Herbstzeitlose
oder
Die Heimkehr der Sieger
Die Stimme des Herrn. Ein älterer Redakteur. Zifferer und Klein. Der Redaktionschrist. Ein Redaktionsdiener. Münz.
Beim Aufgehen des Vorhangs hört man die Stimme des Herrn aus dem Nebenzimmer: »Noch ein solcher Hereinfall und ich werf alle heraus!« Der Redakteur zuckt zusammen. Der Redaktionschrist stürzt auf die Szene:
»Der kann mich —!« »Um Gotteswillen, sprechen Sie nicht aus — sagen Sie, was schreit er, was hat er, was will er?« »Meiner Seel, wie ich noch beim Volksblatt für’n Ritualmord g’schrieben hab, hab ich weniger Verantwortung g’habt, wie hier, wo ich doch bloß der verantwortliche Redakteur bin!« »Sie, mir scheint, Sie beginnen wieder an den Ritualmord zu glauben! Haben Sie etwas in dem Sinn vor ihm geäußert?« »Aber nein — er gift’ sich, weil der Graf Osten-Sacken tot is. Hab ich ihn um’bracht? Ich bin nicht schuld an der Blamasch mit dem Interview!« »Was heißt Blamasch? Is das eine Blamasch, wenn einer tot is? Was geht das uns an? Hängt das nicht ganz vom Blatt ab? Viele, was sich einbilden, sie existieren, sind für uns tot. Warum, sagen Sie mir, soll nicht einer, der effektiv tot is, für uns leben? Ich sag Ihnen, leben und leben lassen! Er hat uns doch nix getan? Er laßt noch als Toter mit sich reden. Er verhält sich mit uns.« »Gehns, aber Sie werden doch zugeben, daß ein Interview mit einem toten Botschafter eine Blamasch is?« »Gar nix geb ich zu. Mit einem lebenden — ja! Weiler nachher sagen kann, er hat nix gesagt. Aber mit einem toten? Der hat doch andere Sorgen wie zu dementieren, was immer sehr unangenehm is für ein großes Blatt.« »Aber entschuldigen Sie, die Blamasch besteht doch eben darin —« »Und wenn schon! So is das keine Blamasch von uns, es is höchstens ein Aufsitzer von ihm —« »Vom Toten?« »Nein, vom — nicht genannt soll er wem!« »Aber wieso denn? Gerade das is doch —« »— für uns nur ehrenvoll. Sehn Sie — der is tot für uns, der und keiner außer ihm! Das is es, was ihn wurmt. Er glaubt, wir wem bringen, was ihm paßt. Grad bringen wir, was uns paßt! Er bild’t sich ein, er laßt uns hereinfallen. Er! Jenner! Wir lassen uns aber nix vorschreiben, wir fallen schon von selber herein. Das Interview war intressant, das is die Hauptsach. Glauben Sie, einen Leser intressiert, ob Osten-Sacken lebt? Und gut, nehmen Sie schon an es gibt übertriebene Leut, die sich intressieren — schön, gibt man eine Aufklärung! Ein technisches Versehen! Das sieht jeder ein. Aber Blamasch? Blamasch is, wenn man kein Interview hat!« (Der Redaktionschrist versucht zu jüdeln:) »Wie haißt?« »Reden Sie nicht, wissen Sie was Sie sind? Ein Patzer sind Sie, ein ganz gewöhnlicher Mensch, der vor nix Respekt hat und den es ein großer Fehler war in die Tradition eines Weltblattes hereinzusetzen. Wie Sie jetzt reden, macht mir stark den Eindruck, Sie glauben wieder an den Ritualmord!« »Das nicht, aber ich glaub, daß Sie ein —« »Ich will von nix wissen, mit mir wem Sie sich nix anfangen! Mit einem solchen Vogel, der aus der tiefsten Hefe des Volkes hervorgegangen is, wer’ ich noch fertig und geb mich gar nicht mit Ihnen ab! Kommt sich da herein, stören, wo ich den Artikel gegen den Moloch schreiben muß! Was haben Sie davon, ich garantier Ihnen dafür, am ersten wem Sie sehn sind Sie entlassen. Es wäre aber sehr traurig, wenn Sie, nachdem man Sie hier mit Mühe und Not geläutert hat, wieder zum Volksblatt gehn würden und dort sich an der Schmach des Jahrhunderts beteiligen möchten. Hier sind Sie noch der Christ, dort sind Sie der Niemand, merken Sie sich das!« »Sie können ganz beruhigt sein. An den Ritualmord hab ich nie geglaubt. Ich hab bloß drüber gschrieben, so wie Ihr über das schreiben müßt, woran Ihr nicht glaubt. Journalisten, Journalisten san mr alle, aber alle können ja net gleich sein, das liegt schon so in der Natur. Wenns einen Ritualmord geben möcht’, so wär’ er noch immer besser als das, was es eh schon gibt. Hier wird unsereinem nicht das Blut, sondern das Hirn abgezapft und da tu ich nicht mit!« »So wahr ich da leb, Sie sind derselbe Antisemit noch heute wie Sie eingetreten sind, konträr, ein greßerer — Sie ich bitt Sie Hadrawa, lassen Sie mit sich reden. Wir Deutschen in Österreich sollen in trüber Zeit, wo der Ansturm des Slaventums überall gegen die Bollwerke bemerkbar wird, zusammhalten. Und dann, wissen Sie denn nicht, was heut für ein Tag is?« »Samstag, meinen S’?« »Hören Sie auf mit Ihrem Gestichel.« Das is kein Spaß, heut kehren unsere beiden Spezialkorrespondenten auf bulgarischer Seite von der Schlacht zurück, die das Prestige und die Machtstellung unseres Blattes am Balkan verteidigt, nein, gewahrt und gemehrt haben. Hadrawa, stören Sie den feierlichen Moment nicht durch Eigenbredeleien, behalten Sie die Verantwortung und lassen Sie jenen schreien, glauben Sie wir leiden nicht auch genug, tagtäglich dasselbe, seit achtundzwanzig Jahren hör ich das jetzt — (Man hört die Stimme des Herrn aus dem Nebenzimmer: »Alle werf ich heraus!« Der Redakteur zuckt zusammen.) Aber wir haben nach außenhin die Machtstellung zu vertreten, und da heißt es, jeden Fußtritt herunterschlucken und so tun, als ob alles noch war wie unter Friedländer und Bacher. Gott waren das Zeiten! Und relativ — wie gut haben wir’s noch, die wir in der Redaktion sitzen können, gegen die armen Kollegen, die man hinausgeschickt hat ins bulgarische Hauptquartier, im strengen Winter, gegen den Moloch, wir sitzen da im geheizten Zimmer, während jene — wenn man bedenkt, was sie sich haben für Bedürfnisse auferlegen müssen, übernachten haben sie müssen in der Eisenbahn, kaum daß sie ihren Tee bekommen haben im Offizierskasino von Sofia, gestoßen sind sie worn von der strengen Zensur, nicht berichten hat man sie lassen, wenn sie beschrieben haben den Sonnenuntergang, und nicht schildern hat man sie lassen, wenn sie gemeldet haben den Sieg von Kirkkilisse. Und heute, wo wir die Gewißheit haben, daß sie gottlob unversehrt — (Ein Redaktionsdiener kommt im Laufschritt: »Sie kommen schon!« Man hört aus den anderen Zimmern Rufe wie: »Wie viel Fahnen bringts ihr?« »Was gibts Neues auf dem Balkan?« »Heil!« »Heil dem Sieger von Kirkkilisse!« »Heil dem Eroberer von Adrianopel!« »Seids ihr mied?« »Wie gehts Ferdinand? Was hat er gesagt? Wie hat er ausgesehn? Was hat sie angehabt?«.. Ein Grammophon spielt die Schumi-Maritza-Hymne. Zifferer tritt auf. Er ist etwas derangiert. Hinter ihm Klein, in Khaki-Uniform. Der Redaktionschrist verläßt wortlos das Zimmer.) Klein: »Frechheit! Ich hab am Kreuzzug teilgenommen und wer’ mir von dem Goi wirklich nix gefallen lassen!« Der Redakteur: »Salem! Willkommen am Herd der Penaten, wo es wärmer is wie im Kugelregen des Hauptquartiers. Ihr habts euch brav gehalten, ihr warts tapfer, was habts ihr gekriegt?« Zifferer: »Ich hab also den Maritzaorden dritter Klasse gekriegt, nicht der Rede wert.« Klein: »Und ich hab einen Medschidieorden gefunden auf der Straße nach Mustapha Pascha.