Kompagnons
Karczag schreibt selbst und hat ein Stück geschrieben, das »Entsagung« heißt. Mir kann's recht sein. Aber auf dem Geschäftspapier seines Theaterverlages sind die Dichter und Werke und was er halt so vertreibt, aufgedruckt. Und da heißt es denn unter anderm:
Hirschfeld Ludwig: Exzellenz Pompadour — Karczag Wilhelm: Entsagung.
Und Kompagnons:
Mars Antony und Lyon Henry: Frau Admiral — Molnar Franz und Halm Alfred: Der Herr Verteidiger.
Und noch zwei, die zusammen ein Stück geschrieben haben:
Nestroy Johann und Birinski Leo: Nur Ruhe.
Pst, leise, einer ist tot. Nur Ruhe, laßt mich machen, ich bring den andern schon von der Stelle. Macht keinen Lärm, ich will ihm zureden. Wie, er geht nicht? Karczag, trennen Sie die beiden, reißen Sie den da weg. Sie sind ja selbst Dichter, haben Sie ein Herz. Wie, es ist gut für Nestroy? Keine falsche Pietät, Karczag!.. Bitte, das sollte nicht sein. Ich habe ja darin vielleicht etwas übertriebene Vorstellungen. Aber ich glaube, das sollte nicht sein. Kainz Josef und Birinski Leo: das mag angehen. Er hat ihm sterben geholfen, er war dabei. Man hat Kainz operiert, er hatte einen Birinski, die Ärzte verheimlichten es ihm, und er mußte schließlich doch dran glauben. Gut, es besteht ein Zusammenhang. Aber als Nestroy starb, war Birinski nicht dabei. Nestroy starb und Birinski war noch lange nicht geplant. Es hat ihn auch nie vorher gegeben, er gehört der Neuzeit an. Nestroy war schon vierzig, fünfundvierzig Jahre tot, seine Werke waren längst antiquarisch zu haben, da verkaufte sie Birinski. Das kann man eine Geschäftsverbindung nennen, aber so intim ist sie schließlich nicht. Ursprünglich dem kaufmännischen Beruf bestimmt, widmete sich Birinski später der russischen Revolution. Er entschloß sich, russischer Flüchtling zu werden, und es gelang ihm. Er lief durch die Rotenturmstraße und man sah ihm an, dass er aus Rußland komme. Ein bißl echauffiert. Denn hinein kommt man schwer, aber hinaus gehts schnell. Etwas war dran. Ich sage, eher ist die russische Revolution von Birinski als nur Ruhe. Bitte bitte bitte, es geht nicht. Entschließen wir uns, den zweiten Autornamen vom Repertoire abzusetzen, riskieren wir's. Nestroy wird es schaden, aber er hat ja auch bei Lebzeiten nicht so viel verdient. Es wird zur Not gehen. Wir müssen ja Nestroy nicht gerecht werden, aber wenn wir auch noch nicht ahnen, dass er unsterblich ist, so wissen wir doch schon, dass er tot ist. »Troilus und Cressida von Shakespeare und Gelber« hätte man nicht auf den Zettel geschrieben, so gut es wegen der Kritik gewesen wäre. Mir tun solche Dinge leid. Ich will nicht, dass es so weit komme. Ich kann Waggonladungen fauler Äpfel zur Premiere dirigieren, wenn zwei Kompagnons auf dem Zettel stehen und nur einer sich bedanken kommt. Herunter mit ihm und der andere soll gerufen werden, der Tote! Am Krebs stirbt man. Das ist ein Zusammenhang. Aber wenn man tot ist und ein Leichenwurm sagt, er sei der Kompagnon, so soll man ihn darin nicht bestärken, sondern nach Rußland schicken, auf dass er, wenn es ihm nicht gelingt, hineinzukommen, als Flüchtling zurückkomme, und wenn es ihm gelingt, dort zusammen mit Gogol den »Revisor« schreibe.
November, 1913.