Wesentliche Erfordernisse und Zwecke des Philosophierens
Zu einem Philosophen gehören hauptsächlich zwei Dinge : 1) Kultur des Talents und der Geschicklichkeit, um sie zu allerlei Zwecken zu gebrauchen. 2) Fertigkeit im Gebrauch aller Mittel zu beliebigen Zwecken. Beides muß vereiniget sein; denn ohne Kenntnisse wird man nie ein Philosoph werden, aber nie werden auch Kenntnisse allein den Philosophen ausmachen, wofern nicht eine zweckmäßige Verbindung aller Erkenntnisse und Geschicklichkeiten zur Einheit hinzukommt, und eine Einsicht in die Übereinstimmung derselben mit den höchsten Zwecken der menschlichen Vernunft.
Es kann sich überhaupt keiner einen Philosophen nennen, der nicht philosophieren kann. Philosophieren läßt sich aber nur durch Übung und selbsteigenen Gebrauch der Vernunft lernen.
Wie sollte sich auch Philosophie eigentlich lernen lassen? — Jeder philosophische Denker baut, so zu sagen, auf den Trümmern eines andern sein eigenes Werk; nie aber ist eines zu Stande gekommen, das in allen seinen Teilen beständig gewesen wäre. Man kann daher schon aus dem Grunde Philosophie nicht lernen, weil sie noch nicht gegeben ist. Gesetzt aber auch, es wäre eine wirklich vorhanden: so würde doch keiner, der sie auch lernte, von sich sagen können, daß er ein Philosoph sei; denn seine Kenntnis davon wäre doch immer nur subjektiv-historisch.
In der Mathematik verhält sich die Sache anders. Diese Wissenschaft kann man wohl gewissermaßen lernen; denn die Beweise sind hier so evident, daß ein jeder davon überzeugt werden kann; auch kann sie ihrer Evidenz wegen, als eine gewisse und beständige Lehre, gleichsam aufbehalten werden.
Der philosophieren lernen will, darf dagegen alle Systeme der Philosophie nur als Geschichte des Gebrauchs der Vernunft ansehen und als Objekte der Übung seines philosophischen Talents.