Lied (Dichtkunst)

Lied. (Dichtkunst) Man hat diesen Namen so mancherlei lyrischen Gedichten gegeben, dass es schwer ist den eigentlichen Charakter zu zeichnen, der das Lied von den ihm verwandten Gedichten, der Ode und dem Hymnus, unterscheidet. Wir haben schon mehrmal erinnert, dass sich die Grenzen zwischen den Arten der Dinge, die nur durch Grade von einander unterschieden sind, nicht genau bestimmen lassen.1 Die Ode und das Lied haben so viel gemeinschaftliches, dass sowohl der eine als der andere dieser beiden Namen, für gewisse Gedichte sich gleich gut zu schicken scheint. Unter den Gedichten des Horaz, die alle den Namen der Oden haben, sind auch Lieder begriffen und einige kommen auch in der Sammlung vor, die Klopstock unter der allgemeinen Aufschrift Oden, herausgegeben hat.2 Will man aber das Lied von der Ode wirklich unterscheiden, so könnten vielleicht folgende äußerliche und innerliche Kennzeichen für dasselbe angenommen werden.

 Zur äußern Unterscheidung könnte man annehmen, dass das Lied allezeit müsste zum Singen und so eingerichtet sein, dass die Melodie einer Strophe, sich auch auf alle übrigen schickte; da die Ode entweder bloß zum Lesen dient oder, wenn sie soll gesungen werden, für jede Strophe einen besonderen Gesang erfordert. Nach diesem angenommenen Grundsatz würde das Lied sich von der Ode in Absicht auf das Äußerliche oder Mechanische, sehr merklich unterscheiden. Denn jeder Vers des Liedes, müsste einen Einschnitt in dem Sinn und jede Strophe eine eigene Periode ausmachen oder noch besser würde jede Strophe in zwei Perioden eingeteilt werden, da jede sich mit einer langen Silben endigte, weil die Kadenz des Gesangs dieses erfordert.3  Die Ode bindet sich nicht an diese Regel; ihr Vers macht nicht allemal Einschnitte in dem Sinn und ihre Strophen richten sich nicht nach den Perioden. Ferner müsste in dem Liede die erste Strophe in den Einschnitten, Abschnitten und Schlüßen der Perioden, allen übrigen zum Muster dienen. In der Ode hingegen würden die verschiedenen Strophen sich bloß in Absicht auf das mechanische Metrum gleich sein, ohne alle Rücksicht auf das Rhythmische, das aus dem Sinn der Worte entsteht. Endlich würde das Lied die Mannigfaltigkeit der Füße nicht zulassen, welche die Ode sich erlaubt; sondern in allen Versen durchaus einerlei Füße beibehalten, außer dass etwa der Schlussvers jeder Strophe ein andres Metrum hätte, wie in der Sapphischen Ode. Denn eine solche Gleichförmigkeit ist für den leichten Gesang sehr vorteilhaft. Eine gründliche Anzeige der äußerlichen Eigenschaften des Liedes, das sich vollkommen für die Musik schickt, findet sich in der Vorrede zu den 1760 in Berlin bei Birnstiel herausge kommenen Oden mit Melodien.

 Mit diesem äußerlichen Charakter des Liedes müsste denn auch der innere genau übereinstimmen und in Absicht der Gedanken und Äußerung der Empfindungen würde eben die Gleichförmigkeit und Einfalt zu beobachten sein. Alles müsste durchaus in einem Ton des Affekts gesagt werden; weil durchaus dieselbe Melodie wiederholt wird. Die Ode erhebt sich bisweilen auf einigen Stellen hoch über den Ton des anderen, auch verstattet sie wohl gar mehrere leidenschaftliche Äußerungen von verschiedener Art, so dass eine Strophe sanft fließt, da die anderen ungestühm rauschen. Der hohe und ungleiche Flug der Ode, kann im Lied nicht statt haben. So stark oder so sanft die Empfindung im Anfange desselben ist, muss sie durchaus fortgesetzt werden.

 Der Geist des eigentlichen Liedes, insofern es von der Ode verschieden ist, scheint überhaupt darin zu bestehen, dass der besungene Gegenstand durchaus derselbige bleibt, damit das Gemüt dieselbe Empfindung lange genug behalte, um völlig davon durchdrungen zu werden und damit der Gegenstand der Empfindung von mehreren, aber immer dasselbe wirkenden Seiten, betrachtet werden.

