Glauben
2) Glauben. — Das Glauben oder das Fürwahrhalten aus einem Grunde, der zwar objektiv unzureichend, aber subjektiv zureichend ist, bezieht sich auf Gegenstände, in Ansehung deren man nicht allein nichts wissen, sondern auch nichts meinen, ja auch nicht einmal Wahrscheinlichkeit vorwenden, sondern bloß gewiß sein kann, daß es nicht widersprechend ist, sich dergleichen Gegenstände so zu denken, wie man sie sich denkt. Das übrige hierbei ist ein freies Fürwahrhalten, welches nur in praktischer a priori gegebener Absicht nötig ist, — also ein Fürwahrhalten dessen, was ich aus moralischen Gründen annehme und zwar so, daß ich gewiß bin, das Gegenteil könne nie bewiesen werden.*
Sachen des Glaubens sind also I) keine Gegenstände des empirischen Erkenntnisses. Der sogenannte historische Glaube kann daher eigentlich auch nicht Glaube genannt und als solcher dem Wissen entgegen gesetzt werden, da er selbst ein Wissen sein kann. Das Fürwahrhalten auf ein Zeugnis ist weder dem Grade noch der Art nach vom Fürwahrhalten durch eigene Erfahrung unterschieden.
II) auch keine Objekte des Vernunfterkenntnisses (Erkenntnisses a priori), weder des theoretischen, z. B. in der Mathematik und Metaphysik; noch des praktischen in der Moral.
Mathematische Vernunftwahrheiten kann man auf Zeugnisse zwar glauben, weil Irrtum hier teils nicht leicht möglich ist, teils auch leicht entdeckt werden kann; aber man kann sie auf diese Art doch nicht wissen. Philosophische Vernunftwahrheiten lassen sich aber auch nicht einmal glauben; sie müssen lediglich gewußt werden; denn Philosophie leidet in sich keine bloße Überredung. — Und was insbesondre die Gegenstände des praktischen Vernunfterkenntnisses in der Moral — die Rechte und Pflichten — betrifft : so kann in Ansehung dieser eben so wenig ein bloßes Glauben statt finden. Man muß völlig gewiß sein: ob etwas recht oder unrecht, pflichtmäßig oder pflichtwidrig, erlaubt oder unerlaubt sei. Aufs Ungewisse kann man in moralischen Dingen nichts wagen; — nichts, auf die Gefahr des Verstoßes gegen das Gesetz, beschließen. So ist es z. B. für den Richter nicht genug, daß er bloß glaube, der eines Verbrechens wegen Angeklagte habe dieses Verbrechen wirklich begangen. Er muß es (juridisch) wissen, oder handelt gewissenlos.
III) Nur solche Gegenstände sind Sachen des Glaubens, bei denen das Fürwahrhalten notwendig frei, d. h. nicht durch objektive, von der Natur und dem Interesse des Subjekts unabhängige, Gründe der Wahrheit bestimmt ist.
Das Glauben gibt daher auch wegen der bloß subjektiven Gründe keine Überzeugung, die sich mitteilen läßt und allgemeine Beistimmung gebietet, wie die Überzeugung, die aus dem Wissen kommt. Ich selbst kann nur von der Gültigkeit und Unveränderlichkeit meines praktischen Glaubens gewiß sein und mein Glaube an die Wahrheit eines Satzes oder die Wirklichkeit eines Dinges ist das, was, in Beziehung auf mich, nur die Stelle eines Erkenntnisses vertritt, ohne selbst ein Erkenntnis zu sein.
Moralisch ungläubig ist der, welcher nicht dasjenige annimmt, was zu wissen zwar unmöglich, aber voraus zu setzen moralisch notwendig ist. Dieser Art des Unglaubens liegt immer Mangel an moralischem Interesse zum Grunde. Je größer die moralische Gesinnung eines Menschen ist: desto fester und lebendiger wird auch sein Glaube sein an alles dasjenige, was er aus dem moralischen Interesse in praktisch notwendiger Absicht anzunehmen und vorauszusetzen sich genötiget fühlt.
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* Das Glauben ist kein besonderer Erkenntnisquell. Es ist eine Art des mit Bewußtsein unvollständigen Fürwahrhaltens, und unterscheidet sich, wenn es, als auf besondre Art Objekte (die nur fürs Glauben gehören) restringiert, betrachtet wird, vom Meinen nicht durch den Grad, sondern durch das Verhältnis, was es als Erkenntnis zum Handeln hat. So bedarf z. B. der Kaufmann, um einen Handel einzuschlagen, daß er nicht bloß meine, es werde dabei was zu gewinnen sein, sondern daß er's glaube, d. i. daß seine Meinung zur Unternehmung aufs Ungewisse zureichend sei. — Nun haben wir theoretische Erkenntnisse (vom Sinnlichen), darin wir es zur Gewißheit bringen können und in Ansehung alles dessen, was wir menschliches Erkenntnis nennen können, muß das letztere möglich sein. Eben solche gewisse Erkenntnisse und zwar gänzlich a priori haben wir in praktischen Gesetzen; allein diese gründen sich auf ein übersinnliches Prinzip (der Freiheit) und zwar in uns selbst, als ein Prinzip der praktischen Vernunft. Aber diese praktische Vernunft ist eine Kausalität in Ansehung eines gleichfalls übersinnlichen Objekts, des höchsten Guts, welches in der Sinnenwelt durch unser Vermögen nicht möglich ist. Gleichwohl muß die Natur als Objekt unsrer theoretischen Vernunft dazu zusammen stimmen; denn es soll in der Sinnenwelt die Folge oder Wirkung von dieser Idee angetroffen werden. — Wir sollen also handeln, um diesen Zweck wirklich zu machen.
