Atavismus
Atavismus, d. h. Rückartung zum Ahnentypus, rückschreitende Erblichkeit (von lat. atavus-Urältervater) scheint seit Ausgang der sechziger und Anfang der siebziger Jahre allmählich ins große Publikum gedrungen zu sein. Etwa 1880 tritt uns der Ausdruck als allgemein übliches Schlagwort bereits entgegen. Vgl. Sanders, Fremdw. 1, 107. Aus der wissenschaftlichen Fachsprache belegt Murray 1, 531 Atavism schon 1833, Littre 1, 225 (1863) bucht atavisme als botanisch-physiologischen Terminus, trägt aber im Suppl. (1877) S. 26 eigens die besondere moderne Anwendung nach: „réapparition d’un caractère primitis après un nombre indéterminé de générations".
Nietzsche 12, 96 (1881/82) verwendet das Schlagwort in freier Übertragung, indem er von einem „Atavismus des Gefühls“ spricht. Ferner 5, 47 (1882) überschreibt er einen Aphorismus: Eine Art von Atavismus und führt darin aus: „Die seltenen Menschen einer Zeit verstehe ich am liebsten als plötzlich auftauchende Nachschößlinge vergangener Kulturen und deren Kräfte: gleichsam als den Atavismus eines Volks und einer Gesittung.“ Nordau, Die konventionellen Lügen (1883) S. 108, bekennt: „Anthropologie und Atavismus und Heredität, alle die schönen Worte, die ich zum Verständnisse der Loyalität des unwissenden und gemeinen Volkes anrufe, lassen mich im Stiche, wenn ich vor dem Byzantinismus der Vornehmen und Gebildeten stehe.“
Für die Beliebtheit des Ausdrucks nur noch ein Zeugnis. Scherr, Haidekraut (1883) S. 287 schreibt von der „Lehre vom Atavismus, womit unsere Zeit, wie mit anderen gleichwertigen Aufstellungen und Schlagwörtern, so dicktut.“