 Schon daraus allein, dass man von dem Lied erwartet, es soll eine einzige leidenschaftliche Empfindung eine Zeitlang im Gemüt unterhalten und eben da durch dieselbe allmählich tiefer und tiefer einprägen, bis die ganze Seele völlig davon eingenommen und beherrschet wird, könnten fast alle Vorschriften für den Dichter hergeleitet werden. Soll es z.B. das Herz ganz von Dankbarkeit gegen Gott erfüllen, so dürfte der Dichter nur durch das ganze Lied die verschiedenen göttlichen Wohltaten in einem recht rührenden Ton erzählen; wobei er sich aber auch nicht die geringste von den Ausschweifungen auf andere Gegenstände, die der Ode so gewöhnlich sind, erlauben müsste. Soll das Lied Mut zum Streit machen, so müsste durchaus entweder Hass gegen den Feind oder Vorstellung von der Glückselig keit, der durch den Streit zu erkämpfenden Ruhe und Freiheit oder andere Vorstellungen, wodurch der Mut unmittelbar angeflammt wird, ohne Abweichung auf andere Dinge vorgetragen werden.

 Es ist überhaupt notwendig, dass der Dichter von der Empfindung, die er durch das Lied unterhalten und allmählich verstärken will, selbst so ganz durchdrungen sei, dass alle andere Vorstellungen und Empfindungen dann völlig ausgeschlossen bleiben; dass er nichts als das einzige, was er besingen will, fühle; dass er ein völliges uneingeschränktes Gefallen an dieser Empfindung habe und ihr gänzlich nachhange. In der Ode kann sich seine Laune, ehe er zu Ende kommt, mehr als einmal ändern; im Lied muss sie durchaus dieselbe sein.

 Wenn man bedenkt, wie wenig oft dazu erfordert wird, die Menschen in leidenschaftliche Empfindung zu setzen;4  und wie leicht es ist, eine einmal vorhandene Laune durch Dinge, die ihr schmeicheln, immer lebhafter zu machen, so wird man begreifen, dass zum Inhalt des Liedes wenig Veranstaltungen erfordert werden. Es gibt mancherlei Gelegenheiten, besonders wenn mehrere Menschen in einerlei Absicht versammlet sind, wo ein Wort oder ein Ton, alle plötzlich in sehr lebhafte Empfindung setzt. Bei traurigen Gelegenheiten, wo jedermannn in stiller und ruhiger Empfindung für sich staunet, darf nur einer anfangen zu weinen, um allen übrigen Thränen abzuloken; so wie bei gegenseitigen Anläsen, das Lachen eines einzigen, eine ganze Gesellschaft lachen macht. Man hat Beispiele, dass die Äußerung der Furcht oder des Mutes eines einzigen Menschen ganze Schaaren furchtsam oder beherzt gemacht hat. Und wie oft geschieht es nicht, dass man in Gesellschaft vergnügt und fröhlich ist, lacht und scherzt; oder im Gegenteil, dass Leute aufgebracht sind, Meuterei und Aufruhr anfangen, ohne eigentlich zu wissen warum. Ein einziger hat den Ton angegeben und die übrigen sind davon angesteckt worden.

Hieraus ist abzunehmen, dass bei gewissen Gelegenheiten, ein Lied, wenn es nur den wahren Ton der Empfindung hat, auch ohne besondere Kraft seines Inhalts, ungemein große Wirkung tun könne; woraus denn ferner folgt, dass der empfindungsvolle Ton, worin die Sachen vorgetragen werden, dem Lied die größte Kraft gebe. Darum sind da, weder tiefsinnige Gedanken, noch Worte von reichem Inhalt, noch kühne Wendungen, noch andere der Ode vorbehaltene Schönheiten nötig. Das einfachste ist zum Lied das beste, wenn es nur sehr genau in dem Ton der Empfindung gestimmt ist.

