2. Gotteslehre
In den ersten Meditationen war ganz folgerichtig auch die Existenz Gottes bezweifelt worden: auch sie sei zu prüfen. Die dritte aber unternimmt dann - zum erstenmal wieder seit Anselm (Bd. I, S. 244) - ausdrücklich einen Beweis für Gottes Dasein. Die Tatsache, dass ich ein höchst unvollkommenes und abhängiges Wesen bin, bringe in mir notwendig die Idee eines allervollkommensten und völlig unabhängigen Wesens hervor. Daraus folge aber nach dem Gesetze der Kausalität dessen Existenz. Denn ich unvollkommenes Wesen könnte die Idee Gottes unmöglich fassen, wenn sie nicht von ihm selbst in mich gelegt wäre. Die Idee Gottes hat eine höhere »objektive« Realität, d.h. einen höheren Seinsgehalt (entitas) als alle anderen, weil er eine unendliche Substanz vertritt, die anderen, nur eine endliche. Eine solche objektive Realität der Idee fordert aber auch die »formale« oder »aktuelle« Realität, d.h. die Wirklichkeit der vorgestellten Sache. Dazu kommt dann der alte ontologische Beweis, der aus dem bloßen Begriffe eines ens perfectissimum auf dessen Dasein schließt. Wie ich zu der Vorstellung dieses unendlichen Wesens komme, untersucht Descartes nicht; ihm genügt, dass sie da ist.
Weil mich nun Gott nicht kann täuschen wollen, so kann er mir auch die Fähigkeit, das Wahre vom Falschen zu unterscheiden, zu keinem anderen Zwecke verliehen haben, als um sie zu gebrauchen. So wird jetzt (Medit. IV) sogar das Kriterium selbst, die klare und deutliche Erkenntnis, aus der Wahrhaftigkeit Gottes abgeleitet. Weil Gott der Urheber aller Dinge (de toutes choses) ist, so ist er auch der Urheber der »ewigen« Wahrheiten, die doch auch - quelque chose sind. Und weil ich Substanz bin, so muß mein unendlicher Urheber erst recht Substanz und zwar die wahre, unendliche Substanz sein. »Ich habe vom Unendlichen stets nur gesprochen, um mich ihm zu unterwerfen, nicht um zu bestimmen, was es sei oder nicht sei.«
Mit religiös-sittlichen Problemen wird Gott jedoch von Descartes gar nicht in Verbindung gebracht, sondern nur mit der Natur. »Ich verstehe jetzt unter der Natur nichts anderes als Gott selbst oder vielmehr die Ordnung, welche Gott in die geschaffenen Dinge gelegt hat« (Medit. VI); was dann wieder zu der wissenschaftlichen Naturauffassung (vgl. § 2) zurückführt. Überhaupt bricht doch auch in diesen theologisch-metaphysischen Erörterungen der erkenntniskritische Grundgedanke immer wieder durch, sodass die Begründung auf Gottes Wahrhaftigkeit, wenigstens in den Meditationen, schließlich doch nur als eine Verstärkung des Kriteriums erscheint. »Gott vermag alles, was ich klar und deutlich erkenne.« Der wahre Grund für unsere Gewißheit von Gottes Dasein sind »die wahrhaften Ideen, die mit mir geboren sind, und von denen die hauptsächlichste die von Gott ist« [Freilich ein Zirkelschluß, da ja Gott selbst wieder »Urheber« der Ideen ist!] Das Abweichen von den erkenntniskritischen Pfaden ist auch hier veranlaßt durch das Bestreben, dem »wirklichen« Sein, der »Existenz« der Dinge eine stärkere Gewähr zu schaffen, als es durch das »reine Denken« geschieht. Die Folge ist, dass dies letztere oder die Vernunft (raison) jetzt einen schwankenden, unbestimmt schillernden Sinn enthält, bald die streng mathematische Ableitung, bald die metaphysische aus dem Selbstbewußtsein und den angeborenen Begriffen, bald die theologische aus der Gottesidee bedeutet; weshalb denn auch die Meditationen gelegentlich zu den »sicheren und unzweifelhaften« Wissenschaften nicht bloß die Arithmetik und Geometrie, sondern auch »die anderen Wissenschaften von dieser Art« zählen.