« »Kinder, erzählts, unsereiner hört noch gern von Krieg und Kriegsgeschrei, wenn unten in der Türkei sich die Völker herumschlagen. Man is alt, und is angesichts der Weltereignisse verurteilt zuhaus am Ofen zu sitzen. Was ihr vollbracht habts, ist kolossal. Achtzigtausend, was sag ich, neunzigtausend Worte in einer Woche — und alles von einer Anschaulichkeit, daß man rein glaubt, man war selber auch nicht dabei! Es is eine große Zeit, in der wir leben, und ihr könnts sagen, daß ihr in der vordersten Reihe als Augenzeugen gekämpft habts, und wenn auch leider nicht der Statusquo aufrechtzuerhalten war —« Zifferer: »Münz wird sich ärgern.« »Ob er sich ärgern wird, das gönn ich ihm. Und wenn die Landkarte des Balkans heute verändert is, wenn sie in der Schule umlernen müssen, so wird es dereinst heißen, daß unser Blatt — nein, ihr müßts erzählen, Kinder.« Klein: »Was sollen wir erzählen? Da könnt man Jahre sitzen und erzählen. Unsereiner ist nicht ruhmredig. Man hat kat’ exochen seine Pflicht getan. Was wir zu erzählen gehabt haben, haben wir telegraphiert!« Zifferer: »Renommieren Sie nicht mit meinen Verdiensten, ich hab vor Adrianopel ein Feuilleton telegraphiert, Sie haben sich auf sachliche Mitteilungen beschränkt!« »Ich hab mich auf sachliche Mitteilungen beschränkt? Sie, wenn Sie das noch einmal sagen —! (Drohende Handbewegung.) Mit mir wem Sie sich nicht spielen, mit mir nicht! Keckheit das! Ich hab genau so genau die Stimmung wiedergegeben wie Sie, ich bin im Kugelregen gestanden und hab geschildert. Sie haben auch geschildert, aber Sie haben nicht geschildert vor dem Feind!« »Ich hab nicht geschildert vor dem Feind? Ich hab nicht geschildert vor dem Feind? Ich bin durch die Laufgräben gelaufen, ich hab eine Schafherde beobachtet, ich hab gesehn, wie sie die Herbstzeitlosen zertreten haben —« »Hab ich auch gesehn.« »Ich hab gehört, wie die Raben gekrächzt haben, als ob sie witterten die Beute.« »Hab ich auch gehört.« »Ich hab gesehn wie der König gelächelt hat hinüber zu den Korrespondenten.« »Hab ich auch gesehn.« »Ich hab gehört, wie ein martialisch einherklirrender Stationschef in Uniform erzählt hat daß er gehört hat wie sie überall erzählt haben daß sie gehört haben Kanonendonner.« »Hab ich auch gehört.« »Seltsam, geheimnisvoll sind die Bräuche des Krieges. Fremde fühlen sich in das Schicksal des Volkes verstrickt. Und es lockt die Gefahr ...« »Hab ich auch gelockt.« »Voina! Voina! hab ich gehört.« »Und ich sag Ihnen: Jawasch! Jawasch!« »Ich hab gesehn vor Adrianopel den Sonnenglanz.« »Gegenstand! Ich hab gesehn Sonnenglanz und Sonnenglast!« »Ich hab gesehn, wie die Nacht hereingebrochen is mit dem friedlichen strahlenden Monde über den von ihren Bauern verlassenen Feldern.« »Ich hab gesehn, wie, während ich grad die letzten Zeilen schrieb, steigt langsam die Sonne empor, und meine ganze Hoffnung is jetzt gegangen auf eine Tasse warmen Kaffees.« »Ich hab gesehn wie ich auf der Lokomotiv saß die Mondsichel der Weingärten von Kirkkilisse schreckhaft geheimnisvoll sich spiegeln in den Augen des Flüchtlings und hochaufschäumen hab ich gehört die Maritza von strömendem Blut, während der Heizer mit mir geteilt hat ein Stück Schafkäs.« »Ich hab gesehn, daß wir zwei Tag mit den Depeschen in der Tasche herumgelaufen sind, und man uns nicht hat lassen telegraphieren, da hab ich mich geärgert.« »C’est la guerre!« »Mais, c’est la guerre, sag ich Ihnen!« »Was wollen Sie haben, à guerre comme à la guerre.« »Kinder, streitets euch nicht, jeder hat sich bewährt in seiner Art! (Man hört die Stimme des Herrn aus dem Nebenzimmer: ›Wo ist Zekki Pascha?‹ Der Redakteur zuckt zusammen.) Großer Gott, er schreit nach Zekki Pascha — er will ihm diktieren —!« »Ich sag Ihnen — Eindrücke sammeln und sie nicht los werden können — nichts Ärgeres auf Ihnen! 664 Worte, die schönsten Impressionen zusammengepreßt, hab ich früh gegeben, abends liegen sie noch genau so am Schalter — den ganzen Tag hat sie der Beamte zum Vergnügen gelesen! Dabei in einemfort der Schlachtendonner — denn Sie müssen nämlich wissen, die Geschütze sind die Sänger des Todes.« »Sss ..!« »Ich sag Ihnen, mit der bulgarischen Artillerie is nicht zu spassen. Ich bin Fachmann, ich war superarbitriert, ihre Geschosse schlugen direkt in die Mündungen der türkischen Kanonen ein!« »Was Sie nicht sagen!« »Ich bin dabei gestanden und hab es beobachtet.« »Bitte, Details, wie ich sie gegeben hab, haben Sie nicht gegeben!« »Was? Ich nicht gegeben? Ich hab doch den heißen Atem des Krieges gespürt! Nicht einmal, fünfmal!« »Kunststück! Mir is der Krieg persönlich entgegengetreten und ich hab noch die Geistesgegenwart gehabt, die Zusammenhänge zusammenzufassen und die Stimmungen einzufangen. So zum Beispiel hab ich bei einem Soldaten deutlich gesehn, wie es in seinen Augen geflackert hat von einem großen, dämmerhaften Erleben, das alles andere klein und nebensächlich erscheinen läßt.« »Fangen Sie schon wieder an?« »Außerdem hab ich ein seltsames Begegnen gehabt. Da hab ich einmal mit vieler Mühe die Kämpfenden gesucht — Sie müssen nämlich wissen, man wacht des Morgens auf, wenn schon die Salven über das Feld hinfegen —« »Wenn schon! Was für Salven? Ich seh so was gar nicht. Die Kämpfenden müssen zu mir kommen!« »Ansichtssache. Sie hätten viel drum gegeben, wenn Sie in meiner Lage gewesen wären! Und es ist nun wieder sehr merkwürdig, die Armee, die man bisher in eine Schnur aufgerollt sah, nun gleichsam im Querschnitt kennen zu lernen. Wer mag der Versuchung widerstehn? Also was soll ich Ihnen sagen, ich bin einfach vorgedrungen und gesell mich zu den Kämpfenden. Auf einmal seh ich eine Herbstzeitlose, zum Greifen nah. Ich, rasch entschlossen, denk mir, vielleicht paßt das für Sonntag — auf einmal bemerke ich, wie sich meine Aufmerksamkeit züngelnden Flammen zuwendet. (Murmelnd:) Und dazwischen ist’s einem, als hörte man ein leises Gurgeln ...« Klein (erregt): »Sehn Sie, das kommt heraus, wenn man Träumer hereinschickt in die Schlacht! Keine Ahnung von einer strategischen Notwendigkeit hat er. E Stimmungsmensch!« »Und was sind Sie?« »E Mann der Tat! Bitte, wer hat telegraphiert, daß der König uns zugewinkt hat, ich oder Sie?« »Ich!« »Wer hat gehört den Schlachtendonner — (Man hört die Stimme des Herrn aus dem Nebenzimmer: ›Alle werf ich heraus! Der russische Botschafter Graf Osten-Sacken ist seit längerer Zeit tot. Schreiben Sie, daß es ein technisches Versehn war!‹) Sie Zifferer, jetzt mach ich kurzen Prozeß. Ja oder nein: Haben Sie beobachtet den Feuerschein am Himmel südlich von Stara Zagora? Ich aber jo! Haben Sie gesehn, wie ein türkischer Offizier seinen Tee genommen hat mit Zigaretten? Ich aber jo! Haben Sie mit Danew gesprochen, wie er sich geweigert hat, etwas zu sagen? Ich aber jo!« (Man hört die Stimme des Herrn aus dem Nebenzimmer: »Wo ist Hilmi Pascha?«) »So, und Sie glauben, daß Sie damit schon behaupten können, daß Sie Kriegskorrespondent sind? Ich will meine Verdienste nicht aufzählen, aber ich hab beschrieben: wie die Raben krächzen, wie die Herbstzeitlosen blühn, wie die Maritza rauscht, Schumi Maritza, wie die Königin ausgesehn hat, hab ich beschrieben!« »Ich leugne ja nicht, daß Sie mancherlei gesehn haben, was nachdenklich stimmt. Aber das eigentliche Wesen des Krieges haben Sie nicht erfaßt. So zum Beispiel haben Sie bekanntlich nicht gesehn, wie die Bulgaren und die Türken ringen erbittert um eine bulgarische Fahne!