 Der Inhalt des Liedes kann von zweierlei Art sein. Entweder schildert der Dichter seine vorhandene Empfindung, seine Liebe, Freude, Dankbarkeit, Fröhlichkeit u.s.w. oder er besinget den Gegenstand, der ihn oder anderen, in die leidenschaftliche Empfindung setzen soll; oder es enthält wohl auch nur bloße Betrachtungen solcher Wahrheiten, die das Herz rühren. Denn wir möchten diese lehrenden Lieder nicht gern verworffen sehen; obgleich unser größte Dichter5  sie nicht zulassen will. Aus diesen drei Arten entsteht die vierte, da der Inhalt des Liedes abwechselnd, bald von der einen, bald von der anderen Art ist. Bei allen Arten muss der Ausdruck einfach, ungekünstelt und so viel immer möglich durch das ganze Lied sich selbst gleich sein. Alles muss in kurzen Sätzen, wo die Worte natürlich und leicht zusammengeordnet sind, ausgedruckt werden: die Schilderungen müssen kurz und höchst natürlich sein. Es muss nichts vorkommen, das die Aufmerksamkeit auf erforschendes Nachdenken leiten, folglich von der Empfindung abführen könnte. Deswegen sowohl der eigentliche als der figürliche Ausdruck mit allen Bildern bekannt und geläufig sein muss. Wo der Dichter lehren, unterrichten oder überreden will, muss er höchst popular sein und den Sachen mehr durch einen völlig zuversichtlichen Ton als durch Gründe den Nachdruck geben. Setzt man zu diesem noch hinzu, dass das Lied, sowohl in der Versart als in dem Klang der Worte, den leichtesten Wohlklang haben müsse, so wird man den innerlichen und äußerlichen Charakter desselben ziemlich vollständig haben. Dass das nach diesem Charakter gebildete und von Musik begleitete Lied eine ausnehmende Kraft habe, die Gemüter der Menschen völlig einzunehmen, ist eine aus Erfahrung aller Zeiten und Völker bekannte Sache: denn schon der Gesang, ohne vernehmliche Worte, so wie er sich zum Lied schickt, (wovon im nächsten Artikel besonders gesprochen wird) hat eine große Kraft Empfindung zu erwecken: kommen nun noch die eigentlichsten auf denselben Zweck abziehlenden Vorstellungen dazu und wird beides durch das Bestreben des Singenden, seine Töne recht nachdrücklich, recht empfindungsvoll vorzutragen, noch mehr gestärket; so bekommt das Lied eine Kraft der in dem ganzen Umfange der schönen Künste nichts gleich kommt. Denn das bloß Mechanische des Singens führt schon etwas, den Affekt immer mehr verstärkendes, mit sich. Die höchste Wirkung aber hat dasjenige Lied, welches von vielen Menschen zugleich feierlich abgesungen wird; weil alsdenn, wie anderswo gezeigt worden,6  die leidenschaftlichen Eindrücke am stärksten werden, wenn mehrere zugleich sie äußern.

  Unter die wichtigsten Gelegenheiten großen Nutzen aus den Liedern zu ziehen, sind die gottesdienstlichen Versammlungen, zu deren Behuf unter allen gesitteten Völkern alter und neuer Zeiten, besondere Lieder verfertigt worden. Von allen zu Erweckung und Bekräftigung wahrer Empfindungen der Religion gemachten oder noch zu machenden Anstalten, ist gewiss keine so wichtig als diese. Schon dadurch allein, dass jedes Glied der Versammlung das Lied selbst mitsingt, erlangt es eine vorzügliche Kraft über die beste Kirchenmusik, die man bloß anhört. Denn es ist ein erstaunlicher Unterschied zwischen der Musik, die man hört und der, zu deren Aufführung man selbst mitarbeitet. Die geistlichen Lieder, die bloß rührende Lehren der Religion in einem andächtigen Ton vortragen, bekommen durch das Singen eine große Kraft; denn in dem wir sie singen, empfinden wir auch durch das bloße Verweilen auf jedem Worte, seine Kraft weit stärker als beim Lesen.

