2. Die Stufen der Erkenntnis


Die einzelnen Stufen der Erkenntnis bestimmt Leibniz, in den in dieser Beziehung grundlegenden Meditationen (1684), zwar im wesentlichen im Anschluß an die Einteilungsgründe von Descartes und Spinoza, aber doch mit charakteristischen Änderungen und Fortbildungen. Eine Vorstellung ist dunkel, wenn sie nicht genügt, die vorgestellte Sache wiederzuerkennen; sie ist klar, sobald sie uns hierzu in Stand setzt. Trotzdem kann die klare Vorstellung verworren (konfus) sein, wenn ich die Merkmale der Sache nicht bestimmt aufzuzählen weiß; wie wenn z.B. ein Maler den Fehler eines Gemäldes zwar »klar« fühlt, aber den Grund nicht mit Bestimmtheit anzugeben vermag, oder wie man einem Blinden nicht »klar« machen kann, was »rot« ist. Dagegen heißt sie deutlich (distinkt), falls sich alle ihre Merkmale bestimmt angeben lassen, und adäquat, wenn deren Zergliederung bis ans letzte Ende durchgeführt werden kann. Sie ist endlich intuitiv, sobald wir alle Merkmale auf einmal denken können, während sie im anderen Falle, wo wir uns in Ermangelung dessen begnügen müssen, den Inhalt durch Zeichen auszudrücken, symbolisch heißt. - Zur verworrenen Erkenntnis gehören alle Sinneswahrnehmungen, zur deutlichen alle Nominaldefinitionen; für die adäquate weist unser menschliches Wissen ein vollkommenes Beispiel vielleicht nicht auf, doch kommen ihr die Zahlenbegriffe »sehr nahe« Beispiele einer symbolischen Erkenntnis sind Begriffe, deren sämtliche Merkmale man nicht gleichzeitig gegenwärtig haben kann, wie z.B. der eines Tausendecks, überhaupt »sehr zusammengesetzte« Vorstellungen. Die vollkommenste Erkenntnis ist natürlich die intuitive. Die Einteilung der Erkenntnis in die verworrene der Sinnlichkeit und die deutliche des Verstandes hat Leibniz auch später festgehalten, so namentlich in der nachgelassenen großen Streitschrift gegen Locke, den Nouveaux essais. Im ganzen aber ist sein Interesse nicht so sehr diesen erkenntnistheoretischen Klassifikationen, die er vielmehr nur gelegentlich berührt, zugewandt, als den philosophischen Voraussetzungen der Einzelwissenschaften, die ihm das Material zum Aufbau seines Systems geliefert haben. Welche aber von diesen hätte ihm, zumal im »mathematischen Jahrhundert« und bei seinen eigenen Anlagen, näher gelegen als die Mathematik?


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