Der theoretisch oder logisch bestimmte Horizont
Was nun insbesondre den theoretisch oder logisch bestimmten Horizont betrifft — und von diesem kann hier allein die Rede sein — so können wir denselben entweder aus dem objektiven oder aus dem subjektiven Gesichtspunkte betrachten.
In Ansehung der Objekte ist der Horizont entweder historisch oder rational. Der erstere ist viel weiter als der andre, ja er ist unermeßlich groß, denn unsre historische Erkenntnis hat keine Grenzen. Der rationale Horizont dagegen läßt sich fixieren, es läßt sich z. B. bestimmen, auf welche Art von Objekten das mathematische Erkenntnis nicht ausgedehnt werden könne. So auch in Absicht auf das philosophische Vernunfterkenntnis, wie weit hier die Vernunft a priori ohne alle Erfahrung wohl gehen könne?
In Beziehung aufs Subjekt ist der Horizont entweder der allgemeine und absolute, oder ein besondrer und bedingter (Privat-Horizont).
Unter dem absoluten und allgemeinen Horizont ist die Kongruenz der Grenzen der menschlichen Erkenntnisse mit den Grenzen der gesamten menschlichen Vollkommenheit überhaupt zu verstehen. Und hier ist also die Frage: Was kann der Mensch als Mensch überhaupt wissen?
Die Bestimmung des Privat-Horizonts hängt ab von mancherlei empirischen Bedingungen und speziellen Rücksichten, z. B. des Alters, des Geschlechts, Standes, der Lebensart u. dgl. m. Jede besondre Klasse von Menschen hat also in Beziehung auf ihre speziellen Erkenntniskräfte, Zwecke und Standpunkte ihren besondern, — jeder Kopf, nach Maßgabe der Individualität seiner Kräfte und seines Standpunktes, seinen eigenen Horizont. Endlich können wir uns auch noch einen Horizont der gesunden Vernunft und einen Horizont der Wissenschaft denken, welcher letztere noch Prinzipien bedarf, um nach denselben zu bestimmen: was wir wissen und nicht wissen können.
Was wir nicht wissen können, ist über unsern Horizont; was wir nicht wissen dürfen oder nicht zu wissen brauchen, außer unserm Horizonte. Dieses letztere kann jedoch nur relativ gelten in Beziehung auf diese oder jene besondre Privatzwecke, zu deren Erreichung gewisse Erkenntnisse nicht nur nichts beitragen, sondern ihr sogar hinderlich sein könnten. Denn schlechthin und in aller Absicht unnütz und unbrauchbar ist doch kein Erkenntnis, ob wir gleich seinen Nutzen nicht immer einsehen können. — Es ist daher ein eben so unweiser als ungerechter Vorwurf, der großen Männern, welche mit mühsamen Fleiße die Wissenschaften bearbeiten, von schalen Köpfen gemacht wird, wenn diese hierbei fragen: wozu ist das nütze? — Diese Frage muß man, indem man sich mit Wissenschaften beschäftigen will, gar nicht einmal aufwerfen. Gesetzt, eine Wissenschaft könnte nur über irgend ein mögliches Objekt Aufschlüsse geben, so wäre sie um deswillen schon nützlich genug. Jede logisch vollkommene Erkenntnis hat immer irgend einen möglichen Nutzen, der, obgleich uns bis jetzt unbekannt, doch vielleicht von der Nachkommenschaft wird gefunden werden. — Hätte man bei Kultur der Wissenschaften immer nur auf den materiellen Gewinn, den Nutzen derselben gesehen, so würden wir keine Arithmetik und Geometrie haben. Unser Verstand ist auch überdies so eingerichtet, daß er in der bloßen Einsicht Befriedigung findet und mehr noch als in dem Nutzen, der daraus entspringt. Dieses merkte schon Plato an. Der Mensch fühlt seine eigene Vortrefflichkeit dabei; er empfindet, was es heiße, Verstand haben. Menschen, die das nicht empfinden, müssen die Tiere beneiden. Der innere Wert, den Erkenntnisse durch logische Vollkommenheit haben, ist mit ihrem äußern — dem Werte in der Anwendung — nicht zu vergleichen.
Wie das, was außer unserm Horizonte liegt, so fern wir es nach unsern Absichten, als entbehrlich für uns, nicht wissen dürfen, — so ist auch das, was unter unserm Horizont liegt, so fern wir es, als schädlich für uns, nicht wissen sollen, nur in einem relativen, keinesweges aber im absoluten Sinne zu verstehen.
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