« »Wo haben Sie das gesehn?« »Auf einem Bild im Speisesaal, ein einfacher Soldat hat es gemalt, aber es hat eine gewisse Plastik und Kraft.« »No ja, das geb ich ja zu, da haben Sie Glück gehabt —« »Ich hab außerdem einen eigenen Hügel gehabt, Sie nicht!« »Bitte, ich hab später auch einen Hügel gekriegt, neben dem von Ludwig Bauer von der ›Zeit‹, Schach hat er gespielt auf seinem Hügel.« »Ich war stundenlang eines ungewissen Schicksals gewärtig!« »Das is gar nix. Was ich dafür in der Luft gehört hab für Töne, Ihnen gesagt! Einen gurgelnden Ton, einen singenden Ton, alle möglichen Töne, so viel Sorten Töne kennt man hier gar nicht was ich gehört hab dort in der Luft, und ich hab deutlich gespürt, daß es etwas sehr Merkwürdiges ist um diesen Kampf gegen eine Stadt.« Der Redakteur: »Wieso etwas Merkwürdiges?« Zifferer: »Wieso? Auf der einen Seite erblickt man eine Armee, die sich bewegt, auf der andern Seite steht etwas Unpersönliches, Festungsmauern.« Klein: »Wenn ich wollte, welch’ tiefsinnige Bemerkungen über Ursache und Wirkung könnte ich daran knüpfen! Aber offen gestanden, ich bin gar nicht gestimmt zu tiefsinnigen Bemerkungen.« »Das möcht ich Ihnen auch nicht raten, in meine Beobachtungen sich versenken, speziell vor Adrianopel! Dort bin ich sehr intim. Das kann man schon aus dem folgenden ersehn. Ein Soldat hat mich erkannt und mir mitten in der Schlacht Grüße aufgegeben an seinen Vater. Ich geb zu, Sie haben interviewt — Stanciow —« »Danew!« »Kinder, schimpfts euch nicht —« »Ich geb zu, Sie sind bis ins Hauptquartier vorgedrungen. Was ist das schon? Ich hab gesehn, wie sich die Schlachtlinie vor mir krümmt und windet! Und glauben Sie ich hab nicht auch Leute gesprochen? Leute sag ich Ihnen, die maßgebend sind und von denen man erfährt! Alle haben sie glänzende und leuchtende Äuglein gehabt, die zugleich nach innen und nach außen geblickt haben, es war sehr merkwürdig. Und dann — ein Eindruck, den ich nie vergessen werde, noch viel wichtiger als alle Details. Haben Sie eine Ahnung, was ich empfunden hab vor Adrianopel? Adrianopel lag vor mir, wie eine Frau, zum Greifen nah, und ich hab Lust gehabt, sie selbst zu erobern und in Besitz zu nehmen!« »Imponiert mir gar nicht. Ludwig Bauer von der ›Zeit‹ hat Schach gespielt vor den Minaretts und hat gewonnen!« »Was geht mich Bauer an, Bauer is bekannt als unerschrocken, aber Bauer is nicht amourös, ich sag Ihnen, ich hab sie selbst in Besitz nehmen wollen, wie sie dalag, Adrianopel die Festung. Zwei Tag hat der Zustand gedauert, nicht satt sehn hab ich mich können!« Der Redakteur: »Das scheint mir entscheidend. Zifferer hat erlebt.« »Und ich?« »Sie haben erfahren! Sie haben geleistet!« »Da hören Sies!« Der Redakteur: »Aber gerade die Situation vor Adrianopel ist der Punkt, worüber ich mit Ihnen Zifferer noch sprechen wollte. Wie nämlich das Feuilleton gekommen is, waren wir paff —!« »Das war auch keine Kleinigkeit. Alle staatlichen Telegramme hat Bulgarien zurückgestellt an dem Tag. Ich hab die Linie für fünf Stunden bekommen, weil ich gesagt hab, es is für das Blatt!« »Bitte, und mich hätt man mit den andern Korrespondenten zuhaus geschickt, wenn mich nicht der Namen Neue Freie Presse gedeckt hätte!« »Kinder, streitets nicht, wir dienen ja doch alle mehr minder dem Prestige des höheren Zweckes und haben alle das Blattgefühl im Auge! Am wichtigsten ist jetzt das Problem der offenen Türe — (Man hört die Stimme des Herrn aus dem Nebenzimmer: ›Alle werf ich heraus!‹) Am besten, man hört gar nicht hin ... Sagen Sie Klein, Sie haben vorhin erwähnt, wie der Stationschef martialisch einhergeklirrt hat. Wie war aber eigentlich das Souper im Speisewagen?« »Lukullisch. Alle Welt hat sich ihm gewidmet. Das Dejeuner wurde in drei Abteilungen serviert.« »Seids ihr bequem gefahren?« »Im Krieg muß man sich behelfen. Lachend preßten wir uns in den paar Abteilen zusammen, die man für uns reserviert hatte.« »Das erinnert mich sehr an die packende Schilderung unseres Vertreters auf türkischer Seite, wie sie im Speisewagen spielen Sechsundsechzig und draußen die, wie heißt mer sie nur, die Moslims, ihr Abendgebet verrichten. Rückständige Nation!« »Ja, da sind die Bulgaren ganz anders. Sie machen sich keine Vorstellung, wie sie den Korrespondenten entgegengekommen sind. Natürlich, zuerst, wie sie noch nicht gewußt haben, daß auch wir darunter waren, haben sie sich bißl Zeit gelassen mit den Quartieren. Da haben wir ausstehn müssen —! Strapazen —! Es hat sich herausgestellt, daß kein Mensch an unsere Unterbringung gedacht hat, stellen Sie sich unsere Lage vor! Da hat es Ludwig Bauer von der ›Zeit‹ klüger gemacht. Er hat einfach Zimmer bestellt in Adrianopel, er hat gefürchtet, man wird ihn zur Gefahr nicht zulassen.« »Bauer hat sich ausgezeichnet. Er war der Tapfersten einer. Gefangene Türken hat er interviewt und hat sie gezwungen, daß sie alles vor ihm auspacken, auch die eigene Schmach, er hat sich geschämt für sie.« »Wieso Schmach? Warum hat er sich geschämt für sie?« »No, nach Weib und Kind haben sie sich gesehnt die Feiglinge! Adrianopel is ihnen stagelgrün aufgelegen. Einer hat gesagt, er hat sechs Kinder und will sie wiedersehn, damit hat er sein Resümee gegeben! Also is das nicht verächtlich? Sie können sich vorstellen, was in Ludwig Bauer vorgegangen is, er, der Tapfersten einer!« Der Redakteur: »No die müssen in einem schönen Zustand gewesen sein! Wie haben sie ausgesehn diese Nebbichs?« »Bauer sagt, wie Leute, die ausgesorgt haben. Er hat die vorsorgliche Kriegsverwaltung gelobt, sie hat ihm, sagt er, einen Augenschein des Triumphs geboten, der sich gut telegraphieren läßt, warum nicht, recht hat er. Er hat aber auch Strapazen mitgemacht, er is durch die verwilderten Äcker gestampft, nuna genieren wird er sich, unten sind die Büffel gegangen und oben er, Herbstzeitlosen hat er zertreten und Raben hat er gesehn mit eigenen Augen — warum nicht, weil Zifferer sich einbildet, er allein trefft das? Ich auch!« »Sie Untam!« »Bitte, ich war im Tamgebiet! Dort hab ich die Sänger des Todes gehört. Es war das Grausen der Erhabenheit.« »Tut sich was! Wir sind also aus dem Speisewagen, wo ich Stanciow gesprochen hab, ausgestiegen —« »Wie sieht Stanciow aus?« »Wie ein Typ Pariser Viveur. Er hat uns die Honneurs gemacht. Wir haben aber effektiv nicht gewußt, wo wir schlafen wem die Nacht. Haben wir im Zug geschlafen. Später waren sie sehr zuvorkommend. Sie haben uns gezeigt, wie sie kämpfen.« »Das war doch gefährlich — so nah beim Kugelregen?« »Also so dürfen Sie sich das wieder nicht vorstellen! Die Bulgaren haben sich öfter unterbrochen und sind gekommen, um uns zu informieren.« »Was Klein da erzählt, ist buchstäblich wahr. Ich bin vor Adrianopel gestanden und sie haben mir sehr freundlich die Minaretts erklärt.« »Wie weit sind Sie vorgedrungen, Klein?