 Deswegen sollten die, denen die Veranstaltungen dessen, was den öffentlichen Gottesdienst betrift, aufgetragen sind, sich ein ernstliches Geschäft daraus machen, alles was hierzu gehört auf das Beste zu veranstalten. Unsre Vorältern scheinen die Wichtigkeit dieser Sache weit nachdrücklicher gefühlt zu haben als man sie jetzt fühlt. Die Kirchenlieder und das Absingen derselben, wurden vor Zeiten als eine wichtige Sache angesehen, jetzt aber wird dieses sehr vernachläßiget. Zwar haben unlängst einige unserer dichter, durch das Beispiel des verdienstvollen Gellerts ermuntert, verschiedene Kirchenlieder verbessert, auch sind ganz neue Sammlungen solcher Lieder gemacht worden: und es fehlt in der Tat nicht an einer beträchtlichen Anzahl alter und neuer sehr guter geistlicher Lieder. Aber der Gesang selbst wird bei dem Gottesdienst fast durchgehends äußerst vernachläßiget; ein Beweiß, dass so mancher Eiferer, der alles in Bewegung setzt, um gewisse in die Religion einschlagende Kleinigkeiten nach alter Art zu erhalten, nicht weiß was für einen wichtigen Teil des Gottesdienstes er übersteht, da er den Kirchengesang mit Gleichgültigkeit in seinem Verfall liegen lässt.

  Nächst den geistlichen Liedern kommen die, welche auf Erweckung und Verstärkung edler Nationalempfindungen abziehlen, vornehmlich in Betrachtung. Die Griechen hatten ihre Kriegesgesänge und Pöane, die sie allemal vor der Schlacht zur Unterstützung des Mutes feierlich absangen und ohne Zweifel hatten sie auch noch andere auf Unterhaltung warmer patriotischer Empfindungen abziehlende Lieder, die sowohl bei öffentlichen- als privat- Gelegenheiten angestimmt wurden. Auch unsere Vorältern hatten beide Gattungen: die Barden, deren Geschäft es war, solche Lieder zu dichten und die Jugend im Absingen derselben zu unterrichten, machten einen sehr ansehnlichen öffentlichen Stand der bürgerlichen Gesellschaft aus. Wenn unsere Zeiten vor jenen, einen Vorzug haben, so besteht er gewiss nicht darin, dass diese und noch andere politische Einrichtungen, die auf Befestigung der Nationalgesinnungen abziehlen, jetzt völlig in Vergessenheit gekommen sind. Aber wir müssen die Sachen nehmen, wie sie jetzt stehen. Man muss izt bloß von wohl gesinnten, ohne öffentlichen Beruf und ohne Aufmunterung, aus eigenem Trieb arbeitenden Dichtern, dergleichen Lieder erwarten. Unser Gleim hat durch seine Kriegeslieder das seinige getan, um in diesem Stück die Dichtkunst wieder zu ihrer ursprünglichen Bestimmung zurück zu führen. Durch sein Beispiel ermuntert, hat Lavater ein warmer Republicaner, für seine Mitbürger patriotische Lieder gemacht, darin viel Schätzbares ist. Es ist zu wünschen, dass diese Beispiele mehrere Dichter, die außer dem poetischen Genie wahre Vernunft und Rechtschaffenheit besizen, zur Nachfolge reize.

