III. [Der Wert physischer Leistung auf den der psychischen Leistung reduzierbar]
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Allein diese mögliche Reduktion geistiger auf Muskelarbeitswerte findet von verschiedenen Seiten her eine sehr frühe Grenze. Jene Proportion ist nämlich zunächst nicht umkehrbar. Zu bestimmten Leistungen gehören allerdings sehr erhebliche personale Aufwendungen, aber diese ihrerseits erzeugen keineswegs überall jene Leistungen: der Unbegabte, in noch so günstige und verfeinerte Lebensbedingungen versetzt, wird dennoch niemals dasjenige leisten, wozu ebendieselben den Begabten anregen. Die Reihe der Produkte könnte also nur dann eine stetige Funktion der Reihe der Aufwendungen sein, wenn die letzteren genau im Verhältnis der natürlichen personalen Begabungen erfolgten. Allein das Unmögliche selbst angenommen, daß die letzteren sich exakt feststellen ließen und eine ideale Anpassung, nach dieser Feststellung die Unterhaltsmittel genau bemessend, die Leistungshöhen zum Index der letzteren machen wollte, so würde dies Unternehmen seine Grenze immer an der Ungleichmäßigkeit der Unterhaltsbedingungen finden, die selbst zwischen den zu gleichen Leistungen qualifizierten Persönlichkeiten besteht. Hier liegt eines der großen Hemmnisse sozialer Gerechtigkeit. So sicher nämlich im allgemeinen die höhere, geistige Leistung auch höhere Lebensbedingungen fordert, so sind doch die menschlichen Beanlagungen gerade in den Ansprüchen, die die Entfaltung ihrer höchsten Kräfte stellt, äußerst ungleichmäßig. Von zwei Naturen, die zu der objektiv gleichen Leistung befähigt sind, wird die eine zur Verwirklichung dieser Möglichkeit ein - der Höhe nach - ganz andres Milieu, ganz andre materielle Vorbedingungen, ganz andre Anregungen nötig haben, als die zweite. Diese Tatsache, die zwischen den Idealen der Gleichheit, der Gerechtigkeit und der Maximisierung der Leistungen eine unversöhnliche Disharmonie stiftet, ist noch keineswegs genügend beachtet. Die Verschiedenheit unserer physisch-psychischen Strukturen, der Verhältnisse zwischen zweckmäßigen und hemmenden Energien, der Wechselwirkungen zwischen Intellekt und Willenscharakter bewirkt, daß die Leistung, als Produkt der Persönlichkeit und ihrer Lebensbedingungen, in der ersteren einen höchst inkonstanten Faktor findet; so daß, um das gleiche Resultat zu ergeben, auch der andere Faktor entsprechend große Variierungen erleiden muß. Und zwar scheint es, als ob diese Abweichungen der Naturelle in bezug auf die Verwirklichungsbedingungen ihrer inneren Möglichkeiten um so erheblichere wären, je höher, komplizierter und geistiger das Leistungsgebiet ist. Die Personen, die überhaupt die Muskelkraft zu einer bestimmten Arbeit haben, werden für deren Ausführung so ziemlich der gleichen Ernährung und allgemeinen Lebenshaltung bedürfen; wo aber führende, gelehrte, künstlerische Tätigkeiten in Frage stehen, wird die oben bezeichnete Verschiedenheit zwischen denen, die schließlich alle das gleiche leisten könnten, bedeutsam hervortreten.