« »Vor Kirkkilisse warf ich die letzten Bedenken hinter mich. Denn bis jetzt hatte ich nur das Gesicht des Krieges gesehn. Später hab ich dann auch seinen heißen, sengenden Atem gespürt. No da bin ich doch neugierig geworden und wollte noch seine Stimme hören. Dachte keiner an seine Lieben, dachte jeder nur an Kampf ... Aber grad wie ich hinkomm, Pech, schweigen plötzlich die Geschütze, da haben sich die Belagerer und die Belagerten verabredet, daß sie uns Korrespondenten nichts zeigen. Von Massakres hab ich gar nichts bemerkt. Wie man schon Pech hat. Ich komme hin, bin im besten Glauben, daß hier Menschen einander zu töten gesucht, man hat es mir hoch und teuer geschworen. Schöner Hereinfall! Sie können sich die Enttäuschung denken, wenn man glaubt, jetzt wird man einem Originalgemetzel beiwohnen können, vielleicht noch fürs Abendblatt — und was hab ich gefunden? Einen alten Uniformrock! Nicht der Rede wert.« »Und ich hab eine zerrissene Fahne mitgebracht.« »Wie viel Zeilen hat sie?« »Aber nein, eine türkische!« »Gewiß hat sie einer vergessen gehabt, der wird sich ärgern.« Klein: »Also so dürfen Sie sich das wieder nicht vorstellen. Man findet das bei den türkischen Leichen. Wir stöbern in dem Haufen herum und machen Kriegsbeute. Stecken Mauser-Patronen ein, Briefe an die Familie, Photographien, Haarlocken, eine türkisch-deutsche Grammatik —« »Was brauchen sie deutsch lernen?« »Einmal, ich hab grad die Stellungen der Tschadaldschalinie abgeritten, da lagern sich die Korrespondenten und die Truppen um lodernde Lagerfeuer auf rasch requiriertes Heu zu frostiger, taufeuchter Nachtruhe — was glauben Sie find ich? Eine neue Note!« »Haben Sie wechseln können?« »Aber ich mein doch nur eine Nuance! No da hab ich mir aber die Heerführer kommen lassen, Sawow und Fitschew —« »Die kann ich nie unterscheiden, wie sind die eigentlich, wie stehn sie zum Blatt?« »Ich wer Ihnen sagen, Sawow macht sich Feinde und Fitschew weiß einzunehmen. Danew hat mir Details gemacht.« »No und Sawow?« »Michael Sawow ist ein Diktator kat’ exochen. Neben seinem Namen muß man aber sofort den Fitschews nennen.« »Warum nicht, nennen Sie ihn.« Zifferer: »Fitschew hab ich auch gesehn. Seine Haut hat etwas rosiges, sie is durchsichtig.« »Haben Sie durchgesehn?« »Ob ich hab! Nur wenige weiße Fäden mischen sich in den dunklen Schnurrbart —« »Wie viel? Haben Sie gezählt?« »Nicht der Rede wert! Blitzschnell beweglich sind die kleinen Äuglein.« Klein: »Also bitte! Ich hab mit Fitschew gesprochen, ich hab Gelegenheit gehabt, ihm in die großen, geistvollen Augen zu blicken. Wie ich zu ihm komm, beobacht ich sofort, daß er stets ein Lächeln auf den Lippen hat —« »Was is das gegen das Lächeln der Japaner!« Der Redakteur: »No und die Mona Lisa is e Hund? Wie stand der König da?« Klein: »Stattlich und stolz. Keinen Zoll tiefer beugte er sich, als es nötig war.« »Vor der Presse?« »Vor der Bibel.« »Ah so.« »Was soll ich Ihnen sagen, Lefteherow hat gestrahlt.« »Wie is Dimitriew?« »Dimitriew hat Umgangsformen. Napoleontscheto nennen sie ihn im Heere. Napoleontscheto hat die in ihn gesetzten Erwartungen auch nicht getäuscht.« »Das glaub ich! Was mich aber am meisten intressiert — wie is eigentlich Kutintschew?« »Kutintschew is ein Soldat, wie er im Buche steht. Iwanow, für den is eine Belagerung die richtige Aufgabe. Er war aber entsetzt, daß man ausgerechnet ihm die Korrespondenten auf den Hals geschickt hat. Diese Bulgaren sind Sonderlinge. Ich hab sie gefragt, ob sie Reklame in der Weltgeschichte haben wollen, haben sie gesagt, nein. Ich hab sie gefragt, ob sie nicht wenigstens eine Extraausgabe machen wollen. Nein. Schmockerei. Die türkischen Gefangenen lassen eher mit sich reden, sie sind ein fesselndes Gemisch und ich schied von ihnen mit einem feierlichen Selam der Mohammedaner.« »Warum hat man sie gefangen?« »Allah hat es so gewollt, Kismet. Intressant waren die Türkinnen ohne Schleier, eine hab ich mir angeschaut, hat sie echt weiblich verschämt gelächelt. Sehr viel hab ich auch mit bulgarische Soldaten gesprochen. Alle sind sie in Uniform. Nicht einer is ein Antisemit.« Zifferer: »Bittsie, was hat man schon davon! Man mag mit diesen bulgarischen Soldaten tage- und wochenlang gemeinsam leben, mit ihnen ihr Brot teilen, in demselben Graben verschanzt, von der gleichen Gefahr bedroht sein — man kommt ihnen nicht näher.« »Ihr Brot haben Sie mit ihnen geteilt oder sie mit Ihnen?« »No, ich mit ihnen! Sie haben mir von ihrem Mittagmahl gegeben. Versteh ich bulgarisch? So sind sie mir doch erst angenehm verständlich geworden! Warum nicht? Ludwig Bauer von der ›Zeit‹ hat auch mitgegessen. (Nachdenklich:) Und da entsinne ich mich eines Abends nach der Schlacht bei Lüle Burgas ... Also in Philippopel war’s. Ich hatte beim englischen Konsul den Tee genommen. Auf einmal stehen zwei baumlange Bulgaren vor mir, das Bajonett drohend gesenkt gegen meine Brust.« »Gotteswillen —!« »Sie wollten, ich soll die geheime Korrespondenz hergeben, nämlich das Feuilleton. Seien Sie unbesorgt. Ich hab es nicht hergegeben! Ein bekannter General und ein paar Offiziere haben mich schon vorher in einem Gespräch festhalten wollen, aber die haben sich geschnitten, nichts war aus mir herauszukriegen. Später haben sie gesehn, mit wem sie es zu tun haben, no da haben sie Äuglein gemacht und haben mich zu allerlei kriegerischen Veranstaltungen eingeladen.« »Haben Sie das Geheimnis des bulgarischen Erfolges?« »Ich habs. Ich gebs für Sonntag.« »So, und die Odyssee, die ich bereits telegraphisch mitgeteilt hab, is vielleicht nix?« »Kinder, jeder in seiner Art. Hauptsach is, daß das Blatt mit dem Prestige am Balkan gut dasteht. Wir haben uns sehr gefreut, wie Danew über den Frieden gesagt hat, daß die Neue Freie Presse das meist gelesene und geschätzte Blatt in Bulgarien is.« »Und in Serbien vielleicht nicht?« »In der Türkei bitte auch!« »Überall! Sie hätten sehn sollen den Respekt, wie ich gesagt hab, mein Name is Zifferer und ich brauch den Draht für ein dringendes Feuilleton. Zuerst war man ja frech, da hab ich nämlich noch nicht gesagt gehabt, wer ich bin und für welches Blatt. Ich hab sie überraschen wollen. Ich hab die Gesichter sehn wollen. Man hat also zuerst Ausreden gemacht, sie brauchen die Linie für die Staatsdepeschen, an den König über den Verlauf der Schlacht und so Schmonzes. Wird sich gedulden, der Herr König, hab ich gesagt, ich bin Zifferer, hab ich gesagt, fragen Sie bei ihm an, beim Koburger oder beim Battenberger oder wie er heißt, ob er nicht selbst will, daß die Presse den Vortritt hat. Man hat angefragt. No und was glauben Sie hat er gesagt? Selbstredend! hat er gesagt. Zuerst die Neue Freie, hat er gesagt, dann lange niemand, dann Bulgarien. Was wollen Sie haben, ein moderner Mensch!« »Was heißt ein moderner Mensch? Das ganze Volk is modern! Das letzte Provinznest beweist Entgegenkommen den Korrespondenten. Sie wissen dort ganz genau, daß wir die öffentliche Meinung Europas repräsentieren, daß Europa durch unsere Augen sieht!« »Bravo, Klein, das haben Sie gut gesagt. (Man hört die Stimme des Herrn aus dem Nebenzimmer: ›Der Konsul Prochaska darf seiner Mutter schreiben.‹) Und uns hat er telegraphiert!« Klein: »Ja, die Balkanvölker sind darin sehr anständig. Ich sag Ihnen, die Bulgaren! Einem hab ich die Presse von der vorigen Woche gegeben — Sie hätten sehn sollen, was er getrieben hat! Der Bulgare greift nach allem, was ihm die Kultur des Abendlandes bietet. Der Türke dagegen! Gegen die Türken waren wir der Ansturm der modernen Zeit. Der Türke is gar nix. Er ist der Träumer geblieben, was ist ihm Fortschritt, was Kultur! Überall lesen sie schon die Presse — der Türke hält noch seinen Koran! In der Dämmerung, die der Koran über sein Leben verbreitet, fühlt er sich glücklich. Las’r verdienen.