7. Mechanismus und Teleologie
Das Reich der Natur und das Reich der Gnade. Aber die mathematisch- mechanischen Gesetze füllen, wie wir bereits sahen, das Wesen der Natur oder sagen wir genauer das Gebiet der Naturwissenschaft nicht aus. Schon im Kraftbegriff und noch mehr in denen der Entwicklung und des Organismus ist ein anderer Gedanke verborgen: der des Zweckes. Ja, Leibniz sieht ihn schon in den obersten Gesetzen der Bewegung wirksam. »Nun ist es überraschend«, schreibt er in den Vernunftprinzipien der Natur und der Gnade (1714), »dass man durch die alleinige Betrachtung der wirkenden Ursachen oder der Materie nicht von den Bewegungsgesetzen Rechenschaft geben kann, die man in unseren Tagen entdeckt hat, und die ich zum Teil selbst gefunden habe. Man muß vielmehr, wie ich erkannt habe, hier zu den Zweckursachen seine Zuflucht nehmen, da diese Gesetze nicht von dem Prinzip der Notwendigkeit, wie die logischen, arithmetischen und geometrischen Wahrheiten, sondern von dem Prinzip der Angemessenheit, d.h. von der durch die Weisheit getroffenen Wahl abhängen.« Allerdings soll damit die mechanische Erklärung in keiner Weise entwurzelt werden. Nur in der mechanischen Ordnung der Dinge betätigt sich die göttliche Weisheit oder tätige Kraft. Leibniz bekennt sich ausdrücklich als Gegner der Vitalisten seiner Zeit (z.B. H. Mores), »die für die Deutung der Erscheinungen selbst irgendeine ursprüngliche Lebenskraft oder ein hylarchisches Prinzip in Anspruch nehmen. Als ließen sich nicht alle Naturvorgänge mechanisch erklären.. !« Und der Weg der mechanischen Erklärung gilt ihm zwar, »wenn man zu den speziellen Fragen vordringt, als ziemlich schwierig«, aber doch »in der Tat tiefer und gewissermaßen unmittelbarer und a priori«: während der teleologische leichter ist, indes häufig schneller zu wichtigen und nützlichen Wahrheiten führt, die man auf dem anderen, »mehr physischen« Wege lange Zeit hätte suchen müssen; wofür Leibniz Beispiele aus der Anatomie und Optik anführt. Er selbst z.B. hatte in einer Abhandlung in den Acta Eruditorum (1682) aus der teleologischen Annahme, dass der Lichtstrahl stets den einfachsten und leichtesten Weg wähle, mechanische Gesetze der Reflexion und Lichtbrechung gewonnen und sie sodann durch das Experiment bestätigt. Beide Betrachtungsweisen können und müssen vereinigt werden. Es gibt keine Weltseele, sondern eine »Maschine der Dinge«, aber diese ist von dem Schöpfer mit so unendlicher Weisheit eingerichtet worden, dass sie sich nach den ihr von ihm ein und für allemal eingepflanzten Gesetzen von selbst weiter entwickelt. Damit tritt unser Philosoph sowohl den Okkasionalisten (§ 4) wie der (spinozistischen) Substanzlehre entgegen, »welche Lehre schlimmster Art neuerdings ein allerdings scharfsinniger, aber irreligiöser Schriftsteller in die Welt gesetzt hat«. Leibniz dagegen will durch seine Verbindung von Mechanismus und Zweckhaftigkeit, nach der es nichts Totes, nichts Unfruchtbares, nichts Unnützes im Weltall gibt, »Religion mit Vernunft in Einklang bringen« und so die »rechtschaffenen Seelen« beruhigen, »welche die mechanische oder Korpuskular-Philosophie fürchten, als ob sie uns von Gott und den unkörperlichen Substanzen entfernen könnte, während sie im Gegenteil, mit den erforderlichen Berichtigungen und bei richtiger Auffassung des Ganzen, uns darauf hinführen muß«. Vielmehr ist »allgemein daran festzuhalten, dass sich alle Vorgänge auf doppelte Weise erklären lassen: durch das Reich der Kraft (Natur) oder die wirkenden Ursachen und durch das Reich der Weisheit (Gnade) oder die Zweckursachen«, und dass »sich diese beiden Reiche überall durchdringen, ohne dass doch ihre Gesetze sich jemals vermengen und stören«.