Gegen Schlußsteinlegungen bin ich auch


mir ist schon gar nichts mehr recht, alles niederreißen — gut, aber sagen Sie mir nur, was habe ich dagegen, dass andere Leute etwas aufbauen, wie zum Beispiel dieses Riesengebirge hinter dem Schwarzenbergplatz, wo Musik gemacht wird, Leute, die wirklich etwas Positives leisten und zu diesem Zwecke natürlich einen Schlußstein legen müssen, wie zum Beispiel der Generalsekretär Botstieber, den der Präsident mit den Worten vorstellte:

»Das ist unser Baureferent, auf dem die ganze Last der Arbeit ruhte und der um das Zustandekommen des Hauses außerordentliche Verdienste hat.« Dr. Botstieber sagte hierauf: »Ich habe die Arbeit meines Lebens in dieses Werk gesetzt.« — Mit den Worten »Das ist sehr schön« verabschiedete sich der Kaiser von ihm.

Da standen wohl in manchem Auge Tränen. Die Ergriffenheit der Enkel, denen die Großväter erzählten, dass sie noch Goethe gesehen haben, der damals eben den Faust unter Dach brachte, ist nichts gegen das feierliche Schweigen derer, denen einst diese Enkel zu erzählen beginnen werden. Auch könnte man, wenn man nur so oberflächlich hinhört, glauben, es handle sich um die Einigung der österreichischen Nationen zu einem Staat, sie sei gelungen und ein Kaiserwort »Ich habe die Arbeit meines Lebens in dieses Werk gesetzt« gehe jetzt von Mund zu Mund, Nein, es sagts einer dem Kaiser, freilich ein Generalsekretär. Und alle sagen sie dem Kaiser etwas. Der Generaldirektor der Südbahn — lauter Generale stehen um den Kaiser — ist zum Glück musikalisch und sagt: »Es war mir eine Ehre, mich trotz Eisenbahn auch mit diesen Dingen zu befassen.« Das weiß ich und dachte gern daran, als ich neulich nachts in einem schlecht geheizten, zugigen, humpelnden und schmutzstarrenden Coupe nach Triest fuhr. Man kann zum Geräusch der Eisenbahn bekanntlich Musik machen und ich skandierte unaufhörlich den Satz: »Aber nur Geduld, aber nur Geduld, das Konzerthaus wird desto schöner«, und ich dachte mir, dass man in Österreich nicht per Eisenbahn, aber trotz Eisenbahn vorwärtskommt. Auch an Karpath dachte ich, dem viel zu verdanken ist und der den Richard Strauß dazu bewogen hat, die Eröffnungsmusik zu schreiben. Karpath war das Motiv. Kalbeck sagt darüber:

Dass die Konzerthausgesellschaft ihr Programm mit dieser ad hoc komponierten Gelegenheitsmusik schmücken konnte, verdankt sie dem diplomatischen Talent unseres Freundes Ludwig Karpath. Strauß hat nach einigem Zögern die Gelegenheit beherzt beim Schöpfe und 120 Musiker bei den Ohren ergriffen.

Den Besucher aber ließ er im Zimmer und erfüllte seinen Wunsch. Allerdings etwas anders, als es der Weihe des Hauses entsprechen sollte:

Mit Erfolg bemüht, einen möglichst objektiven Beweis seiner Zuneigung zu Wien zu geben, zeigt er nur manchmal die eigene Löwenklaue, die zerreißt, wenn sie streichelt ... All dies und noch manches andre ist thematisch in das Präludium hineingeheimnist ...

Wie Kenner versichern, ist es Programmusik über den Gedanken: die Wiener Gschaftlhuber können mich gern haben. Item, da man das Vorspiel hatte und die Persönlichkeiten auch beisammen waren, konnte an die Legung des Schlußsteines geschritten werden.

Während dem Kaiser hierauf eine Reihe von Persönlichkeiten vorgestellt wurde, wurde mit der Schlußsteinurkunde eine Serie der gegenwärtig im Umlauf befindlichen Münzen und je ein Exemplar aller gestern in Wien erschienenen Tagesblätter eingemauert.

Nein, ist das aber eine Feierlichkeit! Ja wer hat denn diese prächtige Idee gehabt? Anstatt die Inseratenrechnungen einzumauern, was viel zu nüchtern gewesen wäre, hat sich die Konzerthausgesellschaft entschlossen, das Geld und die Zeitungen einzumauern. Noch heute, wenn irgendwo in Ostasien der Gatte begraben wird, begräbt man auch, was ihm am teuersten war und am nächsten, die Witwe. Die Konzerthausgesellschaft irrt aber, wenn sie glaubt, dass sie mit diesem symbolischen Vorgang ihren Pflichten gegen die Presse ein für allmal genügt hat. Das Geld einmauern — das möchte den Herren so passen! Nein, wenn die Zeitungen ihre Musikkritiker hineinschicken, werden sie nicht verfehlen, die Direktion darauf aufmerksam zu machen, dass man nicht zu viel hätte einmauern sollen — das stört die Akustik. Überhaupt in einer aufgeklärten Zeit solches Harakiri des Geldes vorzunehmen! Was sollen denn einst die, die nach uns kommen werden, von uns denken? Was da eingemauert wird, dringt mit einem Klageton durch Mauer und Monde. Gewiß, es wird Massel bringen. Aber dereinst, wenn es schon lauter Fremde in Wien geben wird und die Ruine des Konzerthauses wird ihnen gezeigt werden, dann werden sie sagen: »Hier stinkts!« Man wird ihnen erklären, warum. Es sei etwas eingemauert worden. »Das Geld?« »Non olet, aber die Zeitungen!« Sie werden fragen, wer alles bei der Schlußsteinlegung dabei war. Man wird ihnen sagen: »Die Persönlichkeiten!« »Was hatten die dabei zu tun?« »Auf ihnen ruhte die ganze Last der Arbeit.« »Hat man sie auch eingemauert?« »Nein, sonst hätten sie nicht der Schlußsteinlegung beiwohnen können.« »Man hätte sie trotzdem einmauern sollen!«

 

 

November, 1913.


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