Allgemeinste und höchste Aufgaben dieser Wissenschaft
Der wahre Philosoph muß also als Selbstdenker einen freien und selbsteigenen, keinen sklavisch nachahmenden Gebrauch von seiner Vernunft machen. Aber auch keinen dialektischen, d. i. keinen solchen Gebrauch, der nur darauf abzweckt, den Erkenntnissen einen Schein von Wahrheit und Weisheit zu geben. Dieses ist das Geschäft des bloßen Sophisten; aber mit der Würde des Philosophen, als eines Kenners und Lehrers der Weisheit, durchaus unverträglich.
Denn Wissenschaft hat einen innern wahren Wert nur als Organ der Weisheit. Als solches ist sie ihr aber auch unentbehrlich, so daß man wohl behaupten darf: Weisheit ohne Wissenschaft sei ein Schattenriß von einer Vollkommenheit, zu der wir nie gelangen werden.
Der die Wissenschaft hasset, um desto mehr aber die Weisheit liebet, den nennt man einen Misologen. Die Misologie entspringt gemeiniglich aus einer Leerheit von wissenschaftlichen Kenntnissen und einer gewissen damit verbundenen Art von Eitelkeit. Zuweilen verfallen aber auch diejenigen in den Fehler der Misologie, welche anfangs mit großem Fleiße und Glücke den Wissenschaften nachgegangen waren, am Ende aber in ihrem ganzen Wissen keine Befriedigung fanden.
Philosophie ist die einzige Wissenschaft, die uns diese innere Genugtuung zu verschaffen weiß; denn sie schließt gleichsam den wissenschaftlichen Zirkel und durch sie erhalten sodann erst die Wissenschaften Ordnung und Zusammenhang.
Wir werden also, zum Behuf der Übung im Selbstdenken oder Philosophieren, mehr auf die Methode unsers Vernunftgebrauchs zu sehen haben, als auf die Sätze selbst, zu denen wir durch dieselbe gekommen sind.