 Die dritte Stelle könnte man den sittlichen Liedern einräumen, welche Aufmunterungen entweder zu allgemeinen menschlichen Pflichten oder zu den besonderen Pflichten gewisser Stände enthalten oder die die Annehmlichkeiten gewisser Stände und Lebensarten besingen. Diese müssen, wenn man nicht die natürliche Ordnung der Dinge verkehren will, den bloßen Ermunterungen zur Freude vorgezogen werden. Noch ehe man ein: Brüder laßt uns lustig sein, anstimmt, welches allerdings auch seine Zeit hat, sollte man ein: Brüder laßt uns fleißig oder redlich sein, gesungen haben. Man findet dass die Griechen Lieder für alle Stände der bürgerlichen Gesellschaft und für alle Lebensarten gehabt haben,7  die zwar, wie aus einigen Überbleibseln derselben zu schließen ist, eben nicht immer von wichtigem Inhalt gewesen: aber darum sollte eine so nützliche Sache nicht völlig versäumt, sondern mit Verbesserung des Inhalts nachgeahmt werden. Man hat ein so leichtes und doch so kräftiges Mittel, die Menschen zum Guten zu ermuntern, nicht so sehr vernachläßigen sollen. Es ist bereits im Artikel über die Leidenschaften erinnert worden, was einer der vortrefflichsten Menschen, der zugleich ein Mann von großem Genie ist, von der Wichtigkeit solcher Lieder denkt. Man wird schwerlich ein wirksameres und im Gebrauch leichteres Mittel finden als dieses ist, die Gesinnungen und Sitten der Menschen zu verbessern. Ich besinne mich in einer vor nicht gar langer Zeit herausgekommenen Sammlung englischer Gedichte von einem gewissen Hamilton ein Lied von ausnehmender Schönheit gelesen zu haben, darin ein edles junges Frauenzimmer den Charakter des Jünglings schildert, den sie sich zum Gemahl wählen wird. Es ist so voll edler Empfindungen und sie sind in einen so einnehmenden Ton vorgetragen, dass ich mir nicht vorstellen kann, wie ein junges Frauenzimmer ein solches Lied, zumal wenn es gut in Musik gesetzt wäre, ohne merklich nützlichen Einfluss auf ihr Gemüt, singen könnte. Zu wünschen wäre, dass jede Angelegenheit des Herzens auf eine so einnehmende und rührende Weise in Liedern behandelt würde. Hier öffnet sich ein unermeßliches Feld für Dichter, die die Gabe besizen ihre Gedanken in leichte und melodiereiche Verse einzukleiden.

 Zunächst an diese Gattung gränzen die sanften affektvollen Lieder, deren Charakter Zärtlichkeit ist. Klagelieder über den Tod einer geliebten Person; Liebeslieder von wahrer Zärtlichkeit, durch seine sittliche Empfindungen veredelt; Klagen über Wiederwärtigkeit; freudige Äußerungen über erfüllte Wünsche und dergleichen. Man hat in dieser Art Lieder von der höchsten Schönheit. Was kann z. B. einnehmender sein als der Abschied von der Nice des Metastasio? Alles, was von wohl geordneten zärtlichen Empfindungen der edelsten Art in das menschliche Herz kommen kann, werden recht gute Liederdichter in dieser Art anbringen können. Sie können ungemein viel zur Veredlung der Empfindungen beitragen. Und wenn auch zulezt nichts darin sein sollte als eine naive Äußerung irgend einer unschuldigen Empfindung, so sind sie wenigstens höchst angenehm. Hievon will ich nur ein paar Beispiele zum Muster anführen. Das eine ist das bekannte Lied: Siehst du jene Rosen blühn; das andere ein Lied aus der komischen Oper die Jagd, das anfängt: Schön sind Rosen und Jesminen .

 Eine ganz besondere Annehmlichkeit und Kraft Empfindungen einzupflanzen, könnten solche Lieder haben, wo zwei Personen abwechselnd singen und mit einander um den Vorzug feiner und edler Empfindungen streiten. Man weiß wie sehr Scaliger von dem Horazischen Lied: Donec gratus eram tibi,8  gerührt worden: und doch ist es im Grund bloß naiv. So könnte aus Klopstocks Elegie Selmar und Selma ein vortreffliches Lied in dieser Art gemacht werden; und so könnte man zwei in einander verliebte Personen in abwechselnden Strophen singen lassen, da jede auf eine ihr eigene Art zwar natürliche, aber feine und edle Empfindungen äusserte; oder zwei Jünglinge einführen, die wetteifernd die liebenswürdigen Eigenschaften ihrer Schönen besängen. Offenbar ist es, wie dergleichen Gesänge, wenn der Dichter Verstand und Empfindung genug hat, von höchstem Nutzen sein könnten. Nur müsste man sich dabei auf der einen Seite nicht bei bloß sinnlichen Dingen, einem Grübchen im Kinn oder einem schönen Busen, aufhalten und immer mit dem Amor, mit Küssen und den Grazien spielen; noch auf der anderen Seite seine Empfindungen ins phantastische treiben und von lauter himmlischen Entzückungen sprechen. Die Empfindungen, die man äußert, müssen natürlich und nicht im Enthusiasmus eingebildet sein; nicht auf bloß vorübergehende Aufwallungen, sondern auf dauerhafte, rechtschaffenen Gemütern auf immer eingeprägte Züge des Charakters gegründet sein. Hier wäre also für junge Dichter von edler Gemütsart noch Ruhm zu erwerben. Denn dieses Feld ist bei der ungeheuren Menge unserer Liebeslieder, noch wenig angebaut.

