Liebe. (Schöne Künste) Diese allen Menschen gemeine und an mannigfaltigen angenehmen und unangenehmen Empfindungen so reiche Leidenschaft, wird in allen Gattungen der Werke des Geschmacks vielfältig zum Hauptgegenstand; aber von keiner wird ein so vielfältiger Mißbrauch gemacht. Damit wir im Stande seien dem Künstler über den Gebrauch und die Behandlung derselben gründliche Vorschläge zu tun, müssen wir notwendig einige Betrachtungen über ihre wahre Natur voraus schicken.
Der erste Ursprung der Liebe liegt unstreitig in der blos thierischen Natur des Menschen; aber man müsste die bewunderungswürdigen Veranstaltungen der Natur ganz verkennen, wenn man darin nichts höheres als thierische Regungen entdeckte. Der wahre Beobachter bemerket, dass diese Leidenschaft ihre Wurzeln in dem Fleisch und Blut des thierischen Körpers hat, aber ihre Äste hoch über der körperlichen Welt in der Sphäre höherer Wesen verbreitet, wo sie unvergängliche Früchte zur Reife bringt.
Ob sie gleich in ihrer ersten Anlag eigennützig ist, zeugt sie doch in rechtschaffenen Gemütern die edelsten Triebe der Wohlgewogenheit, der zärtlichsten Freundschaft und einer alles eigene Interesse vergessenden Großmut. Sie ziehlt im Grund auf Wollust und ist doch das kräftigste Mittel von der Wollust ab und auf selig ere Empfindungen zu führen; ist furchtsam und oft kleinmütig und kann dennoch der Grund des höchsten Mutes sein; ist ein in ihrem Ursprung niedriges schaamrotmachendes Gefühl und in ihren Folgen die Ursache einer wahren Erhöhung des Gemütes. Diejenigen, denen dieses wiedersprechend oder übertrieben vorkommt, sind zu beklagen und würden durch weitläufigere Entwicklung der Sachen doch nicht belehrt werden.
Der Künstler muss die verschiedenen Gestalten, die diese Leidenschaft annimmt und ihre verschiedenen Wirkungen genau unterscheiden, wenn er sie ohne Tadel behandeln soll. Wir wollen also die Hauptformen derselben unterscheiden und über jede einige dem Künstler dienliche Anmerkungen beifügen.
Liebe in rohen oder durch Wollust verwilderten Menschen, die bloß auf eine wilde Befriedigung des körperlichen Bedürfnisses abziehlt, kann nach Beschaffenheit der Umstände in eine höchst gefährliche Leidenschaft ausbrechen und äußerst verderbliche Folgen nach sich ziehen. Diese durch Hilfe der schönen Künste noch mehr zu reizen, in das schon verzehrende Feuer noch mehr Öl zu gießen, ist der schändlichste Mißbrauch, dessen sich Maler und Dichter nur allzu oft schuldig machen. Für Werke, die bloß zur niedrigen Wollust reizen, lassen sich schlechterdings keine Entschuldigungen anführen, die bei ver nünftigen Menschen den geringsten Eindruck machten. Die fleischlichen Triebe, so weit die Natur ihrer bedarf, sind bei Menschen, die ihr Temperament nicht durch Ausschweifungen zu Grunde gerichtet haben, allezeit stark und lebhaft genug; also ist es Narrheit sie über ihren Endzweck zu reizen: aber für verworfene Wollüstlinge zu arbeiten, erniedriget den Künstler. Wer sollte ohne Schaam sich zum Diener solcher unter das Tier erniedrigten Menschen machen, wenn sie auch von hohem Stande wären?
Deswegen ist die Liebe, insofern sie bloß thierische Wollust ist, kein Gegenstand der Künste als insofern diese dienen können, die schädlichen Folgen derselben in ihrer ekelhaften Gestalt lebhaft vor Augen zu legen. Dazu können Maler, Dichter und Schauspieler die höchste Kraft ihrer Talente sehr nützlich anwenden. Der berühmte berlinische Zeichner, Herr Daniel Chodowiczki, hat in einer Folge von zwölf Blättern, die zum Teil hierauf abzielen, ein Werk gemacht, das ihm viel Ehre bringt. Wir hoffen, dass er es durch radierte Platten bald öffentlich bekannt machen werde. Sie können mit Ehren ihren Rang neben den bekannten Hogarthschen Blättern von ähnlichem Inhalt stehen.