« »Zifferer, haben Sie das auch beobachtet?« »Ich hab mich mehr für das psychologische Moment intressiert. Ich hab zum Beispiel gesehn, wie stets eine geheizte Lokomotive auf den König wartet. Das war sehr merkwürdig.« »Wie war das?« »Dampfend, zischend, pfauchend, als könnte sie es nicht erwarten, gegen den Feind loszustürmen, ihn mit ihrer breiten stählernen Brust zu zermalmen.« »Zifferer, Sie sind etwas ein Phantast!« »Warten Sie, daneben hab ich seltsame Zusammenhänge gesehn, wie nämlich ein Soldat einer Katz Käs gegeben hat zum Kosten. Wahrscheinlich hat er sehn wollen, ob nicht etwas drin is. Das ist der Krieg.« »Sss ..! Bitt Sie, Zifferer, lassen Sie sich das nicht entgehn!« »Ich hab’s bereits festgehalten. Ferner hab ich Raben —« »Die haben wir schon.« »Ja so. Aber was Sie noch nicht haben, ist, daß es dieselben Raben waren, die schon in Sofia so überlaut ihr Wesen trieben, als man die jungen Leute zu den Waffen rief!« »Authentisch?« »Wenn ich Ihnen sag? Aber wie dann der Stern von Bethlehem gekommen is, hab ich mir gedacht: Friede auf Erden.« »Das war sehr stimmungsvoll von Ihnen, und ich kann Ihnen auch sagen Zifferer, auf der türkischen Botschaft is man überzeugt, daß diese Haltung unseres Blattes wesentlich beigetragen hat zu dem Friedensschluß. Münz war dort und Hilmi Pascha hat ihm gesagt —« »Sie, mit den vielen Paschas hab ich mich schon nicht mehr ausgekannt.« »Trösten Sie sich, in der Redaktion haben wir uns auch nicht ausgekannt. (Man hört die Stimme des Herrn aus dem Nebenzimmer: ›Wo ist Mammuth Schefket Riffath Middath Reschid Nazim Hilmi Zekki Schukri Blum Pascha!‹) Gott sei Dank, Blumpascha von der Kreditanstalt! No der wird zu ihm kommen. Also wie habts ihr euch verständigt?« »Gott leicht. Was braucht man viel reden? Ich hab gesagt, ich bin von der Neuen Freien, haben sie alle gesagt, sie wissen schon! Mit e bißl Voina kommt man durch. Klein war schlau —« »Lassen Sie mich erzählen. Ich hatte Gelegenheit, mit einem verwundeten Türken zu sprechen. Er muß ziemlich Schmerzen gehabt haben, und sie wollten ihn schon ins Lazarett schaffen. Dort schaffen sie nämlich die Verwundeten ins Lazarett und die Korrespondenten haben das Nachsehn. Zum Glück bin ich rechtzeitig dazugekommen und hab es verhindert. Ins Lazarett wer ich gehn! No, man hat ihm auch sofort den Notverband abgenommen und mir alle Wunden gezeigt. Dem Arzt is schlecht geworden und ich sag Ihnen, beinahe mir is schlecht geworden. Die Fäulnis bei lebendigem Leib!« »Schrecklich! Is denn nicht vorgesorgt?« »Reden Sie mit den Bulgaren! Seit Jahren kämpft die Königin mit dem Kriegsministerium —« »Ss ..!« »— wegen der Verbandpäckchen.« »Was hat der Dokter gesagt?« »Der Dokter hat gesagt: Ich hoff, ich bring ihn durch.« »Waren Pflegerinnen da?« »Sogar eine granddame, die ich kurz vorher in ihrem Salon gesehn hab. Sie hätten sehn sollen, wie sie, die Schwache, nachher tröstend gehegt hat. Es ist etwas eigenes um die Frau. Bei vielen mußte der Arzt mit dem Tode ringen. Ich wer’ ihn natürlich nennen. Wenn Leute unermüdlich sind, warum soll man sie nicht nennen?« »Recht haben Sie, nennen Sie sie. Nennen Sie auch die Hegerinnen. Und Sie Zifferer, wen wem Sie nennen?« »Bitte, ich hab einen gesehn, dem is die Kugel durch und durch bei der Brust herein und beim Rücken herausgefahren.« »Gesehn, gesehn! Ich hab aber mit einem, dem schon die Hand verfault war, gesprochen!« »Was hat er gesagt?« »Er hat sich entschuldigt, daß er nicht einmal Visitkarten bei sich hat.« »Und was haben Sie zu ihm gesagt?« »Ich hab ihm gesagt: Kismet, Kismet! Sie hätten sehn solln, wie sich auf das heraufsein Gesicht verklärt hat!« »Das glaub ich, so etwas freut einen sterbenden Türken immer. Nennen Sie ihn!« »Dann is aber der Ärger losgegangen mit den Depeschen. Wie ich ein Panorama gesehn hab, hab ich es auch nicht telegraphieren können! Einmal dreh ich mich um zum Horizont, verschwindet die wilde Fackel des Krieges —« »Pscht! Nicht nennen!« Klein (nachdenklich): »Der Dokter hat gesagt: Ich hoff, ich bring ihn durch.« »Kraus?« »Gott behüte, den Türken!« Zifferer (nachdenklich): »Zertreten sind sie geworden und zerstampft.« »Meinen Sie die Türken?« »Ich mein die Herbstzeitlosen.« »Natürlich, richtig ... Aber schließlich werden Sie, nehmen Sies nicht übel, doch ein bißl die Ereignisse selbst verfolgt haben, wenn Sie schon so nah waren?« »Hab ich auch. Ich hab mich herangeschlichen, geheimnisvoll des Abends, wie sie im Lager eingeschlafen sind, da merk ich plötzlich, ein Soldat singt im Traum.« »Woher haben Sie das?« »Also gut, wenn Sie’s erraten haben, ich hab’s zuerst im ›Herbstmanöver‹ gesehn und dann an Ort und Stelle bestätigt gefunden. Immer, sag ich Ihnen, pflegt ein Soldat im Traum zu singen. Geheimnisvoll des Abends. Fragen Sie Ludwig Bauer von der ›Zeit‹.« »Wißts ihr, was ich mir oft denk, es muß auch sehr viel aus der ›Lustigen Witwe‹ unten vorkommen! Klein, meinen Sie nicht?« »Ob es vorkommt! Die haben wir Kameraden doch beim Anblick der Flucht von Corlu selbst gesungen!« Der Redakteur: »Ich denk mir — am End genügt es, wenn man sie sechshundertmal gehört hat, braucht man gar nicht hinunter und schreibt hier die Sachen!« Zifferer: »Was fällt Ihnen ein? Vieles sieht man doch erst am Balkan selbst! Wir Kriegsberichterstatter sind ohnedies leider weit weg vom Schuß. Aber so weit dürft man sich wieder nicht aufhalten. Man brennt doch vor Begierde nach dem sengenden Atem der Schlacht! Das wird Ihnen Klein bestätigen.« »Selbstredend. Was nützt es wenn man sich immer wieder sagt: C’est la guerre. Erleben will man. Man sehnt sich ordentlich nach e bißl Pulverdampf. Zum Beispiel, wie der König plauderte vor unseren Augen — hab ich doch sofort gewußt, Losengrad is gefallen!« »Da war ich auch dabei! Ich hab es mit eigenen Augen gesehn!« »Kunststück, haben Sie gehört, wie er uns zugenickt hat? Auf einmal war er da, mitten unter uns. Direkt hineingegrüßt hat er ins Restaurant. Auf einmal war er da.« »War ich auch da!« »Möglich, aber Sie haben gewiß nicht gelesen auf seinem Gesicht die Freude über die Erfolge der bulgarischen Waffen bei Bunar Hissar!« Der Redakteur: »Wie liest mer das?« Klein: »Mer lernts. Man is darauf angewiesen, die Bulgaren sagen einem nix. Die Bulgaren sind nämlich intressant. Nüchtern, aber intressant. Sie wollen um jeden Preis keine Reklame machen! Ich sag Ihnen, die Bulgaren sind in Kirkkilisse hineingerannt wie in ein Haus mit offenen Türen und haben der Welt wieder einmal bewiesen, daß alle Theorie grau is! Ich weiß nicht, wie es am Tage des Sieges in Sofia aussah, aber das eine weiß ich, in Stara Zagora gibt es zwanzigtausend Bulgaren und achtzig ausländische Korrespondenten, und die zwanzigtausend Bulgaren zusammen waren nicht so aufgeregt wie wir achtzig! So eine Sensation wie der Fall von Kirkkilisse, und man kann sie nicht telegraphieren!« »Also sind die Bulgaren doch nicht gar so entgegenkommend?