Anhang.
Von dem Unterschiede des theoretischen und des praktischen Erkenntnisses


Ein Erkenntnis wird praktisch genannt im Gegensatze des theoretischen, aber auch im Gegensatze des spekulativen Erkenntnisses.

Praktische Erkenntnisse sind nämlich entweder

1) Imperativen und in so ferne den theoretischen Erkenntnissen entgegengesetzt; oder sie enthalten

2) die Gründe zu möglichen Imperativen und werden in so ferne den spekulativen Erkenntnissen entgegen gesetzt.

Unter Imperativ überhaupt ist jeder Satz zu verstehen, der eine mögliche freie Handlung aussagt, wodurch ein gewisser Zweck wirklich gemacht werden soll. — Eine jede Erkenntnis also, die Imperativen enthält, ist praktisch, und zwar im Gegensatze des theoretischen Erkenntnisses praktisch zu nennen. Denn theoretische Erkenntnisse sind solche, die da aussagen: nicht, was sein soll, sondern was ist; — also kein Handeln, sondern ein Sein zu ihrem Objekt haben.

Setzen wir dagegen praktische Erkenntnisse den spekulativen entgegen: so können sie auch theoretisch sein, wofern aus ihnen nur Imperativen können abgeleitet werden. Sie sind alsdann, in dieser Rücksicht betrachtet, dem Gehalte nach (in potentia) oder objektiv praktisch. — Unter spekulativen Erkenntnissen nämlich verstehen wir solche, aus denen keine Regeln des Verhaltens können hergeleitet werden, oder die keine Gründe zu möglichen Imperativen enthalten. Solcher bloß spekulativen Sätze gibt es z.B. in der Theologie in Menge. — Dergleichen spekulative Erkenntnisse sind also immer theoretisch; aber nicht umgekehrt ist jede theoretische Erkenntnis spekulativ; sie kann, in einer andern Rücksicht betrachtet, auch zugleich praktisch sein.

Alles läuft zuletzt auf das Praktische hinaus; und in dieser Tendenz alles Theoretischen und aller Spekulation in Ansehung ihres Gebrauchs besteht der praktische Wert unsers Erkenntnisses. Dieser Wert ist aber nur alsdenn ein unbedingter, wenn der Zweck, worauf der praktische Gebrauch des Erkenntnisses gerichtet ist, ein unbedingter Zweck ist. — Der einige unbedingte und letzte Zweck (Endzweck), worauf aller praktische Gebrauch unsers Erkenntnisses zuletzt sich beziehen muß, ist die Sittlichkeit, die wir um deswillen auch das schlechthin oder absolut Praktische nennen. Und derjenige Teil der Philosophie, der die Moralität zum Gegenstande hat, würde demnach praktische Philosophie kat' exochen heißen müssen; obgleich jede andre philosophische Wissenschaft immer auch ihren praktischen Teil haben, d. h. von den aufgestellten Theorien eine Anweisung zum praktischen Gebrauche derselben für die Realisierung gewisser Zwecke enthalten kann.  


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