Schükri Pascha ergibt sich den Reportern


Sie kamen ihn zu fragen, ob er sich den Bulgaren oder den Serben ergeben habe. Er ergab sich ihnen. Zwölf Vertreter der bedeutendsten ausländischen Blätter über einen Helden von Adrianopel! Feiges Gesindel! Und er spie sie nicht an, er »begrüßte die Eintretenden mit herzlichem Händedruck«.

Am Kleiderrechen hängt sein einfacher Säbel, in der Ecke steht eine Etagere, beladen mit Zeitungen.

So gehört sichs.

Sofort beginnt ein Kreuzfragen der Erschienenen.

Ja, es ist ein Kreuz, dieses Fragen, und der Halbmond ermattet.

Nur bei Fragen militärischen Charakters wird er nachdenklich und bittet schließlich, schweigen zu dürfen.

Aber es gibt keinen Pardon.

»Es ist traurig, dass ich als Gefangener die Vertreter der ausländischen Presse empfangen muß«, begann Schükri Pascha. »Ich bin bereit, den Herren Aufklärungen zu geben.«

Es ist nicht nur traurig, es ist die schmachvollste Verschärfung der Gefangenschaft. Es ist der letzte Gang. Der Feind gibt dem Gefangenen den Säbel zurück, aber der Vertreter des Blattes setzt ihm den Revolver auf die Brust. Dass man als Held von Adrianopel in diese Situation kommt, ist sicher die tiefste Demütigung.

Frage: »Ergaben sich Exzellenz den Bulgaren oder den Serben?«

Anstatt mit Kusch zu antworten, gibt er Details.

Frage: »Es hieß hier, dass Exzellenz auf das Ersuchen Marcholews, den Säbel abzugeben, erwiderten, dass Sie keinen Säbel tragen?«

Antwort: »Ich trug auch keinen Säbel, immer nur den Revolver, der bessere Dienste als der Säbel leisten kann.«

Das ist gewiß nicht wahr und offenbar nur ein ironisches Kompliment an die Adresse der Besucher. Aber die Bagage fühlt sich nicht einmal beleidigt, als er von den gemeinen Lügen einer Zeitung spricht, die behauptet hatte, dass er mit seinen Offizieren zerfallen sei. Er hätte während der Belagerung Adrianopels Berichtigungen abfassen sollen, unterließ es aber. Er begnügt sich jetzt mit der Beteuerung, dass er und seine Soldaten immer fest zusammengehalten haben. Das genügt aber der Bagage nicht.

Frage: »Womit erklären Exzellenz den raschen Fall nach Beginn des Sturmes? Ist es wahr, dass Exzellenz sich äußerten, gegen, solche Belagerer könne niemand standhalten?«

Anstatt nunmehr einen nassen Fetzen zu ergreifen, oder einen Zündstein, oder wenigstens den Abortbesen, begnügt er sich abzuwehren.

In großer Bewegung sagte Schükri Pascha: »Bitte, lassen Sie mich schweigen

Das Gezücht läßt ihn aber nicht schweigen, sondern will noch wissen, ob er gewußt habe,

dass in Kirkkilisse, Baba Eski, Bunar Hissar und Lüle Burgas die türkische Armee geschlagen war? Waren Exzellenz immer mit Konstantinopel in Verbindung?

Da hört sich denn doch alles auf. Und Schükri Pascha antwortet.

Antwort: »Gewiß, aber oft war der Apparat so schwach, dass tagelang der Verkehr abgeschnitten war . ...«