Zunächst auf diese ganz thierische Liebe folgt die zwar unschuldige, aber romanhafte und unglückliche Liebe, die nach den Umständen der Personen und Zei ten auf keine gründliche Vereinigung der Liebenden führen kann. Eine solche Liebe kann den ganzen Plan des Lebens zerrütten und sehr unglücklich machen. Es ist daher höchst wichtig, dass die Jugend davor gewarnet werde und dass die fatalen Folgen der Unbesonnenheit, womit sie sich bisweilen einer solchen romanhaften Liebe überlässt, auf das lebhafteste vor Augen gelegt werden. Aber es muss auf eine Art geschehen, die wirklich abschreckend ist. In Romanen und in dramatischen Stücken, wird gar oft der Fehler begangen, dass solche Liebesbegebenheiten zwar unglücklich, aber doch so vorgestellt worden, dass die Jugend vielmehr dazu gereizt als abgeschreckt wird. Denn selbst der unglücklichste Ausgang, wenn er mehr Mitleiden als Furcht erweckt, tut hier der Absicht keine Genüge. Man hat ja Beispiele, dass so gar die Hinrichtung öffentlicher Verbrecher, mit Umständen begleitet gewesen, wodurch bei schwachen, enthusiastischen Menschen eine Lust erweckt worden ist, auch so zu sterben. Darum muss von einer solchen Leidenschaft mehr die Torheit, Unbesonnenheit und das Verwerfliche derselben als das Mitleidenswürdige recht fühlbar gemacht werden. Hierzu sind mehre Dichtungsarten geschickt. Die erzählende, sie sei ernsthaft oder komisch, die dramatische und die satyrische Poesie schicken sich dazu und selbst die lyrische schließt diesen Inhalt nicht aus. Wenn aber der Dich ter auf erwähnten Zweck arbeiten will, so muss er große Vorsichtigkeit anwenden. Zum hohen dramatischen können wir auch die unglücklichste Liebe nicht empfehlen; weil sie doch immer in ihrem eigentlichen Wesen etwas kleines und phantastisches hat, das den Charakter hoher Personen, dergleichen dieses Trauerspiel aufführen soll, erniedriget.
So hat Corneille in seinem Oedipus den Theseus, einen Helden, dem Athen Tempel gebaut hat, dadurch ungemein erniedriget, dass er ihm diese wirklich schimpfliche Empfindung zuschreibt:
Perisse l' Univers pourvû que Dircé vive! Perisse le jour même avant qu'elle s'en prive! Que m' importe & le salut de tous?
Ai-je rien à sauver, rien à perdre que vous? Eine solche Liebe ist völlige Raserei und erweckt Ärgernis. Die Alten haben gar wohl eingesehen, dass die Liebe höchst selten als eine wahre tragische Leidenschaft könne behandelt werden. Sollte es jemand einfallen, das Beispiel des Hippolytus vom Euripides als eine Einwendung gegen diese Anmerkung anzuführen, so geben wir ihm zu überlegen, dass die Art, wie der griechische Dichter diesen Stoff behandelt hat, ihn allerdings tragisch macht. Die Liebe der Phädra war das Werk einer rächenden Gottheit und sie herrschte in einem zarten, weiblichen Herzen, das doch mit ausnehmender Bestrebung dagegen kämpfte, das selbst da, wo die Macht einer Gottheit es niederdrückte, sich groß zeigte. Aber Männer, besonders hohe Personen und Regenten der Völker, wie verliebte Jünglinge, einer unglücklichen Liebe unterliegen zu lassen, ist in Wahrheit des hohen Cothurns unwürdig und kann so gar ins Lächerliche fallen, wie man in vielen Stellen der Trauerspiele des Corneille es empfindet. Wer fühlt nicht, um nur ein Beispiel anzuführen, dass in der Rodogüne die Szene zwischen dem Seleücus und Antiochus etwas abgeschmacktes habe, besonders die läppisch galanten Seufzer des Seleücus:
–– Ah destin trop contraire! –– –– –– ––
L' amour, l' amour doit vaincre, & la triste amitié Ne doit être à tous deux qu'un objet de pitié.
Un grand cœur cede un trone, & le cede avec gloire;
Cet effet de vertu couronne sa memoire: Mais lorsqu'un digne objet a sçu nous enflamer, Qui le cede est un lache.
Dergleichen Gesinnungen schicken sich für eine scherzhafte Behandlung der Liebe, da man romanhafte Empfindungen lächerlich machen und den Verliebten als einen Geken schildern will.
