3. Der Theologisch-politische Traktat


Der Theologisch-politische Traktat bildet keinen Teil des Systems, sondern charakterisiert den Menschen Spinoza und seine sittlich-religiöse Weltanschauung; sein Inhalt kann deshalb schon hier wiedergegeben werden. Spinozas Kampf gegen die Verkettung von Religion und Staat ist ein echt moderner; er trifft sowohl den Staatsbegriff des Altertums wie den Kirchenbegriff des Mittelalters. Er predigt die Religion der Humanität und der Lebensführung im Gegensatz zu der des Dogmas und der Kulte. Religion ist einerlei mit Liebe, Gerechtigkeit, Ergebenheit in Gott. Nach seinen Werken allein ist der Gläubige zu beurteilen. In einem freien Staat muß einem jeden erlaubt sein, zu denken, was er will, und zu sagen, was er für recht hält; das ist das natürliche Recht jedes Menschen. Der Staat kann nur das Gebiet äußerer Handlungen, nicht aber das Gemüt beherrschen. Philosophie und Theologie sind zu trennen, keine von beiden soll die Magd der anderen sein; nur so ist ein dauerhafter Friede zwischen ihnen möglich. Wissenschaft hat den einzigen Zweck der Wahrheitsforschung, Religion dagegen soll das Gemüt zur Sittlichkeit und zum Gehorsam führen und darf zu diesem Zwecke auch Symbole bilden und brauchen. Die Naturgesetze, nicht Mirakel sind die wahren Gesetze Gottes. Übergriffe der Kirche schädigen auch den Staat, während durch die Freiheit der Wissenschaft die Religion selbst gefördert wird, die dann nicht mehr Andersdenkende verfolgen, sondern ihre Aufgabe im religiösen Leben suchen wird. Der theologisch-politische Traktat ist zugleich der erste Versuch einer unbefangenen Kritik der Bibel, namentlich des Alten Testaments, vom philologisch-historischen Standpunkt aus. In Christus hat sich, wie Spinoza an anderer Stelle (73. Brief) meint, die göttliche Weisheit am vollkommensten geoffenbart.

Dass Grundsätze wie die in diesem Traktat ausgesprochenen, die selbst heute in den meisten sogenannten »Kultur«ländern noch nicht zu voller Durchführung gelangt sind, zu Spinozas Zeit auf starken Widerspruch stießen, kann nicht überraschen. Der Philosoph selbst hatte von dem großen Haufen weder den Willen noch die Fähigkeit, ihn zu verstehen, erwartet. Aber dass diese tiefreligiöse Schrift ein ganzes Heer von Streit- und Schmähschriften gegen den »unreligiösesten Autor«, den »krassesten Atheisten« entfesselte, zeigt doch, in welchem Maße ungewöhnlich die Offenherzigkeit, mit der Spinoza im Gegensatz zu den klugen Vorbehalten der Baco, Descartes und Hobbes seine Ansichten äußerte, den Zeitgenossen erschien. Auch sein Zutrauen zu der freien Verfassung und der Urteilsfähigkeit der Behörden seines engeren Vaterlandes sollte sich nicht bewähren: sogar in dem wegen seiner Denkfreiheit berühmten Holland wurde die Schrift verboten.


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