Intelligible Welt
Intelligible Welt. Die Welt als Erscheinung, als Gegenstand möglicher Erfahrung d. h. so, wie sie sich in den Formen kategorial bestimmter Anschauung darstellt, enthält auch den Menschen (s. d.) als Erscheinung. Derselbe Mensch aber, darauf weist das Sittengesetz hin, gehört auch, als „Noumenon“ (s. d.), als Wesen mit einer gesetzgebenden Vernunft, der intelligiblen Welt an. Diese ist kein Erkenntnisgegenstand, braucht auch nicht als eine andere Art der „Existenz“ angesehen zu werden, wenn sie auch eine metaphysische Auffassung zuläßt. Jedenfalls und zunächst ist die intelligible Welt eine Idee von praktischer Realität, d. h. diese Idee hat praktische Folgen. Wir müssen so wollen, daß wir uns durch die Art unseres Wollens als zu einer übersinnlichen Sphäre, einem „Reich der Zwecke“ (s. d.) gehörig setzen und betrachten, einem Zusammenhang, welchem wir und die anderen Menschen oder Vernunftwesen angehören, einer moralischen Welt, deren Gesetze auf die Sinnenwelt Einfluß haben. Wir sollen so wollen und handeln, als ob uns eine intelligible Welt als Erkenntnisobjekt gegeben wäre, und wir sollen die Idee eines solchen Systems vernünftig wollender, freier, autonomer Wesen durch unser Tun verwirklichen. Die intelligible Welt ist — wie alles Ideal-Übersinnliche — Grund und zugleich Ziel, und ihr Sein ist, wenn auch nicht Existenz im Sinne der Dinghaftigkeit und Erfahrbarkeit, doch nicht geringwertiger, sondern eher von höherer Dignität, von zeitloser, übersubjektiver Geltung.
Es lassen sich immaterielle Substanzen denken, die in ihrer Vereinigung „ein großes Ganze ausmachen mögen, welches man die immaterielle Welt (mundus intelligibilis) nennen kann“. Ihre Teile stehen in Gemeinschaft „auch ohne Vermittlung körperlicher Dinge“. Sie bilden „eine unermeßliche, aber unbekannte Stufenfolge von Wesen und tätigen Naturen, durch welche der tote Stoff der Körperwelt allein belebt wird“. Aber die Berufung auf immaterielle Prinzipien als Erklärung ist „eine Zuflucht der faulen Philosophie“ und möglichst zu vermeiden, „damit diejenigen Gründe der Welterscheinungen, welche auf den Bewegungsgesetzen der bloßen Materie beruhen, und welche auch einzig und allein der Begreiflichkeit fähig sind, in ihrem ganzen Umfange erkannt werden“. Nach der völlig unerweislichen, wenn auch denkbaren Hypothese der Gemeinschaft immaterieller Substanzen würde die menschliche Seele schon in diesem Leben als „verknüpft mit zwei Welten zugleich“ angesehen werden, „von welchen sie, sofern sie zur persönlichen Einheit mit einem Körper verbunden ist, die materielle allein klar empfindet, dagegen als ein Glied der Geisterwelt die reinen Einflüsse immaterieller Naturen empfängt und erteilt, so daß, sobald jene Verbindung aufgehört hat, die Gemeinschaft, darin sie jederzeit mit geistigen Naturen steht, allein übrig bleibt und sich ihrem Bewußtsein zum klaren Anschauen eröffnen müßte“, Träume 1. T. 2. H. (V 2, 18 ff.). Hiernach würde der „Himmel“ (s. d.) eigentlich die Geisterwelt sein oder der „selige Teil derselben“, ibid. 1. Anm. (V 2, 21).