Natürlich, denn der Apparat wurde für die Herbstzeitlosen gebraucht, als Herr Zifferer vor Adrianopel stand. Dieser hatte einen Auftrag zu vollziehen, der wohl etwas wichtiger war als die Verteidigung Adrianopels. Man wird es für eine Erfindung halten (dagegen ist die Realität heute machtlos): Herr Benedikt hatte depeschiert: »Sendet farbigen Bericht.« Und Zifferer sandte farbigen Bericht. Einen Bericht, gegen dessen Farbe das um Adrianopel vergossene Blut ein Tineff war. (Tineff ist der bulgarische Ausdruck für Lappalie.) Der Apparat war überlastet, die in Adrianopel konnten nichts von denen in Konstantinopel erfahren und vice versa, weil die in Wien alles erfahren mußten. Das Weitere erzählt Schükri Pascha »seufzend«. Pestilenz und Hungersnot sind böse Erinnerungen, aber darüber noch den Vertretern der Presse Auskunft geben zu müssen, ist grausam. Schükri Pascha erklärt, »dass für die Ausländer und die Christen gesorgt war und nur die Muselmanen zu furchtbaren Entbehrungen verdammt waren.« Das genügt aber diesen Christen und Ausländern nicht, sie wollen Details. Die Frechheit versteigt sich zu der

Frage: »Ist es wahr, dass Exzellenz zuletzt an Ihren Soldaten verzweifelten

Anstatt nun endlich den Säbel vom Kleiderrechen zu nehmen, versichert dieser allergeduldigste Mohammedaner, dass er nie etwas derartiges gesagt habe.

»... Was dürfte ich Soldaten sagen, welche monatelang kaum ein Drittel der gewöhnlichen Brotration genossen? Der Hunger hat uns in erster Linie besiegt . ...«

Und in dieser Zeit wurden vor Adrianopel Tausende für farbige Depeschen ausgegeben! Das Gesindel läßt aber den alten Mann noch nicht in Ruhe, sondern will noch wissen, warum er den Auftrag gegeben habe, die Ardabrücke zu zerstören und die Pferde niederzuschießen. Der Bursche, der die Antworten für die Neue Freie Presse abzufangen hat, schließt endlich und wörtlich mit den Worten:

Wir merkten, dass unser liebenswürdiger Erzähler unter den furchtbaren Erinnerungen, die er bisher verborgen hatte, litt. Es wäre taktlos gewesen, mehr zu fragen. Freundlich lächelnd bot der unglückliche Gefangene jedem seine Hand.

Der Held von Adrianopel ist ein liebenswürdiger Erzähler, der im Gegensatz zu den andern liebenswürdigen Erzählern, die in der Literaturrubrik gelobt werden, etwas erlebt hat. Nebenbei bemerkt, er hatte die furchtbaren Erinnerungen bisher verborgen: was er also jetzt liefert, ist ein Originalbericht. Es wäre taktlos gewesen, mehr zu fragen. So weit aber war alles noch ganz korrekt. Schükri Pascha hat sich freiwillig ergeben, und erst spätere Besucher werden erfahren, ob er sich zuerst der Presse oder dem Tagblatt ergeben hat. Bis dahin aber hat der Himmel die Geduld eines Türken und die Blitze zögern dort, wo man sie am dringendsten braucht. Und zwölf Ziegelsteine fallen nicht vom Dach, wenn zwölf Boten der Christenheit ihr Kreuzverhör mit einem gefangenen Mohammedaner beendet haben. Sie gehen hin und dürfen es unter der Aufschrift bringen: »Der Held von Adrianopel über die Zeit der Belagerung«. Welch ein infernalischer Hohn, dass es der Sieg der Kanaille ist, wenn der Held von Adrianopel gesprächig wird und sich nicht nur in der Zeit der Belagerung, sondern über die Zeit der Belagerung bewährt. Am Kleiderrechen hängt der Säbel, auf der Etagere liegen die Zeitungen. Das ist die Ordnung. Die zwölf Boten der Christenheit gehen nachhaus und schildern ihr, wie der Islam stirbt. Sie hört es an. Mein Glaube ist, diese Christenheit taugt auch nicht.

 

 

Mai 1913.


 © textlog.de 2004 • 24.12.2024 17:55:05 •
Seite zuletzt aktualisiert: 14.01.2007 
bibliothek
text
  Home  Impressum  Copyright Die Fackel: » Glossen » Gedichte » Aphorismen » Notizen