2. Die eine Substanz = Natur = Gott
Dies erste und oberste Prinzip, von dem das erste Buch der Ethik handelt, ist - Gott. Hier also, und ebenso im Tractatus brevis, beginnt Spinoza nicht mehr, wie Descartes, mit dem Maßstabe der Wahrheit, sondern sofort mit der höchsten Abstraktion, dem Unbedingten, das ihm als der Urgrund aller Wirklichkeit erscheint. Es zeigt sich der religiöse Grundton seines Denkens, die Nachwirkung seiner Jugendbildung, des israelitischen Monotheismus im Verein mit jüdisch- christlicher Scholastik. Die Ethik fängt mit nicht weniger als acht Definitionen an: der causa sui, der res in suo genere finita, der Substanz, des Attributs, des Modus, der Gottheit, der Freiheit und Notwendigkeit, der Ewigkeit. Wir setzen die wichtigsten hierher. »Unter dem Grunde seiner selbst verstehe ich das, dessen Wesen seine Existenz einschließt.« Ähnlich wird die Substanz bestimmt als »das, was an sich ist und durch sich selbst begriffen wird«, d. i. das, dessen Begriff von keinem anderen abhängig ist. Alle anderen Dinge können nur Eigenschaften (Attribute) oder Arten (Modi) sein, in denen sich die eine Substanz offenbart. Attribut nämlich heißt das, was der Intellekt an der Substanz als ihr Wesen ausmachend auffaßt. Modi sind die Affektionen, durch welche die Attribute auf besondere Weise ausgedrückt werden. Gott aber ist die reine, schrankenlos unendliche Substanz, die aus unendlich vielen Attributen besteht, deren jedes ein ewiges und unendliches Sein ausdrückt.
Im Begriffe der einen Substanz liegt es, dass sie causa sui (Urgrund), unendlich, unteilbar, ewig sein muß. Sie kann nur eine einzige sein, denn zwei gleiche Substanzen wären ununterscheidbar, zwei verschiedene aber könnten nicht aufeinander wirken. Aus ihr folgt alles mit derselben Notwendigkeit, wie aus der Natur des Dreiecks folgt, dass seine Winkel = 2 R sind. Selbst bestimmungs- und schrankenlos, ist sie die bestimmende und wirkende Ursache aller Dinge, die erste und einzige »freie« Ursache - denn außer ihr ist alles Notwendigkeit -, bloß nach ihren eigenen d. i. der Natur Gesetzen, nicht auf die Dinge, sondern in den Dingen wirkend (ihnen immanent). Ob man sie Gott oder Natur nennt, macht für die Sache wenig aus; so konnte einer seiner Gegner auf den merkwürdigen Gedanken kommen, in Spinozas Werk sei das Wort »Deus« erst vom Herausgeber an Stelle des ursprünglich überall stehenden »Natura« hineingesetzt worden! Wesen, Existenz und Macht Gottes fallen zusammen. Verstand und Wille gehören nicht zu seinem Wesen, der natura naturans, sondern schon zur natura naturata; ja er handelt nicht einmal unter dem Zwang der Güte (sub ratione boni), denn dann wäre er von etwas anderem über ihm abhängig, was absurd ist. Noch viel weniger natürlich besitzt er andere menschliche Eigenschaften wie Freude, Haß, Liebe usw. Es gibt keinen Zufall, kein willkürliches Handeln, alle Dinge mußten in derselben Weise und Ordnung erzeugt werden, in der sie erzeugt wurden. Ja, im letzten Grunde ist die eine Substanz nichts anderes als die durchgehende »geometrische« Ordnung des Seins. Wie finden nun innerhalb dieser alles umfassenden einen Substanz die Einzeldinge ihren Platz?