« »In Bezug auf Stimmungen — ja! Ereignisse lassen sie nicht durch. Man hat uns gesagt: Für Herbstzeitlosen geben wir euch den ganzen Draht, Siege melden wir selbst, wenn wir sie brauchen.« Zifferer: »Auch ein Standpunkt! Was nützt die nackte Tatsache, wenn nicht der Duft der Impression dabei is?« Klein: »Und ich sag wieder, was nützen die Siege, wenn sie nicht gemeldet wem?« »Und ich sag, Tatsachen kann man auch erfinden, da is kein Mangel. Ob die Tschataldschalinie durchbrochen wurde, erfährt man früh genug. Aber wer garantiert dafür, ob genügend Herbstzeitlosen dort wachsen, wer ersetzt die Genrebilder, die nebbich in so einem Krieg verloren gehn?« »Sagen Sie Zifferer, wie — is eigentlich so eine Herbstzeitlose? Wie sieht das aus?« »Chamois!« »Intressant. Natürlich sind Stimmungen in solchen Zeiten das Wichtigste. Der Untergang der Türkei is gewiß bedauerlich, aber wie schön hat Becher das mit der Poesie vom Halbmond gebracht, wie er aufgeht und wie er untergeht, poetisch. Auch Sie, Klein, unterschätzen Sie sich nicht, Sie haben doch selbst über die ›Poesie des Krieges‹ geschrieben, wo Sie so treffend gesagt haben: ›Draußen heult der Sturm. Das ist doch Poesie. Es ist eben die Poesie des Krieges.‹ Richtig, aus dem ›Walzertraum‹ habts ihr auch gesungen, wie ihr auf der Flucht warts? Recht habts ihr gehabt, daß ihr es euch ein bißl gemütlich gemacht habts. Aber apropos — Adrianopel — daß ich nicht vergeß — mit Adrianopel is uns allen etwas aufgefallen. Also Zifferer — Sie sagen, daß die Festung da lag wie eine schöne Frau und Sie hätten sie am liebsten selbst erobert. Schön! Aber sagen Sie — haben wir Recht mit der Vermutung, daß Sie hier absichtlich ein Motiv von Auernheimer, wenn auch durchaus originell, verwertet haben? Auernheimer freilich sagt das immer nur von Wien, und Sie haben das unleugbare Verdienst, es zum erstenmal auf Adrianopel angewendet zu haben. Sie wem sich aber erinnern, daß ich einmal zu Ihnen erwähnt hab, Auernheimer möcht auch schreiben, Nogi hat Port Arthur auf die Art erobert. Sie wissen ja auch, daß der — nicht genannt soll er wem, auf einer uns heute noch rätselhaften Weise damals doch gehört hat, was wir gesprochen haben, und hat es hineingegeben in das rote Büchel. Sie können mir nun offen sagen, ob Sie —« »Und ob ich sagen kann, alles will ich sagen! (Ausbrechend:) Die niederträchtige Gemeinheit mit dem Harakiri, was dieser Mensch damals an uns verübt hat, an Ihnen so gut wie an mir und sogar am Chef, von dem er behauptet hat, daß er nichts ruft als in einemfort — (Man hört die Stimme des Herrn aus dem Nebenzimmer: ›Alle werf ich heraus!‹) Gott, woher weiß er es?! Man kennt sich wirklich nicht mehr aus! Hört jener zu, was der hier sagt, oder sagt der hier, was jener schreibt?.. Sie wem sehn, das nimmt noch ein böses Ende!.. Aber sehn Sie — damals hab ich ihm justament zeigen wollen, was ich imstand bin. Wissen Sie, warum ich diese ganzen Strapazen der Kriegsberichterstattung auf mich genommen hab? Das wem Sie nicht erraten. Um dem Menschen zu zeigen, daß ich erleben kann, was ich schreib! Wie in dem roten Büchel gestanden is, daß ich Nogi in Wien nicht gesehn hab, und sogar bezweifelt war, daß ich bei Port Arthur nicht dabei war, hab ich mir gedacht, jetzt kannst du ihm einmal beweisen, daß du ja dabei warst — und hab die Mission angenommen! Ich wollte ihm beweisen: was Auernheimer trefft, treff ich auch! Und darum hab ich, justament, soll er zerspringen vor Wut, geschrieben, daß Adrianopel da lag wie eine Frau und er hat sie erobert — oder nein, ich hab sie erobert — das heißt — erobern wollen. Und alle hab ich sie beschrieben, die markanten bulgarischen Physiognomien, ausgerechnet mit denselben Äuglein wie sie Nogi gehabt, soll er zerspringen!« »Wer? Nogi?« »Gott behüte, Kraus!« »Die Bulgaren sind nämlich genau so schweigsam wie die Japaner, dafür, daß sie nicht das japanische Lächeln haben, kann ich nichts, sonst hätt ich auch geschrieben, wie sie lächeln.« »Bitte, Fitschew hat stets —« »Unterbrechen Sie mich nicht. Was ich sagen wollte — ja — also ich hab die Strapazen ruhig ertragen, weil ich mir immer wieder sagte: Das ist der Krieg! Klein dürfte übrigens derselben Ansicht sein —« »Selbstredend, c’est la guerre!« »Kinder, wie habts ihr euch das eingeteilt? Ich hab immer geglaubt, c’est la guerre is von Zifferer und von Klein is der Krieg!« »Das war verschieden, wir haben abgewechselt, wir haben auch mit den andern Korrespondenten Kartell gemacht. Was hätt man anderes sagen sollen, wenn man gesehn hat, wie sie zu Hunderten und Hunderten hingemäht wurden?« »Wer? Die Türken?« »Konträr, die Herbstzeitlosen!« »Das is der Moloch! ...« »Ich hab gewußt, was ich tu. Glauben Sie, ich hätt nicht dasselbe in Wien schreiben können? Ich hätt ja dasselbe in Wien schreiben können. Aber justament hab ich es nicht in Wien geschrieben und bin hinuntergegangen. Ich weiß, viele haben sich gewundert, wieso ich am Balkan bin, und es sind auch, wie sie mir schon gesteckt haben gleich beim Empfang, gehässige Zuschriften an das Blatt gekommen, wo sie gefragt haben, ob man wirklich beim Anblick von Blut und Leichen — oder ähnliche Phrasen! — solche Beobachtungen machen kann über Herbstzeitlosen — und ob es nicht besser war, das viele Geld, was die Telegramme kosten —« »Das is wahr, teuer war der Spaß, Kinder, das eine Feuilleton Sonntag hat uns hör ich 3000 Kronen gekostet.« »4000! Alles viel zu wenig, es war ein Rekord, und diese Leute haben die Frechheit zu sagen, ob man das Geld nicht hätt lieber für das Rote Kreuz geben sollen! Das hab ich gern, wenn solche Leute mit Humanität kommen! Humanität is gut für den Leitartikel, die Poesie des Krieges gehört ins Feuilleton! Also um zurückzukommen, es sind angeblich Zuschriften gekommen, wo gesagt wird, so etwas kann nicht an Ort und Stelle geschrieben sein, so etwas kann nur in Wien geschrieben sein! Witze haben sie gemacht, über Herbstzeitlozelach, und ob das türkische Hauptquartier im Café Orient war, und ob der griechische Korrespondent is gesessen im Café Tifoxilos. Mit so etwas spaßt man nicht! Wenn wir hätten renommieren wollen, hätten wir gesagt: Ja, wir haben alles in Wien geschrieben! Sogar im Café City! Nein — so genau trifft man das nicht, den Pulverdampf, die Landschaft, die Uniformen, wie sie im Kasino ihren Tee genommen haben, alles hat doch gestimmt, was will man haben? Die Leute sind verhetzt und glauben, Herbstzeitlosen lassen sich erfinden, authentische Details! Es wäre rein nötig, man zeigt ihnen Narben — eher glauben sie’s nicht, daß man im Krieg war!« Der Redakteur (ekstatisch:) »Habts ihr Narben, Kinder?! Zeigts her fürs Abendblatt!« »Narben nicht, aber noch ein paar Eindrücke für Sonntag!« »Auch gut, der Chef hat das gern. Sie, Zifferer, haben gerade jetzt nötig, Ihre Unentbehrlichkeit zu beweisen.« »Was is geschehn?« »Was geschehn is? Das wem Sie nicht für möglich halten! Während Sie nebbich unten gegen den Sultan gekämpft haben — (Man hört die Stimme des Herrn aus dem Nebenzimmer: ›Saiten soll kommen!‹) Da hören Sie’s! Er schreit nach Saiten. Saiten hat das Feuilleton erobert!