Logische und ästhetische Vollkommenheit des Erkenntnisses
Ein Erkenntnis kann vollkommen sein, entweder nach Gesetzen der Sinnlichkeit, oder nach Gesetzen des Verstandes; im erstem Falle ist es ästhetisch, im andern logisch vollkommen. Beide, die ästhetische und die logische Vollkommenheit, sind also von verschiedener Art; — die erstere bezieht sich auf die Sinnlichkeit, die letztere auf den Verstand. — Die logische Vollkommenheit des Erkenntnisses beruht auf seiner Übereinstimmung mit dem Objekte; also auf allgemeingültigen Gesetzen, und läßt sich mithin auch nach Normen a priori beurteilen. Die ästhetische Vollkommenheit besteht in der Übereinstimmung des Erkenntnisses mit dem Subjekte, und gründet sich auf die besondre Sinnlichkeit des Menschen. Es finden daher bei der ästhetischen Vollkommenheit keine objektiv- und allgemeingültigen Gesetze statt, in Beziehung auf welche sie sich a priori auf eine für alle denkende Wesen überhaupt allgemeingeltende Weise beurteilen ließe. So fern es indessen auch allgemeine Gesetze der Sinnlichkeit gibt, die, obgleich nicht objektiv und für alle denkende Wesen überhaupt, doch subjektiv für die gesamte Menschheit Gültigkeit haben: läßt sich auch eine ästhetische Vollkommenheit denken, die den Grund eines subjektiv-allgemeinen Wohlgefallens enthält. Dieses ist die Schönheit — das, was den Sinnen in der Anschauung gefällt und eben darum der Gegenstand eines allgemeinen Wohlgefallens sein kann, weil die Gesetze der Anschauung allgemeine Gesetze der Sinnlichkeit sind.
Durch diese Übereinstimmung mit den allgemeinen Gesetzen der Sinnlichkeit unterscheidet sich der Art nach das eigentliche, selbständige Schöne, dessen Wesen in der bloßen Form besteht, von dem Angenehmen, das lediglich in der Empfindung durch Reiz oder Rührung gefällt, und um deswillen auch nur der Grund eines bloßen Privat-Wohlgefallens sein kann.
Diese wesentliche ästhetische Vollkommenheit ist es auch, welche unter allen mit der logischen Vollkommenheit sich verträgt, und am besten mit ihr verbinden läßt.
Von dieser Seite betrachtet kann also die ästhetische Vollkommenheit in Ansehung jenes wesentlich Schönen der logischen Vollkommenheit vorteilhaft sein. In einer andern Rücksicht ist sie ihr aber auch nachteilig, so fern wir bei der ästhetischen Vollkommenheit nur auf das außerwesentlich Schöne sehen — das Reizende oder Rührende, was den Sinnen in der bloßen Empfindung gefällt und nicht auf die bloße Form, sondern die Materie der Sinnlichkeit sich bezieht. Denn Reiz und Rührung können die logische Vollkommenheit in unsern Erkenntnissen und Urteilen am meisten verderben.
Überhaupt bleibt wohl freilich zwischen der ästhetischen und der logischen Vollkommenheit unsers Erkenntnisses immer eine Art von Widerstreit, der nicht völlig gehoben werden kann. Der Verstand will belehrt, die Sinnlichkeit belebt sein; der erste begehrt Einsicht, die zweite Faßlichkeit. Sollen Erkenntnisse unterrichten: so müssen sie in so ferne gründlich sein; sollen sie zugleich unterhalten, so müssen sie auch schön sein. Ist ein Vortrag schön, aber seicht, so kann er nur der Sinnlichkeit, aber nicht dem Verstande, ist er umgekehrt gründlich, aber trocken — nur dem Verstande, aber nicht auch der Sinnlichkeit gefallen.
