Armer Mann
Armer Mann, von Gombert, ZfdW. 3, 164, bereits seit 1805 als geläufiger Ausdruck zur Bezeichnung der Gesamtheit der „armen Leute“ belegt. In Karl Becks „Liedern vom armen Mann“ (1846) aber tritt er uns dann zunächst als fertiges Schlagwort sozialistischer Färbung entgegen. Darüber belehrt auch Hartmann, Reimchronik des Pfaffen Maurizius 1, 13 (1849):
„Als wir unter einem armen
Schwarzgelben holzweg-versigen Carmen
Den Namen eines Poeten lesen,
Der noch vor Kurzem mit tollem Blasen
Als „armer Mann“ und Sozialist,
Als Atheist und Kommunist,
Als zerfahrener Poete sang.“
Zwanzig Jahre später nimmt Bismarck wieder das Schlagwort mit neuem Nachdruck aus, jedoch in Anlehnung an die alte Bedeutung als prägnanten Ausdruck für die unbemittelten und daher nur wenig steuerkräftigen Volksklassen. Vgl. Büchmann S. 656. So sprach er (Polit. Reden 4, 236) am 21. Mai 1869 davon, „wie grausam es wäre, dem armen Mann sein Pfeifchen Tabak oder den stärkenden Trank zu verkümmern", und am 21. Juni 1869 (ebenda 4, 269): „Ich werde jedes Mal von einem gewissen Bedauern ergriffen, dass wir nicht mit voller sachlicher Offenheit uns gegeneinander aussprechen, wenn ich gefühlvolle Klagen zu hören bekomme über den armen Mann, der sein Petroleum, sein Augenlicht, seine Intelligenz, der sein Pfeifchen Tabak besteuert sehen soll.“
Infolge der seitdem beliebten biedermännisch rührsamen Agitation erblühte dann aus dem Munde des Grafen Franz von Ballestrem in der Reichstagssitzung vom 5. Juli 1879 das Diktum vom „sogenannten armen Mann“, das Bismarck am 28. März 1881 (Polit. Reden 8, 405) noch übertrumpfte durch den Ausspruch: „Der Branntwein aber ist das Getränk des berühmten armen Mannes.“ Vgl. auch ebenda S. 361 „Belastungen des armen Mannes durch die Korn- und Petroleumzölle“ und S. 407 ff. Ferner die Bemerkung vom 2. April 1881 (Polit. Reden 9, 31): „Da hat man sich um den „armen Mann“ gerissen, wie um die Leiche des Patroklus.“
Dann folgte am 9. Januar 1883 die „Trichine des armen Mannes“ (ebenda S. 438) und am 15. Januar 1889 (Polit. Reden 12, 542) der „Schnaps des armen Mannes". In poetischer Beleuchtung erscheint „der mit Recht so beliebte arme Mann“ (Harden, Apost. 1, 195) z. B. bei Schmidt-Cabanis, Auf der Bazillen-Schau S. 78 und 103.