« »Hörn Sie auf! (Nachdenklich:) Allah hat es gewollt. Kismet ... Ich bin ausgezogen, weil ich beweisen wollte, daß man das auch erleben kann, was man schreiben kann, ohne es zu erleben. Und da kommt einer, der sein Lebtag nicht aus Premieren herausgekommen is und jedenfalls noch nie dem Krieg ins Gesicht gesehn hat — ich leugne ja nicht, daß er gut beobachtet, aber nur Erzherzoge!« »Sehn Sie, gerade das war sein Debüt. Er hat über Johann Orth geschrieben.« »Was Sie nicht sagen — hat er geschrieben, daß Johann Orth etwas Brausendes gehabt hat und einen Unband?« »Soweit ich mich erinner, ja.« »Von mir aus, soll er! Aber das eine möcht ich ihm nicht raten, daß er auch bei uns vom Tumult eines Lebens spricht!« »Ich sag Ihnen Zifferer, sehn Sie zu, daß Sie in jenems Tumult Ihre Position nicht verlieren. Den Chef haben die Briefe aus dem Publikum doch sehr verdrossen. Er legt bekanntlich großen Wert auf die Stimmungen —« »No also?« »Gewiß, aber auch auf die Stimmungen unter den langjährigen Abonnenten. Er will, daß geplaudert wird, er will, daß geschildert wird, aber er will nicht, daß grobe Briefe kommen. Alle kann er herauswerfen, nur die Abonnenten möcht er schließlich, wenns irgend geht, doch behalten. Saiten ist noch unverbraucht. Saiten war noch nicht im Krieg, er hat also einen Vorsprung vor Ihnen.« »Das ist der Dank — (halb für sich: Herbstzeitlosen ... die Raben ...) Unter solchen Umständen pfeif ich auf den Krieg. Steht dafür! Was sagen Sie, Kamerad Klein?« »Ich sage: Es ist etwas eigenes um die Frau.« »Was heißt um die Frau?« »Nein, ich will sagen: Kein Glück ist launischer als das des Krieges ... Wenn ich wollte, welch’ tiefsinnige Bemerkungen über Ursache und Wirkung könnte ich daran knüpfen, aber offen gestanden —« »Ich weiß schon, Sie sind nicht aufgelegt zu tiefsinnige Bemerkungen. Doktor, was soll ich tun?« »Abber — er wird sich beruhigen! Die Briefe haben ihn bißl aufgeregt, aber seien Sie ganz beruhigt, er wird sich beruhigen. Der Fehler war vielleicht, nehmen Sie mirs nicht übel, Sie haben vor Adrianopel ein bißl zu viel Eindrücke gehabt. Sehn Sie, man hat doch im Ganzen schon den Eindruck: Der Halbmond is auf den Kopf geschlagen und — (Der Redaktionschrist steckt den Kopf zur Tür herein und ruft: ›Das Kreuz hat gesiegt!‹) Was geht das den Goi an? Frechheit! Also sagen Sie Zifferer — man wird nicht klug — sind Sie eigentlich mehr für die Türken oder für die Bulgaren?« »Ich wer Ihnen sagen, die Türken haben mehr Stimmung, aber mehr Plastik haben entschieden die Balkanvölker. Psychologisch werden die Bulgaren mit Adrianopel fertig wem, weil sie im Unbewußten längst die Türken verdrängt haben. Der Sultan dürfe abreagieren —« »Sehn Sie, das is eben der Fehler von Ihnen. Diese Note haben Sie auch angeschlagen, und Sie wissen, der Chef will es nicht haben. (Man hört die Stimme des Herrn aus dem Nebenzimmer: ›Mit Rußland geklärt, mit Serbien zugespitzt.‹) Natürlich is es sehr schwer, sich wegen Konstantinopel auszukennen, der König hat gesagt, daß er nicht einziehn wird, der König hat gesagt, daß er ja einziehn wird. Man kann sagen, was man will, es steht ernst. Daß Danew nach Pest gekommen is, is jedenfalls günstig.« Klein: »Erlauben Sie mir, ich hab doch mit Fitschew gesprochen —« Der Redakteur (versunken:) »Schad, daß er nicht geheiratet hat!« »Wer, Fitschew?« »Nein, Mendl Singer, so geht der Adel wieder verloren ... schad. Was die Frage der Machtstellung und unser Prestige in Europa anlangt —« »Sie meinen Österreich?« »Wer redt von Österreich? Ich red vom Blatt! — so wird es also der Konferenz überlassen sein —« »Nach Canossa gehen wir nicht! Was Europa sagt, liegt uns stagelgrün auf.« »Wer redt von Europa? Ich red von der Redaktionskonferenz und sie wird zu untersuchen haben, wer von euch beiden mehr für das Ansehn im Orient getan hat. Wahrscheinlich wird man sich auf die Formel einigen: Meldungen sind gut, Stimmungen sind gut, wie gut müssen erst sein Meldungen mit Stimmungen! Soviel aber kann ich schon heute sagen, ich versteh offen gestanden nicht, woher bei Ihnen, Klein, diese Animosität gegen Zifferer herkommt.« »Weil er frech war vor Adrianopel!« »Was hat er getan?« »Was er getan hat? Urteilen Sie selbst. Grad am heißesten Tag, wo die Schlacht gewogt hat und wie es mir durch den Kopf schießt —« »Sss ..!« »— Wie es mir also durch den Kopf schießt, ich interview Sawow, kommt sich jener daher und schildert ausgerechnet dieselbe Abendröte, die ich geschildert hab, und hat noch die Chuzpe zu sagen ich versteh nichts von Strategie! Das hat mir schon nicht gefallen. Es hat mich sogar gegen ihn eingenommen. Später telegraphier ich: Jeden Früh wenn die Lerche heraufsteigt —, was glauben Sie, was er zu mir sagt? Das is falsch sagt er! So wahr ich da leb, wenn nicht die Rücksicht auf das Prestige gewesen wäre, ich hätt ihm einen Frass gegeben, geheimnisvoll des Abends. Was hat er zu sagen falsch?« »Ich versteh auch nicht, was da falsch sein soll. Ah so, ich weiß schon, was er meinen wird, wegen der Lerche! Es muß heißen, jeden Früh, wenn die Nachtigall heraufsteigt —« »Wieso die Nachtigall? Wenn die Lerche heraufsteigt, steigt doch die Nachtigall herunter, folglich muß es heißen —« »Das is zwar nicht ganz richtig, junger Mann, ich hab da etwas mehr Erfahrung, im Gegenteil, fragen Sie wen Sie wollen, daß die Nachtigall jeden Früh heraufsteigt, während die Lerche heruntersteigt. Aber was brauchen wir da streiten, das Einfachste, soll er sagen, was er gemeint hat!« Zifferer: »Ich hab gemeint, es is nicht gut deutsch!« »Nicht gut deutsch?! Warum haben Sie das nicht gleich gesagt, Sie Untam? Nicht gut deutsch! Sorgen was er hat in der Schlacht!« Der Redakteur: »Klein, unterschätzen Sie das nicht. Geben Sie ruhig zu, daß Sie in der Beziehung manchmal ein bißl salopp sind. Ich versteh zwar nicht, was da nicht gut deutsch sein soll, er meint jedenfalls das nachgestellte ›wenn‹!« »Natürlich mein ich das! Sehn Sie Doktor, Sie haben eben Sprachgefühl.« »Kunststück, Sprachgefühl zu haben, wenn man seit achtundzwanzig Jahren beim Blatt is! Man schreibt doch nicht nur, man lest doch auch und wer das Blattgefühl hat, hat auch das Sprachgefühl. Jeden Früh, wenn ich aufkomm und aufsteh, sobald ich meinen Kaffee trink und meine Eier eß, is es das erste, meine Frau bringt das Blatt, genau so wie wenn ich nur ein einfacher Abonnent war. Das werdets ihr nicht glauben, daß ich mich an der Sprache genau so noch heut delektieren kann wie noch Etienne gelebt hat — Gott waren das Zeiten! Kinder, man weiß, wofür man sich opfert! In diesem Sinne solltets ihr die Streitaxt beilegen und — (Man hört die Stimme des Herrn aus dem Nebenzimmer: ›Es wird verhandelt. Mehr läßt sich nicht sagen, und die Schwierigkeiten sind noch groß und trotzdem sind die Merkmale der Entspannung überall wahrnehmbar und das Friedensbedürfnis der Mächte ist nicht zu verkennen und man hofft zuversichtlich, daß es gelingen wird, alle Schwierigkeiten zu überwinden und nicht nur einen Modus vivendi, sondern auch ein dauerndes Freundschaftsverhältnis herbeizuführen und —‹) Wenn man denkt, wie sie überall an das Blatt denken! Bulgarien hat sich immer mit großer Klugheit benommen. Aber nicht nur —« Zifferer: »In Sofia wecken die Leitartikel lauten Beifall. Sie haben gesagt, wir beweisen, daß wir vollwertig sind, das heißt natürlich sie.