Intuitive und diskursive Erkenntnis; Anschauung und Begriff, und deren Unterschied insbesondre


Reflektieren wir auf unsre Erkenntnisse in Ansehung der beiden wesentlich verschiedenen Grundvermögen der Sinnlichkeit und des Verstandes, woraus sie entspringen: so treffen wir hier auf den Unterschied zwischen Anschauungen Und Begriffen. Alle unsre Erkenntnisse nämlich sind, in dieser Rücksicht betrachtet, entweder Anschauungen oder Begriffe. Die erstem haben ihre Quelle in der Sinnlichkeit — dem Vermögen der Anschauungen; die letztern im Verstande — dem Vermögen der Begriffe. Dieses ist der logische Unterschied zwischen Verstand und Sinnlichkeit, nach welchem diese nichts als Anschauungen, jener hingegen nichts als Begriffe liefert. — Beide Grundvermögen lassen sich freilich auch noch von einer andern Seite betrachten und auf eine andre Art definieren; nämlich, die Sinnlichkeit als ein Vermögen der Rezeptivität, der Verstand als ein Vermögen der Spontaneität. Allein diese Erklärungsart ist nicht logisch, sondern metaphysisch. — Man pflegt die Sinnlichkeit auch das niedere, den Verstand dagegen das obere Vermögen zu nennen; aus dem Grunde, weil die Sinnlichkeit den bloßen Stoff zum Denken gibt, der Verstand aber über diesen Stoff disponiert und denselben unter Regeln oder Begriffe bringt.

Auf den hier angegebenen Unterschied zwischen intuitiven und diskursiven Erkenntnissen, oder zwischen Anschauungen und Begriffen gründet sich die Verschiedenheit der ästhetischen und der logischen Vollkommenheit des Erkenntnisses.


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