3. Malebranche
3. Noch weiter in dieser Richtung geht Nicolas Malebranche (1638-1715). 1638 zu Paris geboren, zart und kränklich, daher von Jugend auf zurückgezogen lebend, trat er 1660 in die Kongregation des Oratoriums ein, eine Vereinigung von Männern, welche Wissenschaft und Kirche zu versöhnen suchten und statt Aristoteles und Thomas Augustin und Plato studierten. Durch die Lektüre Descartes' für diesen gewonnen, widmete sich der junge Malebranche bald ganz dem Studium der Philosophie, Mathematik und Physiologie. 1675 erschien sein Hauptwerk Recherche de la vérité, von dem er selbst noch sechs Ausgaben erlebte, 1688 seine Entretiens sur la métaphysique et sur la religion; interessant sind auch die philosophischen Streitschriften zwischen ihm und Arnauld. Daneben verfaßte er noch eine Reihe anderer, meist theologischer Schriften. Die Ausgabe von Jules Simon (Paris 1871, 4 Bde.) ist unvollständig.
Malebranches Philosophie ist zunächst durch sein psychologisches Interesse bestimmt: des Menschen am würdigsten ist die Wissenschaft vom Menschen. Aber die Natur der Seele selbst ist uns unbegreiflich; sie läßt sich wissenschaftlich erfassen nur in den ihr streng parallel laufenden körperlichen Erscheinungen. Der Physiker hat nicht nach »Dingen« zu fragen, die hinter den Wahrnehmungen lägen. Das wahrhaft Wirksame sind nicht die Körper, sondern die Gesetze des reinen Denkens. »Wahrheit« bedeutet eine reale Beziehung, die zwischen zwei Ideen stattfindet. Die Empfindungen verschaffen uns niemals die Gewißheit eines äußeren Gegenstandes, das vermögen bloß die mathematischen Begriffe und Urteile. Woher aber stammt die Wirksamkeit jener Gesetze selbst? Aus dem gleichförmigen und beständigen - Willen der Gottheit! Die Wirklichkeit löst sich für Malebranche in eine Mannigfaltigkeit zusammenhängender Ideen auf, es gibt kein unabhängiges stoffliches Sein.
Deshalb läßt sich auch nicht aus einem bloßen Begriffe (z.B. Gottes) auf seine dingliche Existenz schließen. Aber worin liegt nun die Haltbarkeit, Dauerhaftigkeit und Notwendigkeit dieses wahrhaften, intelligibelen Seins, z.B. des mathematischen, begründet? Wieder lautet die Antwort im Geiste Augustins: in unserem Schöpfer. In ihm sind alle Wahrheiten, also auch alle Dinge ihrer Idee nach enthalten. Die Idee eines Dinges (hier zeigen sich die platonischen bezw. neuplatonischen Einflüsse seiner Kongregation) ist nichts anderes als eine Teilnahme (participation) an der göttlichen Vollkommenheit. Die Ideen sind die notwendigen und ewigen Urbilder der Dinge. Nicht die Menschen erzeugen sie, sondern unsere gesamte Erkenntnis stammt von Gott. Wie der Raum der Ort der Körper, so ist Gott der Ort der Geister, er steht mit jedem von ihnen in Verbindung. Die Dinge wahrhaft erkennen heißt daher sie in Gott, im Lichte der göttlichen Ideen schauen.
Ebenso wie unser Erkennen von Gott stammt, ist auch unser Wollen nur ein Mitgezogenwerden von der Liebe, mit der Gott liebt, all unser Streben daher im Grunde Liebe zum Unendlichen, zum höchsten Gut, zur Glückseligkeit, die allein in Gott liegt. In der Lehre von den dem reinen Geiste entstammenden Neigungen und den durch die Bewegung der (körperlichen) Lebensgeister entstehenden Leidenschaften stimmt Malebranche mit Descartes, in der Lehre vom Verhältnis zwischen Leib und Seele mit dem Okkasionalismus überein. Auch für ihn sind die natürlichen Ursachen nur Gelegenheitsursachen (causes occasionelles) für das göttliche Wirken; dass z.B. eine Lufterschütterung zum Tone oder zur Lichterscheinung wird, ist an sich unbegreiflich und nur als göttliches Wunder zu fassen. Es gibt streng genommen nur eine einzige Ursache, nämlich Gott; alle endlichen Geister sind nur Modi der göttlichen Substanz, die unser Bewußtsein und unseren Willen lenkt. Die Bewegung wird der an sich nur Ausdehnung besitzenden Materie von Gott mitgeteilt, und nur durch diesen von einem Körper auf den anderen übertragen. Indes braucht Gott nach Malebranche überall die einfachsten Mittel und handelt nach den Bestimmungen der ewig geltenden Vernunft, sodass wir dennoch die Natur wissenschaftlich zu erkennen vermögen. In unserem Erkennen sollen wir bloß demjenigen zustimmen, dem man die Zustimmung nicht ohne innere Vorwürfe der Vernunft versagen kann; denn Vernunft wie Gott sind gleich notwendig und unveränderlich.
So paaren sich bei Malebranche Rationalismus und Mystik, ähnlich wie bei dem von ihm als »Atheist« verabscheuten »misérable« Spinoza, nur dass bei diesem der erstere, bei dem französischen Pater die letztere den Grundton abgibt. Spinoza erblickte, wie Malebranche einmal sagt, Gott im Universum, er selbst dagegen das Universum in Gott.