Die „Sinnenwelt“ kann nach der Verschiedenheit der Sinnlichkeit in den „Weltbeschauern“ sehr verschieden sein, während die ihr zugrunde liegende „intelligible“ oder „Verstandeswelt“ „immer dieselbe bleibt“. Der Mensch (s. d.) muß sich selbst ebenfalls „in Absicht auf die bloße Wahrnehmung und Empfänglichkeit der Empfindungen zur Sinnenwelt, in Ansehung dessen aber, was in ihm reine Tätigkeit sein mag (dessen, was gar nicht durch Affizierung der Sinne, sondern unmittelbar zum Bewußtsein gelangt), sich zur intellektuellen Welt zählen“, die er doch nicht weiter kennt. Der Mensch findet in sich wirklich „ein Vermögen, dadurch er sich von allen anderen Dingen, ja von sich selbst, sofern er durch Gegenstände affiziert wird, unterscheidet“, und das ist die Vernunft (s. d.) als „reine Selbsttätigkeit“. Ein vernünftiges Wesen muß sich selbst als „Intelligenz“ zur intelligible Welt rechnen, als deren Glied es „Autonomie“ (s. d.) und Freiheit (s. d.) hat, d. h. sich unter der Idee der Freiheit denken muß, wodurch es praktisch frei ist. Es gibt „zwei Standpunkte“ der Betrachtung; nach dem einen gehört der Mensch zur Sinnenwelt und ist er determiniert. Nach dem anderen gehört er zur Verstandeswelt; als Glied derselben gibt er sich als einem Sinnenwesen das sittliche Gesetz (s. Imperativ), dem er frei gehorcht, GMS 3. Abs. Von d. Interesse ... (III 80 ff.). „Dadurch, daß die praktische Vernunft sich in eine Verstandeswelt hineindenkt, überschreitet sie gar nicht ihre Grenzen, wohl aber, wenn sie sich hineinschauen, hineinempfinden wollte.“ „Der Begriff einer Verstandeswelt ist also nur ein Standpunkt, den die Vernunft sich genötigt sieht, außer den Erscheinungen zu nehmen, um sich selbst als praktisch zu denken.“ Dieser Gedanke führt „die Idee einer anderen Ordnung und Gesetzgebung“ herbei und macht den Begriff eines Ganzen vernünftiger Wesen als Dinge an sich selbst notwendig. Wie reine Vernunft praktisch sein könne, läßt sich nicht erklären, ibid. Von d. äußersten Grenze ... (III 88 f.); vgl. Freiheit. Von der intelligiblen Welt haben wir nur eine „Idee“, aber nicht die mindeste „Kenntnis“. „Sie bedeutet nur ein Etwas, was da übrig bleibt, wenn ich alles, was zur Sinnenwelt gehört, von den Bestimmungsgründen meines Willens ausgeschlossen habe, bloß um das Prinzip der Bewegursachen aus dem Felde der Sinnlichkeit einzuschränken, dadurch daß ich es begrenze, und zeige, daß es nicht alles in allem in sich fasse, sondern daß außer ihm noch mehr sei; dieses Mehrere aber kenne ich nicht weiter.“ Wie die Idee einer intelligiblen Welt eine Triebfeder zum Handeln sein kann, ist unbegreiflich (vgl. Imperativ). Die Idee einer reinen Verstandeswelt als eines „Ganzen aller Intelligenzen“, wozu wir selbst als vernünftige Wesen gehören, bleibt aber immer „eine brauchbare und erlaubte Idee zum Behufe eines vernünftigen Glaubens, wenngleich alles Wissen an der Grenze derselben ein Ende hat, um durch das herrliche Ideal eines allgemeinen Reichs der Zwecke an sich selbst (vernünftiger Wesen), zu welchem wir nur alsdann als Glieder gehören können, wenn wir uns nach Maximen der Freiheit, als ob sie Gesetze der Natur wären, sorgfältig verhalten, ein lebhaftes Interesse an dem moralischen Gesetze in uns zu bewirken“, ibid. (III 93 f.). Durch die den Willen frei bestimmende reine praktische Vernunft denken wir uns als Noumena, als „Wesen an sich selbst“ in einer „intelligiblen Ordnung“ der Dinge, „dynamischen Gesetzen“ gemäß. Die „übersinnliche Natur“ (s. d.) ist „eine Natur unter der Autonomie der reinen praktischen Vernunft“. Das moralische Gesetz ist „das Grundgesetz einer übersinnlichen Natur und einer reinen Verstandeswelt“, deren Idee uns bestimmt, KpV 1. T. 1. B. 1. H. § 8 I Von d. Deduktion... (II 55 ff.).
„Mundus intelligibilis est monadatum, non secundum formam intuitus externi, sed interni repraesentabile“, N 5397. „Die intelligible Welt ist: deren Begriff für jede Welt gilt; folglich enthält sie nicht physische Gesetze, sondern objektive und moralische.“ „Der Intellektualbegriff der Welt ist also der Begriff der Vollkommenheit. Die Verstandeswelt ist also die moralische, und die Gesetze derselben gelten für jede Welt als objektive Gesetze der Vollkommenheit“, N 4254; vgl. 5103. „Diese Verstandeswelt liegt schon jetzt der Sinnenwelt zugrunde und ist das wahre Selbständige“, N 5086. Als Gegenstand der Anschauung ist sie eine „bloße unbestimmte Idee“, aber als Gegenstand des praktischen Verhaltens unserer Intelligenz zu anderen Intelligenzen und zu Gott ist sie ein „wahrer Begriff und bestimmte Idee: civitas Dei“, N 4349. Vgl. Persönlichkeit, Noumenon, Ding an sich, Mensch, Reich der Zwecke, Charakter, Moralische Welt.