Da es indessen das Bedürfnis der menschlichen Natur und der Zweck der Popularität des Erkenntnisses erfordert, daß wir beide Vollkommenheiten mit einander zu vereinigen suchen: so müssen wir es uns auch angelegen sein lassen, denjenigen Erkenntnissen, die überhaupt einer ästhetischen Vollkommenheit fähig sind, dieselbe zu verschaffen und eine schulgerechte, logisch vollkommene Erkenntnis durch die ästhetische Form popular zu machen. Bei diesem Bestreben, die ästhetische mit der logischen Vollkommenheit in unsern Erkenntnissen zu verbinden, müssen wir aber folgende Regeln nicht aus der Acht lassen; nämlich 1) daß die logische Vollkommenheit die Basis aller übrigen Vollkommenheiten sei und daher keiner andern gänzlich nachstehen oder aufgeopfert werden dürfe; 2) daß man hauptsächlich auf die formale ästhetische Vollkommenheit sehe — die Übereinstimmung einer Erkenntnis mit den Gesetzen der Anschauung —, weil gerade hierin das wesentlich Schöne besteht, das mit der logischen Vollkommenheit sich am besten vereinigen läßt; 3) daß man mit Reiz und Rührung, wodurch ein Erkenntnis auf die Empfindung wirkt und für dieselbe ein Interesse erhält, sehr behutsam sein müsse, weil hierdurch so leicht die Aufmerksamkeit vom Objekt auf das Subjekt kann gezogen werden, woraus denn augenscheinlich ein sehr nachteiliger Einfluß auf die logische Vollkommenheit des Erkenntnisses entstehen muß.
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Um die wesentlichen Verschiedenheiten, die zwischen der logischen und der ästhetischen Vollkommenheit des Erkenntnisses statt finden, nicht bloß im allgemeinen, sondern von mehreren besondern Seiten noch kenntlicher zu machen, wollen wir sie beide unter einander vergleichen in Rücksicht auf die vier Hauptmomente der Quantität, der Qualität, der Relation und der Modalität, worauf es bei Beurteilung der Vollkommenheit des Erkenntnisses ankommt.
Ein Erkenntnis ist vollkommen 1) der Quantität nach, wenn es allgemein ist; 2) der Qualität nach, wenn es deutlich ist; 3) der Relation nach, wenn es wahr ist, und endlich 4) der Modalität nach, wenn es gewiß ist.
Aus diesen angegebenen Gesichtspunkten betrachtet wird also ein Erkenntnis logisch vollkommen sein der Quantität nach: wenn es objektive Allgemeinheit (Allgemeinheit des Begriffs oder der Regel) — der Qualität nach: wenn es objektive Deutlichkeit (Deutlichkeit im Begriffe) — der Relation nach: wenn es objektive Wahrheit — und endlich der Modalität nach: wenn es objektive Gewißheit hat.
Diesen logischen Vollkommenheiten entsprechen nun folgende ästhetische Vollkommenheiten in Beziehung auf jene vier Hauptmomente; nämlich
1) die ästhetische Allgemeinheit. — Diese besteht in der Anwendbarkeit einer Erkenntnis auf eine Menge von Objekten, die zu Beispielen dienen, an denen sich die Anwendung von ihr machen läßt, und wodurch sie zugleich für den Zweck der Popularität brauchbar wird;
2) die ästhetische Deutlichkeit. — Dieses ist die Deutlichkeitin der Anschauung, worin durch Beispiele ein abstrakt gedachter Begriff in concreto dargestellt oder erläutert wird;
3) die ästhetische Wahrheit. — Eine bloß subjektive Wahrheit, die nur in der Übereinstimmung des Erkenntnisses mit dem Subjekt und den Gesetzen des Sinnen-Scheines besteht und folglich nichts weiter als ein allgemeiner Schein ist;
4) die ästhetische Gewißheit. — Diese beruhet auf dem, was dem Zeugnisse der Sinne zu folge notwendig ist, d. i. was durch Empfindung und Erfahrung bestätiget wird.
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Bei den so eben genannten Vollkommenheiten kommen immer zwei Stücke vor, die in ihrer harmonischen Vereinigung die Vollkommenheit überhaupt ausmachen, nämlich: Mannigfaltigkeit und Einheit. Beim Verstande liegt die Einheit im Begriffe, bei den Sinnen in der Anschauung.
Bloße Mannigfaltigkeit ohne Einheit kann uns nicht befriedigen. Und daher ist unter allen die Wahrheit die Hauptvollkommenheit, weil sie der Grund der Einheit ist, durch die Beziehung unsers Erkenntnisses auf das Objekt. Auch selbst bei der ästhetischen Vollkommenheit bleibt die Wahrheit immer die conditio sine qua non, die vornehmste negative Bedingung, ohne welche etwas nicht allgemein dem Geschmacke gefallen kann. Es darf daher niemand hoffen, in schönen Wissenschaften fortzukommen, wenn er nicht logische Vollkommenheit in seinem Erkenntnisse zum Grunde gelegt hat. In der größten möglichen Vereinbarung der logischen mit der ästhetischen Vollkommenheit überhaupt in Rücksicht auf solche Kenntnisse, die beides, zugleich unterrichten und unterhalten sollen, zeigt sich auch wirklich der Charakter und die Kunst des Genies.