Sie wollen nicht mehr anmutig sein
die Feuilletonisten. Taten wollen sie tun. Da kommt so ein Sonntag und findet sie alle ganz rebellisch. Wenn wir mit Rußland ins Reine kommen, so werden wir das dem Hans Müller zu verdanken haben. Er hat starke Sympathien für Rußland und gibt im eigenen wie im Namen der österreichischen Kollegen friedliche Erklärungen ab. Der Boden für eine Verständigung ist so gut wie vorbereitet, und »ein Volk, das uns die Vision Dostojewskis geschenkt hat«, muß sich wohl oder übel mit einem Volk vertragen, das sich unter Umständen mit »Hargudl am Bach« revanchieren könnte. Dieses wird aber wahrscheinlich Albanien zufallen. Wenn Italien nichts dagegen hat. Auch hier auf Milderung der Gegensätze bedacht, schreibt Müller ein sehr sonniges Feuilleton über den Lido, nicht ohne dem Ernst der Situation Rechnung zu tragen. Allerdings haben sich die Beziehungen wesentlich gebessert, Wiener Literaten werden schon zu einem Fest auf einem italienischen Kriegsschiff geladen, mit einem Wort: »Alte Wunden verblassen unter der Erkenntnis neuer, gemeinsamer Interessen.« Was auch dem Roten Kreuz die Arbeit wesentlich erleichtert. Statusquo, Prestige, Plattform, europäisches Konzert, der Weg zur wirtschaftlichen Erstarkung, der Moment kontemplativer Einkehr, Mann für Mann, Herz für Herz, Schulter an Schulter — man sieht, Schmock an Schmock stürzt sich jetzt in die Politik. Sie wollen den Frieden, wenn auch nicht den Frieden um jeden Preis. Sie wollen den Krieg, wenn es um keinen Preis dazu kommt. Sie wollen sich besinnen und nicht mehr plaudern, sondern mitreden. Sie wollen etwas. Sie wollen in den Leitartikel. Dort sind die Taten. Der Zweig versichert, dass der Auernheimer nicht mehr liebenswürdig sei, sondern tief. Und man weiß, wie bedeutend der Saiten sein kann, wenn's ernst wird. In solchen Zeiten ist er imstand und geht ins Parlament und beobachtet die Züge der Abgeordneten. Ganz wie in Berlin und München, wo ihnen auch die Premieren nicht mehr genügen und sie sich nach Taten sehnen. Es geht etwas durch die Zeit, es liegt etwas in der Luft, was, weiß man noch nicht, aber man kann nicht wissen. Vor einem Erdbeben wandern die Feldmäuse aus, und wenn die Feuilletonisten mobil machen, dann muß auch etwas kommen. Jetzt erklären sie alle auf einmal, dass sie sich satt haben.
Es ist reizend, von den Frauen und von der Liebe zu reden. Aber immer nur von den Frauen und immer nur von der Liebe? ... Das ist anregend und amüsant. Ganz gewiß. Mehr noch: bedeutend ist es, und aufschlußreich und künstlerisch. Was ihr wollt. Allein, ich fürchte, liebe Leute, wir haben endlich Wichtigeres zu tun ... Hier wird sich eine Wendung und eine Wandlung vollziehen, und in Österreich wird das anfangen. Man wird dann freilich vergessen, dass Österreich hier vorangeschritten ist, wie man es bei so vielen anderen Dingen, bei den Befreiungskriegen, beim modernen Drama und bei der Eroberung der Luft vergessen hat.
Saiten, ein alter O du mein Österreicher, noch einer von der alten Garde, der noch die Koburg interviewt hat, spricht hier eine Erkenntnis aus. Wie bei den Befreiungskriegen wird man vergessen, dass die österreichischen Feuilletonisten es waren, die den Anfang gemacht haben. Man muß sich betätigen, das geht nicht mehr so weiter, liebe Leute. In allen ist das Vorgefühl, sagt er, als gingen wir ernsten Zeiten entgegen. Große Entscheidungen stehen bevor. Der Tag kann anbrechen. Abseits Stehen und Schweigen wäre Pflichtvergessenheit. Nimmermehr! Wir werden Kämpfer brauchen. Ein Tumult wird sein und ein großer Unband, er sieht es voraus. Es ist reizend, von den Frauen und von der Liebe zu reden; aber wir haben endlich Wichtigeres zu tun. Zum Beispiel Reklameartikel über den »Tunnel« zu schreiben, und über ein Stück des Dichters Deutsch de Hatvany, der noch begabter sein soll als der diesseitige Trebitsch.
September 1913.