Die persönliche Begabung ist so variabler Art, daß die gleichen äußeren Umstände, auf sie einwirkend, die allerverschiedensten Endresultate zeitigen, und dadurch bei dem Vergleich von Individuum mit Individuum jede Wertproportion zwischen den materiellen Unterhaltsbedingungen und den darauf gebauten psychischen Leistungen völlig illusorisch wird. Nur wo große historische Epochen oder ganze Bevölkerungsklassen in ihrem Durchschnitt miteinander verglichen werden, mögen die relativen Höhen der physisch beschaffbaren Bedingungen dasselbe Verhältnis wie die der psychischen Leistungen zeigen. So kann man z.B. beobachten, daß bei sehr niedrigen Preisen der notwendigen Nahrungsmittel die Kultur im ganzen nur langsam fortschreitet, also die Luxusartikel, in denen eine erheblichere geistige Arbeit investiert ist, außerordentlich teuer sind; wogegen die Preiserhöhung jener ersteren mit einer Preiserniedrigung und weiteren Verbreitung der letzteren Hand in Hand zu gehen pflegt. Für niedere Kulturen ist es charakteristisch, daß der unentbehrliche Unterhalt sehr billig, die höhere Lebenshaltung dagegen sehr teuer ist, wie etwa noch jetzt in Rußland im Verhältnis zu Zentraleuropa. Die Billigkeit von Brot, Fleisch und Wohnung läßt es einerseits zu dem Druck nicht kommen, der den Arbeiter zur Erkämpfung höherer Löhne zwingt, die Teuerung der Luxusartikel andrerseits rückt ihm diese ganz außer Sehweite und verhindert ihre Ausbreitung. Erst die Verteuerung des ursprünglich Billigen und die Verbilligung des ursprünglich Teuren - deren Zusammenhang ich schon oben hervorhob - bedeutet und bewirkt ein Aufsteigen der geistigen Betätigungen. Unter all der ungeheuren Inkommensurabilität im einzelnen verraten diese Proportionen dennoch eine allgemeine, in jenen Einzelheiten dennoch wirksame Beziehung von physischer und psychischer Arbeit, die das Wertmaß der letzteren durch die erstere auszudrücken wohl gestatten würde, wenn ihre Wirksamkeit nicht durch die soviel stärkere der individuellen Begabungsunterschiede übertönt würde.
Endlich gibt es einen dritten Standpunkt, von dem aus die Reduktion alles Arbeitswertes auf den Wert der Muskelarbeit ihres rohen und plebejischen Charakters entkleidet wird. Sehen wir nämlich genauer zu, woraufhin denn eigentlich die Muskelarbeit als Wert und Aufwand gilt, so ergibt sich, daß dies gar nicht die rein physische Kraftleistung ist. Ich meine damit nicht das schon Erwähnte, daß diese überhaupt ohne eine gewisse intellektuelle Dirigierung ganz nutzlos für die menschlichen Zwecke wäre, in welcher Hinsicht aber das psychische Element ein bloßer Wertbeisatz bleibt; der eigentliche Wert könnte dabei doch immer in dem rein Physischen bestehen, nur daß dasselbe, um die erforderliche Richtung zu bekommen, jenes Zusatzes bedürfte. Ich meine vielmehr, daß die physische Arbeit ihren ganzen Ton von Wert und Kostbarkeit nur durch den Aufwand von psychischer Energie erhält, der sie trägt. Wenn jene Arbeit, äußerlich angesehen, das Überwinden von Hemmnissen bedeutet, die Formung einer Materie, die dieser Formung nicht ohne weiteres gehorcht, sondern ihr zunächst Widerstand entgegensetzt - so zeigt die Innenseite der Arbeit dieselbe Gestalt. Die Arbeit ist eben Mühe, Last, Schwierigkeit; so daß, wo sie das nicht ist, betont zu werden pflegt, daß sie eben keine eigentliche Arbeit ist. Sie besteht, auf ihre Gefühlsbedeutung hin angesehen, in der fortwährenden Überwindung der Impulse zu Trägheit, Genuß, Erleichterung des Lebens - wobei es irrelevant ist, daß diese Impulse, wenn man sich ihnen wirklich ununterbrochen hingäbe, das Leben gleichfalls zu einer Last machen würden, denn die Last der Nichtarbeit wird nur in den seltensten Ausnahmefällen empfunden, die der Arbeit aber nur in eben solchen nicht empfunden. Niemand pflegt daher Leid und Mühe der Arbeit auf sich zu nehmen, ohne etwas dafür einzutauschen. Was an der Arbeit eigentlich vergolten wird, der Rechtstitel, auf den hin man eine Vergeltung für sie fordert, ist der psychische Kraftaufwand, dessen es zum Aufsichnehmen und Überwinden der inneren Hemmungs- und Unlustgefühle bedarf.
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