  Zulezt stehen die Lieder, die zum gesellschaftlichen Vergnügen ermuntern. Diese, auch selbst die artigen Trinklieder, wenn sie nur die, von der gesunden Vernunft gezeichneten Grenzen einer wohl gesitteten Fröhlichkeit nicht überschreiten, sind schätzbar. Die Fröhlichkeit gehört allerdings unter die Wohltaten des Lebens und kann einen höchst vorteilhaften Einfluss auf den Charakter der Menschen haben. Der hypochondrische Mensch ist nicht bloß dadurch unglücklich, dass er seine Tage mit Verdruss zubringt; ihn ver leitet der Verdruss sehr oft unmoralisch zu denken und zu handeln. Wol ihm, wenn die Dichter der Freude sein Gemüt bisweilen erheitern könnten!

 Aber es ist nicht so leicht als sich der Schwarm junger unerfahrner Dichter einbildet, in dieser Art etwas hervorzubringen, das den Beifall des vernünftigen und feineren Teils der Menschen verdient. Nur gar zu viel junge Dichter in Deutschland haben uns läppische Kindereien, anstatt scherzhafter Ergötzlichkeiten gegeben; andere haben sich als ekelhafte, grobe Schwelger oder einem wirklich liederlichen Leben nachhängende verdorbene Jünglinge gezeigt, da sie glaubten eine anständige Fröhlichkeit des jugendlichen und männlichen Alters zu besingen. Es ist nichts geringes auf eine gute Art über gewisse Dinge zu scherzen und bei der Fröhlichkeit den Ton der feineren Welt zu treffen. Wer nicht lustig wird als wann er im eigentlichen Verstand schwelget; wen die Liebe nicht vergnügt als durch das Gröbste des thierischen Genusses, der muss sich nicht einbilden mit Wein und Liebe scherzen zu können. Mancher junge deutsche Dichter glaubt, die feinere Welt zu ergötzen und Niemand achtet seiner als etwa Menschen von niedriger Sinnesart, die durch die schönen Wissenschaften so weit erleuchtet worden, dass sie wissen, was für Gottheiten Bachus, Venus und Amor sind. Aber wir haben uns hierüber schon anderswo hinlänglich erkläret.9  Der große Haufen unserer vermeintlich scherzhaften Liederdichter verdient nicht, dass man sich in umständlichen Tadel ihrer kindischen Schwermereien einlasse. Unser Hagedorn kann auch in dieser Art zum Muster vorgestellt werden. Seine scherzhaften Lieder sind voll Geist und verraten einen Mann, der die Fröhlichkeit zu brauchen gewußt hat, ohne sie zu mißbrauchen. Aber hierin scheinen die französischen Dichter an naivem, geistreichem und leichtem Scherz alle anderen Völker zu übertreffen. Man hat eine große Menge ungemein schöner Trinklieder von dieser Nation.

 Die bloß witzig scherzhaften Lieder, worin außer einigen schalkhaften Einfällen auch nichts ist, das zur Fröhlichkeit ermuntert, verdienen hier gar keine Betrachtung und gehören vielmehr in die geringste Klasse der Gedichte, davon wir unter dem Namen Sinngedichte sprechen werden. Zu dieser Art rechnen wir z.B. das X Lied im ersten Teil der vorherangezogenen Berlinischen Sammlung einiger Oden mit Melodien, welches zur Aufschrift hat: Kinderfragen und noch mehrere dieser Sammlung. Noch weniger rechnen wir in die Klasse der nützlichen Lieder diejenigen, die persönliche Satyren enthalten; wie so viele Vaudevilles der französischen Dichter. Sie sind ein Mißbrauch des Gesangs.

