§ 7. Englische Gegner Hobbes' (Cambridger Schule) im 17. und zu Anfang des 18. Jahrhunderts.
In seinem Vaterlande rief Hobbes' Naturalismus zunächst eine heftige Gegnerschaft, namentlich der Theologen und Moralphilosophen, hervor. Wir schweigen von der scholastischen Oxforder Orthodoxie. Mit philosophischen Gründen bekämpfte ihn die längere Zeit zu Cambridge, der Rivalin Oxfords, blühende platonisierende Richtung, die Philosophie und Theologie zu verschmelzen suchte. So Ralph Cudworth (1617-88), dessen Fragment geblichenes Hauptwerk Das wahre intellektuelle System des Universums (1678) ausdrücklich der Widerlegung des Atheismus gewidmet ist. Der Geist ist der Schöpfer, nicht das Geschöpf der Dinge. Hinter jedem Bestandteil der Körperwelt steckt eine bildende (plastische) Natur geistiger Art, hinter jedem größeren Ganzen, sei es ein Tier- oder Menschenleib oder ein Planet, ein eigenes Lebensprinzip, hinter dem unendlichen All ein unendlicher Verstand. Alles Wissen ist nur ein von Gott Erleuchtetwerden. Außer diesem an die mystische Naturanschauung eines Paracelsus erinnernden naturphilosophischen Werk, hat Cudworth noch eine moralphilosophische Abhandlung Von dem sittlich Guten und Bösen geschrieben (veröffentlicht erst 1731). Danach sind Sittlichkeit und Recht von Ewigkeit her in der göttlichen Vernunft begründet, und die sittlichen Wahrheiten ebenso sicher und erkennbar wie die mathematischen. Doch bedarf die Philosophie zu ihrer Ergänzung der Religion, der Platonismus des Christentums.
Noch mystischer erscheint Henry More (1614-87), der sich u. a. sogar auf die jüdische Kabbalah beruft. Dabei erkennt er die mechanische Naturansicht des Descartes, mit dem er einen interessanten Briefwechsel geführt hat, in bezug auf die aus Atomen (»physischen Monaten«) bestehende Körperwelt durchaus an. Aber Bewegung, Leben. Empfindung erhalten diese Monaden nur durch ein »hylarchisches«, d.h. stoffregierendes Prinzip geistiger Art, nämlich die in einer vierten Dimension existierenden Naturgeister oder spirits, die sich selbsttätig zusammenziehen und wieder ausdehnen sowie gegenseitig durchdringen können. Ihr gemeinsames Band ist der alle Körper umschließende unendliche Raum, der zugleich der Abglanz des unendlichen Geistes, d. i. Gottes ist. Mores in seinem Metaphysischen Handbüchlein niedergelegte Naturphilosophie ist historisch von Interesse, weil sie Newtons Lehre von den Fernwirkungen wie überhaupt das metaphysische und religiöse Denken in England gegen Ende des 17. Jahrhunderts nachhaltig beeinflußt hat. Neben seinem »metaphysischen« verfaßte er auch ein Ethische Handbüchlein, das eine enge Beziehung zwischen Tugend und Glückseligkeit annimmt und uns aus dem »Gefühle« der Tugend heraus zu handeln auffordert.
In gewisser Beziehung erinnert an More der erst neuerdings von Cassirer (Erkenntnisproblem I 465-473) ans Licht gezogene Richard Burthogge, der an einem bestimmten Punkte ebenfalls zu einer metaphysischen Geisterlehre umkippt, während er im übrigen eine an Geulincx (§ 4), ja beinahe schon an Kant erinnernde selbständige Kritik des Verstandes übt. Auch Kenelm Digby entwickelt in seinem Beweis der Unsterblichkeit der Seele (englisch 1644) bereits wichtige erkenntniskritische Grundsätze: Es gibt nichts im Verstande, was zuvor in den Sinnen gewesen wäre. Die »Substantialität« der Dinge ist nur der Widerschein ihrer geistigen Vereinheitlichung, weshalb man statt der »Dinge« unsere Begriffe von den Dingen erörtern soll. Der Grundbegriff der Seele ist das Sein, von dem sie dann zu den konkreten Einzeldingen weiterschreitet.
Die Lehre Malebranches (§ 4), des »großen Galileis der intellektuellen Welt«, von der Existenz dieser Welt und der »ewigen Wahrheiten« sucht John Norris (1657 bis 1711) in seiner Theorie der idealen oder intelligibelen Welt (1701 ff.) mit scholastischer Genauigkeit fortzubilden. Die Sinne sind stumm, nur die Vernunft spricht in uns und zu uns von den Dingen. Und Collier (1680-1732) sucht sogar in seinem Clavis universalis oder Neue Untersuchung der Wahrheit (London 1713) bereits, unabhängig von dem ungefähr gleichzeitigen Berkeley (s. § 19), die »Unmöglichkeit einer äußeren Welt« zu beweisen, unter Berufung auf den Raum und - den Gottesbegriff. In diesen Zusammenhang gehören endlich auch die Newtonianer Clarke und Raphson. Clarke, dem wir unter den Moralphilosophen des 18. Jahrhunderts (§ 18) wiederbegegnen werden, behauptet, dass die Naturwissenschaft selbst, insbesondere die Unendlichkeit des Raumes und der Zeit, auf ein göttliches Urwesen führe. Und bei Raphson umschließt, ähnlich wie bei H. More, diese oberste Ursache sogar alle einzelnen Punkte des Raumes und alle Augenblicke der Zeit.
In ethischer Beziehung und in der Bekämpfung von Hobbes stimmt mit der Cambridger Schule überein der gelehrte Bischof Cumberland (1632-1718), der in seinem Hauptwerk Philosophische Untersuchungen über die Naturgesetze (1672), entgegen dem bellum omnium contra omnes, Unschuld und Frieden als Urund Naturzustand der Menschheit betrachtet und im stärksten Gegensatz zu Hobbes die sozialen Instinkte des Menschen betont. Das sittliche »Naturgesetz« besteht in dem uns von Gott eingepflanzten, auf das Gemeinwohl gerichteten Wohlwollen. Die Pflichten werden begründet auf die guten oder schlimmen Folgen, die nach dem Willen Gottes und der Einrichtung der Natur mit unserem Handeln verbunden sind. Lohn und Strafe im Diesseits und Jenseits sind notwendige Mittel zur Erreichung jenes obersten Zweckes, des Wohles der Gesamtheit. Gott, der Urheber der Naturgesetze, ist auch der Rächer ihrer Verletzung.