Der erste Bürger der Stadt
ist nicht, wie man bisher immer geglaubt hatte, der erste Cafetier, sondern, wie er den Mitgliedern einer katholischen Studentenverbindung eröffnet, der Bürgermeister Weiskirchner. Ob er auch der beste Bürger der Stadt ist, muß sich erst zeigen, denn bisher hat es sich nicht gezeigt. Vielleicht wäre Zurückhaltung zu empfehlen. Die Magistratsbeamtenindividualität, und hätte sie ehedem noch so Tüchtiges geleistet, gehört gewiß nicht zu jenen, die man im Vordergrund sehen möchte, wenn man liberale Typen dort ausgemustert hat. Dieser Herr, der, soweit es hinter dem Machtbereich der Presse im Staat noch Verdrießliches gibt, immerhin in Betracht kommt, hat sich unlängst in einer künstlerischen Angelegenheit bemerkbar gemacht. Anstatt der Frage, was ein Lueger ohne Temperament für einen Lebenszweck habe, nach Tunlichkeit auszuweichen, hat er in die Debatte über das Otto Wagner'sche Museumsprojekt mit Ironie eingegriffen. Die Ironie des Herrn Weiskirchner kann aber weder für unsaubere Straßen noch für ein Museum entschädigen, das Herr Tranquillini an Otto Wagners Stelle baut. Als er sich bald darauf beim Sonnwendabend jener Studentenverbindung zeigte, entschuldigte er sich für sein häufiges Fernbleiben, wobei weniger die Ironie als die Gemütlichkeit, zu der eben ein Wiener Bürgermeister auch verpflichtet ist, hervortrat. Als Handelsminister sei er früher verhindert gewesen, an den Festen der »Amelungia« teilzunehmen, aber als Bürgermeister werde er »sich wieder bessern«. Als erster Bürger der Stadt sei er verpflichtet, mit der Studentenschaft in Verbindung zu sein. Und diese Verbindung ist die »Amelungia«. Dagegen freut es ihn zu hören, »dass der junge Architekt Tranquillini, dem gestern der Bau des Stadtmuseums übertragen wurde, ein Angehöriger der ›Rudolfina‹ war, dass also einem katholischen Studenten für Jahrhunderte der Ruhm überlassen bleibt, das Museum der Stadt Wien gebaut zu haben.« Es ist nun schwer, zwischen einer öffentlichen Meinung, die einen Architekten deshalb für unfähig hält, weil er ein katholischer Student war, und einem Bürgermeister, der nur einen katholischen Studenten für einen fähigen Architekten hält, die Wiener Lebensfreude zu bewahren. Immerhin ist zu wünschen, dass der Ruhm für die Jahrhunderte dem Herrn Tranquillini nicht zu schwer werden und dass er ihn auf alle Fälle mit Herrn Weiskirchner teilen möge. Eine Ehrentafel dürfte ja nicht verfehlen, der Nachwelt mitzuteilen, dass die Entscheidung über das Museumsprojekt unter der Bürgermeisterschaft des Herrn Weiskirchner gefallen ist, und wenn die Erinnerung an Otto Wagner noch einer weiteren Stütze bedarf, so wäre irgendwo passend die Inschrift anzubringen, dass das Museum nicht von ihm sei, oder wenigstens das Protokoll der Sitzung, in der die Entscheidung zu Ungunsten Otto Wagners fiel, im Tranquillinischen Museum der Stadt Wien auszustellen.
Juli, 1913.