Unsere heutige Meister und Liebhaber der Musik machen sich gar zu wenig aus den Liedern. In keinem Konzert hört man sie singen: rauschende Konzerte, mit nichtsbedeutenden Symphonien untermischt und mit Opernarien abgewechselt, sind der gewöhnliche Stoff der Konzerte, die deswegen von gar viel Zuhörern mit Gleichgültigkeit und Gähnen belohnt werden. Glauben dann die Vorsteher und Anordner dieser Konzerte, dass sie sich verunehren würden, wenn sie dabei Lieder singen ließen? Und können sie nicht einsehen, wie wichtig sie dadurch das machen könnten, was jetzt bloß ein Zeitvertreib ist und oft so gar dieses nicht einmal wäre, wenn die Zuhörer sich nicht noch auf eine andere Weise dabei zu helfen wüßten? Dass man sich in Konzerten der Lieder schämet, beweißt, dass die Tonkünstler selbst nicht mehr wissen, woher ihre Kunst entstanden ist und wozu sie dienen soll; dass sie lieber, wie Seiltänzer und Taschenspieler, Bewunderung ihrer Geschicklichkeit in künstlichen Dingen als den hohen Ruhm suchen, in den Herzen der Zuhörer jede heilsame und edle Empfindung rege zu machen. Man erstaunet bisweilen zu sehen, in was für Hände die göttliche Kunst das menschliche Gemüt zu erhöhen, gefallen ist!

 Das Lied scheint die erste Frucht des aufkeimenden poetischen Genies zu sein. Wir treffen es bei Nationen an, deren Geist sonst noch zu keiner anderen Dichtungsart die gehörige Reife erlangt hat; bei noch halb wilden Völkern. In dem ältesten Buch auf der Welt, welches etwas von der Geschichte der ersten Kindheit des menschlichen Geschlechts erzählt, haben Sprach- und Altertumsforscher, Spuren der urältesten Lieder gefunden und Herodotus gedenkt im zweiten Buche seiner Geschichten eines Liedes, das auf den Tod des einzigen Sohnes des ersten Königs von Ägypten gemacht worden. Die Griechen waren überausgroße Liebhaber der Lieder. Bei allen ihren Festen, Spielen, Mahlzeiten, fast bei allen Arten gesellschaftlicher Zusammenkünfte, wurde gesungen; worüber man in der vorhererwähnten Abhandlung des La Nauze umständliche Nachrichten findet. Ein neuer Schriftsteller10  versichert, dass die heutigen Griechen, noch in diesem Geschmack sind. Auch die älteren Araber waren große Liederdichter; der Barden unter den alten Celtischen Völkern ist bereits erwähnt worden. Die Römer, die überhaupt ernsthafter als die Griechen waren, scheinen sich weniger aus dem Singen gemacht zu haben. Man nennt uns fünfzig Namen eben so vieler Arten griechischer Lieder, deren jede ihre besondere Form und ihren besonderen Inhalt hatte, aber keinen ursprünglich Römischen.

 Unter den heutigen Völkern sind die Italiener, Franzosen und Schottländer die größten Liebhaber der Lieder. In Deutschland hingegen ist der Geschmack für diese Gattung sehr schwach und es ist überaus selten, das man in Gesellschaften singt. Dennoch haben unsere Dichter diese Art der Gedichte nicht verabsäumet. Hr. Ramler hat eine ansehnliche Sammlung unter dem Namen der Lieder der Deutschen herausgegeben. Aber die meisten scheinen mehr aus Nachahmung der Dichter anderer Nationen als aus wahrer Laune zum Singen, entstanden zu sein. Nur in geistlichen Liedern haben sowohl ältere Dichter um die Zeit der Kirchenverbesserung als auch einige Neuere, sich auf einer vorteilhaften Seite und mehr als bloße Nachahmer gezeigt.

 

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1 S. Art. Gedicht S. 435 .

2 z. B. der Schlachtgesang S. 71; Heinrich der Vogler S. 111; Vaterlandslied. S. 214. sind besser Lieder als Oden zu nennen.

3 S. Kadenz.

4 S. Empfindung, Leidenschaft.

5 Klovstock in der Vorrede zu seinen verbesserten geistlichen Liedern.

6 S. Leidenschaft.

7 Eine ziemlich vollständige Nachricht davon findet man in einer Abhandlung des Herrn La Nauze über die Lieder der Griechen in dem IX Teile der Me moires de l'Academie des Inscriptions et Belles- Lettres.

8 Od. L. III. 19.

9 S. Freude.

10 Porter in seinen Anmerkungen über die Türken.

 


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