht, zu erzielen; denn die Aufnahmefähigkeit des Körpers ist in Hinsicht auf das Quantum von Ernährung ziemlich eng begrenzt und bei überwiegend geistiger Arbeit eher herunter- als heraufgesetzt. Deshalb kann der Kraftersatz ebenso wie die erforderliche nervöse Anregung bei geistiger Arbeit in der Regel nur durch eine Konzentrierung, Verfeinerung, individuelle Angepaßtheit des Lebensunterhaltes und der allgemeinen Lebensbedingungen geleistet werden. Zwei kulturhistorisch bedeutsame Momente werden hier wichtig. Unsere täglichen Nahrungsmittel sind in einer Periode erwählt und ausgebildet worden. In der die übrigen Lebensbedingungen von den heutigen der intellektuellen Stände sehr abwichen, in der Muskelarbeit und frische Luft gegenüber der Nervenanspannung und der sitzenden Lebensweise dominierten. Die zahllosen, direkten und indirekten Verdauungskrankheiten einerseits, das hastige Suchen nach konzentrierten und leicht assimilierbaren Nährmitteln andrerseits verkünden, daß die Anpassung zwischen unserer körperlichen Verfassung und unseren Nahrungsstoffen in weitem Umfang unterbrochen ist. Aus dieser ganz allgemeinen Beobachtung ist ersichtlich, mit wie großem Rechte für Menschen sehr differenzierter Berufe auch differenzierte Ernährung gefordert wird, und daß es nicht nur Sache der Zungenkultur, sondern der Volksgesundheit ist, dem höchstentwickelten Arbeiter die Mittel zu einer übernormalen, verfeinerten und durch persönliche Ansprüche bestimmten Ernährung zu gewähren. Wesentlicher aber und zugleich verborgener ist der Umstand, daß die geistige Arbeit ihre Vorbedingungen weit mehr in die Gesamtheit des Lebens hin erstreckt und von einer viel weiteren Peripherie mittelbarer Beziehungen umgeben ist, als die körperliche. Die Umsetzung der körperlichen Kraft in Arbeit kann sozusagen unmittelbar geschehen, während die geistigen Spannkräfte ihre volle Arbeit im allgemeinen nur leisten können, wenn, weit über ihr unmittelbar-aktuelles Milieu hinaus, das ganze komplizierte System der körperlich-geistigen Stimmungen, Eindrücke, Anregungen sich in einer bestimmten Organisiertheit, Tönung, Proportion von Ruhe und Bewegtheit befindet. Selbst unter denjenigen, die Geistes- und Muskelarbeit prinzipiell nivellieren wollen, ist es deshalb schon ein trivialer Satz, daß die höhere Entlohnung des geistigen Arbeiters durch die physiologischen Bedingungen seiner Tätigkeit gerechtfertigt werde.

In diesem Zusammenhang wird verständlich, daß der moderne geistige Mensch so viel mehr von seinem Milieu abhängig zu sein scheint, als der frühere Mensch, und zwar nicht in dem Sinn, daß er bildsamer, qualitativ bestimmbarer ist, sondern gerade so, daß die Entwicklung seiner spezifischen Kräfte, seiner innerlichen Produktivität, seiner persönlichen Eigenart nicht ohne besonders günstige, ihm individuell angepaßte Lebensbedingungen möglich ist. Die unglaublich bescheidenen Verhältnisse, unter denen früher oft ein höchstes geistiges Leben sich entfaltete, wären für die überwiegende Mehrzahl der heutigen geistigen Arbeiter von vornherein erdrückend, diese würden in ihnen nicht die Begünstigungen und Anregungen finden, die sie - manchmal jeder anders als der andere - gerade für ihre individuelle Produktion brauchen. Das kann jedem Epikureismus völlig fern liegen, und geht, als reale Bedingung der Leistung, vielleicht einerseits aus der gewachsenen Reizbarkeit und Schwäche des Nervensystems, andrerseits aus der zugespitzten Individualisiertheit hervor, die auf jene einfachen, d.h. typisch-generellen Lebensreize nicht reagieren kann, sondern sich nur auf entsprechend individualisierte hin entfaltet. Wenn die neueste Zeit die historische Milieu-Theorie aufs entschiedenste durchgeführt hat, so dürften wohl auch hier reale Verhältnisse durch ihre Exaggerierung eines Elementes uns den Blick für dessen Wirksamkeit auch auf Stufen seiner geringeren Entwicklung geöffnet haben - gerade wie die in Wirklichkeit gestiegene Bedeutung der Massen im 19. Jahrhundert erst die Veranlassung geworden ist, sich ihrer Bedeutung auch in allen früheren Epochen wissenschaftlich bewußt zu werden. Insoweit diese Verhältnisse gelten, besteht also wirklich eine gewisse Proportion zwischen den Werten, die wir konsumieren, und denen, die wir produzieren, d.h. die letzteren, als geistige Leistungen, sind Funktionen der Muskelleistungen, die in den ersteren investiert sind.

 


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