Der Wirrwarr
»... Als Gast erschien Fräulein Maria Mayen vom Berliner Lessing-Theater. (Zur Lösung des Wirrwarrs, der jetzt besteht: Fräulein Maria Mayen aus Berlin und nicht Fräulein Maria Mayer von der Volksbühne. Maria Mayen gastiert in dieser Woche und spielt niedliche Mädchen. Maria Mayer wird im Mai gastieren und Charakterrollen geben.) Maria Mayen also erschien gestern als Helene ...«
Dieser Saiten hat eine Entschiedenheit in der Lösung von gordischen Knoten, dass man ihm ruhig das Balkan-Problem anvertrauen könnte. Wenn die albanische Abgrenzung so glatt von statten ginge, und die Enunziationen des auswärtigen Amtes so klar wären wie die Sprache der Theaterrubrik des Fremdenblatts, dann würde Europa das tun, was ihm jetzt in allen Leitartikeln gegönnt wird: aufatmen. Sollte man meinen. Aber auch die klarste Sprache scheint nicht mehr imstande zu sein, eine Entspannung zu fördern, denn die Demarche des Herrn Saiten endet mit einem Fiasko. Montenegro gibt nicht nach. Wer hätte das für möglich gehalten? Nach dieser dezidierten Erklärung, mußte man annehmen, kann doch kein Zweifel mehr bestehen, dass die Mayen nicht die Mayer ist und infolgedessen die Mayer nicht die Mayen, ferner mußte man wissen, wann die Mayen und wann die Mayer gastiert und dass die Mayer erst im Maien auftritt, während die Mayen schon im März drankommt. In Skutari gehts drunter und drüber, aber das zum Kuckuck wird man sich doch endlich merken! Ja, wenn wir nicht in Wien wären, wo bekanntlich die größte Schlamperei herrscht und wo man immer erst fühlen muß, um zu hören. Die Enttäuschung eines Wachmanns, der durch die Kärntnerstraße geht und fortwährend: »Bitte links! Bitte links!« sagt, muß nicht ärger sein als die des Herrn Saiten, wenn er nunmehr die folgende Notiz liest:
Fräulein Mayen wird mit Beginn der nächsten Saison Mitglied des Burgtheaters. Die Engagements des Fräulein Marie Mayen und des Herrn Viktor Schwanneke hängen vom Erfolge ihrer Gastspiele ab.
Und dafür hat man gekämpft! Herstellt! mag er rufen, wie kann denn um Gotteswillen das Engagement des Fräuleins Mayen erst vom Erfolg ihres Gastspiels abhängen, wenn dieses bereits absolviert und sie schon engagiert ist, und wie kann denn das Fräulein Mayen engagiert sein, wenn ihr Engagement erst vom Erfolg des Gastspiels abhängt? Aber Saiten bedenkt nicht, dass der Setzer nur das Opfer seiner strengen Erziehung ist. Denn der Setzer hatte gewußt, dass man die Mayen nur zu leicht mit der Mayer verwechselt, und hat es deshalb gleich vorgezogen, die Mayer mit der Mayen zu verwechseln. In Berlin, wo man Ordnung hält, sind die Setzer noch unbefangen und darum erschien, als der Korrespondent des Berliner Tageblattes das Engagement des Fräuleins Mayen meldete, die folgende Notiz:
Marie Mayer wurde einem Privat-Telegramm zufolge nach ihrem erfolgreichen Gastspiel am Wiener Burgtheater für fünf Jahre an diese Bühne verpflichtet.
Da aber der Korrespondent des Berliner Tageblattes Herr Saiten ist, so muß ihn der Anblick des Satzes annähernd in den Zustand versetzt haben, in dem sich Timon von Athen befand, als ihm die falschen Freunde von dem Geld nichts borgen wollten, das er ihnen geschenkt hatte: Verzweiflung, Menschenhaß und das Gefühl grenzenloser Einsamkeit. Es ist aber das Schicksal der Persönlichkeit, dass sie leiden muß, wo sie beglücken wollte. Möge dieses unerhörte Erlebnis die Saat sein, der der Gedanke entsprießt: Die Maria Mayen soll sich, um fürder nicht mehr Verwechslungen ausgesetzt zu sein, von nun an Maria Mayer nennen! Sollte aber dann etwa die Gefahr bestehen, dass man sie von der Maria Mayer nicht unterscheiden kann, so nenne sich diese einfach Maria Mayen. Damit ist allen Teilen geholfen, der Erfolg gleicht auf ein Haar den Zugeständnissen, die Österreich für sein Prestige erzielt, und keine Unzufriedenheit kann nie nirgends nicht mehr aufkommen.
Nachschrift. Montenegro gibt nach. Der Setzer dieser Glosse hat, um die Lösung des Wirrwarrs zu erleichtern, überall statt Mayen Mayer und statt Mayer Mayen gesetzt.
April 1913.