Es ist also höchst selten, dass die Liebe Äußerun gen zeigt, die sie zum Gegenstand des hohen tragischen mache. Wie stark und groß die Wallungen des Blutes bei einem verliebten Jüngling auch sein mögen, so wissen doch erfahrnere Kenner der Menschen, dass sie vorübergehend sind und im Grund etwas bloß phantastisches zur Unterstützung haben.
Hingegen nimmt die durch mancherlei Hindernisse in ihren Unternehmungen gehemmte Liebe nicht selten eine wahre komische Gestalt an. Sie scheint von allen Leidenschaften diejenige zu sein, die den Menschen am meisten hintergeht und ihn auf die vielfältigste Art täuschet. Es kann seinen guten Nutzen haben, wenn Dichter die komischen Wirkungen derselben in einem Lichte vorstellen, wodurch beide Geschlechter gewarnet werden sich vor einer Leidenschaft zu hüten, bei der man große Gefahr läuft, ins Lächerliche zu fallen. Dieses ist eigentlicher und guter Stoff für die komische Schaubühne.
Eine edle mit wahrer Zärtlichkeit verbundene Liebe, die nach einigen Hindernissen zulezt glücklich wird, ist ein überaus angenehmer Stoff zu dramatischen, epischen und anderen erzählenden Arten des Gedichts. Es ist schwerlich irgend ein Stoff auszufinden, der so viel reizende Gemälde, so mancherlei entzückende Empfindungen, so liebliche Schwermereien einer Wollust trunkenen Seele, darbietet als dieser. Außerdem aber hat hierbei der Dichter Gelegen heit die mannigfaltigen schätzbaren und angenehmen Wirkungen, die die Zärtlichkeit in gut gearteten Seelen hervorbringt, auf eine reizende Weise zu entwickeln. Es ist gewiss, dass bei jungen Gemütern von guter Anlage, eine recht zärtliche Liebe überaus vorteilhafte Wirkungen hervorbringen und der ganzen Gemütsart eine höchst vorteilhafte Wendung geben kann. Bei einem edlen und rechtschaffenen Jüngling kann durch die Liebe das ganze Gemüt um einige Grade zu jedem Guten und Edlen erhöhet werden und alle guten Eigenschaften und Gesinnungen können dadurch einen Nachdruck bekommen, die keine andere Leidenschaft ihnen würde gegeben haben.
Aber ausnehmende Sorgfalt hat der Dichter hierbei nötig, dass er nicht seine jüngern Leser in gefährliche Weichlichkeit und phantastische Schwermerei der Empfindungen verleite. Wehe dem Jüngling und dem Mädchen, die kein höheres Glück kennen als das Glück zu lieben und geliebt zu werden! Die schönesten und unschuldigsten Gemälde von der Glückselig keit der Liebe können zu einem verderblichen Gift werden. Selbst die unschuldigste Zärtlichkeit kann das Gemüt etwas erniedrigen, wenn nicht durchaus neben der Liebe eine in ihrem Wesen größere und wichtigere Empfindung darin liegt, die noch über die Liebe herrscht und das Gemüt, das sich sonst bloß der feinern Wollust der lieblichsten Empfindungen über ließe, bei wirkenden Kräften erhält. So hat Klopstock der höchsten Zärtlichkeit des Lazarus und der Cidli, durch Empfindungen der Religion die gänzliche Beherrschung der Herzen zu benehmen gesucht: nur Schade, dass diese Empfindung, die den Gemütern ihre Stärke erhalten sollte, selbst etwas schwärmerisches hat. Durch eine gesetztere Gottesfurcht und Liebe zur Tugend, hat Bodmer die Liebe der Neachiden und der Siphaitinnen vor überwältigender Kraft geschützt. Schwache Seelen werden durch Zärtlichkeit noch schwächer; aber die, in denen eine wahre männliche Stärke liegt, können dadurch noch mehr Kraft bekommen.
Diese Betrachtungen muss der Dichter nie aus den Augen setzen; sonst läuft er Gefahr durch lebhafte Schilderungen der Liebe sehr schädlich zu werden. Es wäre hierüber noch ungemein viel besonderes zu sagen; aber wir müssen bei der allgemeinen Erinnerung die wir darüber gemacht haben, stehen bleiben und dem Dichter nur überhaupt noch empfehlen, dass er immer darauf sehe die Zärtlichkeit mehr durch mancherlei edle Wirkungen, die sie hervorbringt als durch die überfließende Empfindung der vorhandenen und gehoften Glückselig keit, womit sie verbunden ist, vorzustellen.