Pedanterie und Galanterie


In Ansehung der Wissenschaften gibt es zwei Ausartungen des herrschenden Geschmacks: Pedanterie und Galanterie. Die eine treibt die Wissenschaften bloß für die Schule und schränkt sie dadurch ein in Rücksicht ihres Gebrauches; die andre treibt sie bloß für den Umgang oder die Welt und beschränkt sie dadurch in Absicht auf ihren Inhalt.

Der Pedant ist entweder als Gelehrter dem Weltmanne entgegengesetzt und ist in so fern der aufgeblasene Gelehrte ohne Weltkenntnis, d. i. ohne Kenntnis der Art und Weise, seine Wissenschaft an den Mann zu bringen; — oder er ist zwar als der Mann von Geschicklichkeit überhaupt zu betrachten, aber nur in Formalien, nicht dem Wesen und Zwecke nach. In der letztern Bedeutung ist er ein Formalienklauber; eingeschränkt in Ansehung des Kerns der Sachen sieht er nur auf das Kleid und die Schale. Er ist die verunglückte Nachahmung oder Karikatur vom methodischen Kopfe. — Man kann daher die Pedanterei auch die grüblerische Peinlichkeit und unnütze Genauigkeit (Mikrologie) in Formalien nennen. Und ein solches Formale der Schulmethode außer der Schule ist nicht bloß bei Gelehrten und im gelehrten Wesen, sondern auch bei andern Ständen und in andern Dingen anzutreffen. Das Zeremoniell an Höfen, im Umgange — was ist es anders als Formalienjagd und Klauberei? Im Militär ist es nicht völlig so, ob es gleich so scheint. Aber im Gespräche, in der Kleidung, in der Diät, in der Religion herrscht oft viel Pedanterei.

Eine zweckmäßige Genauigkeit in Formalien ist Gründlichkeit (schulgerechte, scholastische Vollkommenheit). Pedanterie ist also eine affektierte Gründlichkeit, so wie Galanterie, als eine bloße Buhlerin um den Beifall des Geschmacks, nichts als eine affektierte Popularität ist. Denn die Galanterie ist nur bemüht, sich dem Leser gewogen zu machen und ihn daher auch nicht einmal durch ein schweres Wort zu beleidigen.

Pedanterei zu vermeiden, dazu werden ausgebreitete Kenntnisse nicht nur in den Wissenschaften selbst, sondern auch in Ansehung des Gebrauches derselben erfordert. Daher kann sich nur der wahre Gelehrte von der Pedanterei losmachen, die immer die Eigenschaft eines eingeschränkten Kopfes ist.

Bei dem Bestreben, unserm Erkenntnisse die Vollkommenheit der scholastischen Gründlichkeit und zugleich der Popularität zu verschaffen, ohne darüber in die gedachten Fehler einer affektierten Gründlichkeit oder einer affektierten Popularität zu geraten, müssen wir vor allem auf die scholastische Vollkommenheit unsers Erkenntnisses — die schulgerechte Form der Gründlichkeit — sehen und sodann erst dafür sorgen, wie wir die methodisch in der Schule gelernte Erkenntnis wahrhaft popular, d. i. andern so leicht und allgemein mitteilbar machen, daß doch die Gründlichkeit nicht durch die Popularität verdrängt werde. Denn um der popularen Vollkommenheit willen, — dem Volke zu Gefallen, muß die scholastische Vollkommenheit nicht aufgeopfert werden, ohne welche alle Wissenschaft nichts als Spielwerk und Tändelei wäre.

Um aber wahre Popularität zu lernen, muß man die Alten lesen, z. B. Ciceros philosophische Schriften, die Dichter Horaz, Virgil u.s.w.; unter den Neuern Hume, Shaftesbury u.a.m. Männer, die alle vielen Umgang mit der verfeinerten Welt gehabt haben, ohne den man nicht popular sein kann. Denn wahre Popularität erfordert viele praktische Welt- und Menschenkenntnis, Kenntnis von den Begriffen, dem Geschmacke und den Neigungen der Menschen, worauf bei der Darstellung und selbst der Wahl schicklicher, der Popularität angemessener, Ausdrücke beständige Rücksicht zu nehmen ist. — Eine solche Herablassung (Kondeszendenz) zu der Fassungskraft des Publikums und den gewohnten Ausdrücken, wobei die scholastische Vollkommenheit nicht hintenan gesetzt, sondern nur die Einkleidung der Gedanken so eingerichtet wird, daß man das Gerüste — das Schulgerechte und Technische von jener Vollkommenheit — nicht sehen läßt (so wie man mit Bleistift Linien zieht, auf die man schreibt, und sie nachher wegwischt) — diese wahrhaft populare Vollkommenheit des Erkenntnisses ist in der Tat eine große und seltene Vollkommenheit, die von vieler Einsicht in die Wissenschaft zeigt. Auch hat sie außer vielen andern Verdiensten noch dieses, daß sie einen Beweis für die vollständige Einsicht in eine Sache geben kann. Denn die bloß scholastische Prüfung einer Erkenntnis läßt noch den Zweifel übrig: ob die Prüfung nicht einseitig sei, und ob die Erkenntnis selbst auch wohl einen von allen Menschen ihr zugestandenen Wert habe? — Die Schule hat ihre Vorurteile so wie der gemeine Verstand. Eines verbessert hier das andre. Es ist daher wichtig, ein Erkenntnis an Menschen zu prüfen, deren Verstand an keiner Schule hängt. —

Diese Vollkommenheit der Erkenntnis, wodurch sich dieselbe zu einer leichten und allgemeinen Mitteilung qualifiziert, könnte man auch die äußere Extension oder die extensive Größe eines Erkenntnisses nennen, so fern es äußerlich unter viele Menschen ausgebreitet ist.

 

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