« Klein: »Im serbischen Hauptquartier ging das Blatt bis nachts von Hand zu Hand. Man konstatiert mit Freude, daß die Neue Freie Presse Serbien seine Erfolge gönnt.« Der Redakteur: »No und die Türkei is e Hund? Hätten Sie hören solln, was Hilmi Pascha gesagt hat, er hat von unserem Ansehen im Orient gesprochen und daß wir der Türkei immer wohlgesinnt waren und wir sollen sie nur, Allah behüt, jetzt nicht im Stich lassen! Wenn sie auch untereinander Krieg führen, in der Anerkennung des Blattes sind sie einig. Überall war großer Kowed für das Blatt. Ferner haben, was auch ein sehr günstiges Symptom ist, einige Frauen in Sofia zwei bulgarischen Offizieren Blumen gebracht und dem Major freundlich die Hand gereicht. Hartwig ist zwar noch broiges auf Österreich, aber die Fortdauer der Merkmale der Symptome der Anzeichen der beginnenden Entspannung läßt sich nicht mehr in Abrede stellen. Kinder, versöhnts euch. Sprengts den Balkanbund nicht durch Eifersüchteleien, Sticheleien und Eigenbledeleien. Schonts die Empfindlichkeiten. Ihr habts doch jeder in seiner Art geleistet. Freuen wir uns, daß die Presse zwei solche Spezialberichterstatter hat! (Man hört die Stimme des Herrn aus dem Nebenzimmer: ›— und wie sie die Leidenschaften aufgestachelt haben und die Einbildungskraft vergiftet und mit der Verderbtheit geködert haben und wie sie nicht Bedacht genommen haben auf die Stimmungen und mit den Reizungen und den Sticheleien die Empfindlichkeiten nicht geschont haben und wie die Eigenliebe hervorbrach und die Beklemmungen über die Gewaltherrschaft sich zeigten und der Übermut und die Ausgelassenheit in den Forderungen keine Grenze mehr kannte. Wir möchten heute nicht der Zukunft vorgreifen, aber Hütten hat gesagt, es ist eine Lust zu leben, und das muß auch für die Monarchie gelten. Das Publikum ist verängstigt und niemand kann sagen, was der morgige Tag bringen wird. Vielleicht ist in diesem Augenblick bereits die Erkenntnis erwacht und vielleicht sind sie schon von Reue gequält und man kann sich vorstellen, wie sie sich bei Nacht schon unruhig herumwälzen und die Sorge nagt und die Gesundung ist nicht länger zu verschieben und man denkt an das Wort des Kronprinzen, ein Meer von Licht soll sich ergießen.‹) Gotteswillen — diktiert er gegen die Christlichsozialen oder meint er euch?« Klein: »Ka Spur, er is wütend auf der Türkei.« Zifferer: »Einen Schmarrn, er diktiert gegen die Machthaber der Entente!« Der Redakteur: »Aber — das kommt doch erst im Weltkrieg!.. Sie sehn, Zifferer, jedenfalls legt er Wert auf Stimmungen. Danach müssen Sie sich künftig richten.« »Was Stimmungen betrifft, wer ich meinen Mann stellen! Was versteht er aber unter Stimmungen? Doch selbstredend wenn die Abendröte heraufsteigt?« »Ja, auch, aber hauptsächlich, wenn sie sich Jachten in der Entente!« »Wie mach ich das?« »Sehr einfach, Sie müssen durch Meldungen bewirken einen Rückschlag auf die Stimmungen der Entente!« »Also nicht, wenn die Herbstzeitlosen blühn?« »Ja, aber für Rußland! Geben Sie Symboles, das hat er gern. Hören Sie nur, wie er es scharf hat auf den Zarismus! Er diktiert über das Moskowitertum und kommandiert mit der Knute. Man hört sein eigenes Wort nicht — (Klein geht drohend auf Zifferer los) Aber wenn er schon so schreit, hörts doch ihr um Gotteswillen auf und gebts Ruh mit der Streitaxt!« »Zifferer, hab ich gesehn, hat gar nichts gehört!« »Klein, hab ich gehört, hat gar nichts gesehn!« »Das is möglich, aber bitte ich hab es als Augenzeuge des Kampfes vom 29. Oktober ausdrücklich zugegeben!« »Einen Schmarrn haben Sie also gesehn. Ich — ich hab wenigstens Töne gehört und außerdem hab ich ein großes, dämmerhaftes Erleben gehabt. Da kann Klein sich verstecken! Wissen Sie Dokter, wo ich geschlafen hab?!« »Wo Sie geschlafen haben? Wie soll ich wissen, wo Sie geschlafen haben? No wo werden Sie schon geschlafen haben! Wo haben Sie also geschlafen?« »Wo ich geschlafen hab? No wo glauben Sie hab ich geschlafen? Auf die Erfindungskraft kommt es an, wenn man in einem Krieg ein Quartier sucht! Ich hab in einem Harem geschlafen!« Der Redakteur: »Gotteswillen!« »Beruhigen Sie sich, er war leer. Ich hab jeden Moment erwartet, eine Odaliske wird auftauchen. Es is aber keine gekommen. Ich sag Ihnen, es träumt sich wunderbar in einem Harem, man schiebt einfach das Seidenkissen der fernen, unbekannten Herrin unter den Kopf, man kann sich sofort prächtig einrichten, als wär’s ein Kastell.« Klein: »Aufgewachsen in einem Kastell!« »Sie, fangen Sie schon wieder an? Und wenn Sie zerspringen, ich hab in einem Harem übernachtet! Ich hab sogar einen Band amouröser Novellen dort gefunden. Ich hab dabei abreagiert.« Der Redakteur: »Zifferer, Sie sind ein unverbesserlicher Idealist! Aber recht haben Sie, Sie sind jung, warum sollen Sie sich nicht amüsieren gehn in Harems? Ich sag euch Kinder, ihr warts zu schüchtern. Schad, daß ihr nicht mehr Andenken mitgebracht habts —« Klein: »Wir Österreicher kranken alle an einer falschen Bescheidenheit.« »Schad um das, was dort alles herumliegen muß! Soll Allah es ihnen ersetzen! Fort mit den Asiaten aus der Türkei! Ein Volk, das mit Abendgebete kommt — während in derselben Stunde vielleicht — unsere braven österreichischen Korrespondenten Sechsundsechzig — (Man hört die Stimme des Herrn aus dem Nebenzimmer: ›Deutschland wird für uns fechten.‹) Kinder, spielts, lebts, schreibts, laßts euch durch nichts imponieren. Verantwortlich sind andere! (Man hört die Stimme des Herrn aus dem Nebenzimmer: ›Wir sind für den Frieden, wenn auch nicht für den Frieden um jeden Preis. Sie werden für uns fechten. — Man versteht nicht, was Rußland schon davon hat. — Die Lage ist stationär. — Kriegsstimmungen sind in der ganzen Welt nicht aufzutreiben. — Die Kriegsstimmung ist zum Aufschäumen gebracht. — Der Zorn stieg in den Herzen auf. — Aus den Fenstern der Ringstraße hätte man die Truppen auf dem Wege zur Grenze mit Händeklatschen begleitet. — Spielen lassen wir mit uns nicht. — Wir bitten um den Mut zu Ausgaben im Weihnachtsmonat. — Das Hemd soll sich Auffenberg aufreißen und die Narben soll er zeigen von den Wunden. — Eine Mißhandlung wurde dem Konsul Prochaska angedichtet, von der es besser ist, gar nicht zu sprechen. — Der Glaube, daß in Prizrend etwas vorgefallen sei, was durch die Mittel der Diplomatie nicht wieder in Ordnung zu bringen wäre, hat sich verflüchtigt. — Der Türkei ist das Rückgrat zerbrochen. — Zerschmettert sind sie. — Auf die jetzige Krise paßt der Vers des Dichters von der Ischler Esplanade, das höchste Glück auf Erden ist, gesund zu werden. — Fechten wird er für uns hat er gesagt!‹) Hören Sie, wie er aufgeregt is ... Bei dem wirds nie eine Entspannung geben! Aber ihr solltet dem Prestige und der Weltmacht des Blattes —« (Münz tritt hastig ein und spricht, während alle in höchster Spannung lauschen, die Worte:) »Meine Herren, ich muß Ihnen leider die Mitteilung machen, der Statusquo ist nicht mehr aufrechtzuerhalten. Und wenn Sie es noch nicht wissen sollten —«
Man hört die Stimme des Herrn aus dem Nebenzimmer: »Alle werf ich heraus!« Unter allgemeiner Entspannung fällt der Vorhang.
Vgl.: Die Fackel, Nr. 366/367, XIV. Jahr
Wien, 11. Januar 1913.