Wir finden in der Sinnenwelt auch Spuren einer Kunstweisheit; und nun glauben wir: die Weltursache wirke auch mit moralischer Weisheit zum höchsten Gut. Dieses ist ein Fürwahrhalten, welches genug ist zum Handeln, d. i. ein Glaube. — Nun bedürfen wir diesen nicht zum Handeln nach moralischen Gesetzen, denn d i e werden durch praktische Vernunft allein gegeben; aber wir bedürfen der Annahme einer höchsten Weisheit zum Objekt unsers moralischen Willens, worauf wir außer der bloßen Rechtmäßigkeit unserer Handlungen nicht umhin können unsre Zwecke zu richten. Obgleich dieses objektiv keine notwendige Beziehung unsrer Willkür wäre: so ist das höchste Gut doch subjektiv notwendig das Objekt eines guten (selbst menschlichen) Willens, und der Glaube an die Erreichbarkeit desselben wird dazu notwendig vorausgesetzt.
Zwischen der Erwerbung einer Erkenntnis durch Erfahrung (a posteriori) und durch die Vernunft (a priori) gibt es kein Mittleres. Aber zwischen der Erkenntnis eines Objekts und der bloßen Voraussetzung der Möglichkeit desselben gibt es ein Mittleres, nämlich einen empirischen oder einen Vernunftgrund, die letztere anzunehmen in Beziehung auf eine notwendige Erweiterung des Feldes möglicher Objekte über diejenige, deren Erkenntnis uns möglich ist. Diese Notwendigkeit findet nur in Ansehung dessen statt, da das Objekt als praktisch und durch Vernunft praktisch notwendig erkannt wird; denn zum Behuf der bloßen Erweiterung der theoretischen Erkenntnis etwas anzunehmen, ist jederzeit zufällig. — Diese praktisch notwendige Voraussetzung eines Objekts ist die der Möglichkeit des höchsten Guts als Objekts der Willkür, mithin auch der Bedingung dieser Möglichkeit (Gott, Freiheit und Unsterblichkeit). Dieses ist eine subjektive Notwendigkeit, die Realität des Objekts um der notwendigen Willensbestimmung halber anzunehmen. Dies ist der casus extraordinarius, ohne welchen die praktische Vernunft sich nicht in Ansehung ihres notwendigen Zwecks erhalten kann, und es kommt ihr hier favor necessitatis zu statten in ihrem eigenen Urteil. — Sie kann kein Objekt logisch erwerben, sondern sich nur allein widersetzen1), was sie im Gebrauch dieser Idee, die ihr praktisch angehört, hindert.
Dieser Glaube ist die Notwendigkeit, die objektive Realität eines Begriffs (vom höchsten Gut), d. i. die Möglichkeit seines Gegenstandes, als a priori notwendigen Objekts der Willkür anzunehmen. — Wenn wir bloß auf Handlungen sehen: so haben wir diesen Glauben nicht nötig. Wollen wir aber durch Handlungen uns zum Besitz des dadurch möglichen Zwecks erweitern: so müssen wir annehmen, daß dieser durchaus möglich sei. — Ich kann also nur sagen: Ich sehe mich durch meinen Zweck nach Gesetzen der Freiheit genötiget, ein höchstes Gut in der Welt als möglich anzunehmen, aber ich kann keinen andern durch Gründe nötigen (der Glaube ist frei).
Der Vernunftglaube kann also nie aufs theoretische Erkenntnis gehen; denn da ist das objektiv unzureichende Fürwahrhalten bloß Meinung. Er ist bloß eine Voraussetzung der Vernunft in subjektiver, aber absolutnotwendiger praktischer Absicht. Die Gesinnung nach moralischen Gesetzen führt auf ein Objekt der durch reine Vernunft bestimmbaren Willkür. Das Annehmen der Tunlichkeit dieses Objekts und also auch der Wirklichkeit der Ursache dazu ist ein moralischer Glaube oder ein freies und in moralischer Absicht der Vollendung seiner Zwecke notwendiges Fürwahrhalten. —
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Fides ist eigentlich Treue im Pacto oder subjektives Zutrauen zu einander, daß einer dem andern sein Versprechen halten werde — Treue und Glauben. Das erste, wenn das Pactum gemacht ist; das zweite, wenn man es schließen soll. —
Nach der Analogie ist die praktische Vernunft gleichsam der Promittent, der Mensch der Promissarius, das erwartete Gute aus der Tat das Promissum.
1) Akad.-Ausg.: »allein dem widersetzen«.