1. Ausgangspunkt
Schon in seiner frühesten Jugend ruhte Leibniz, wie er selbst erzählt, nicht eher, als bis er zu den ersten Prinzipien einer jeden Wissenschaft, die er trieb, vorgedrungen war. So entwirft schon der zwanzigjährige Jüngling in seiner Ars combinatoria (1666) den Plan eines »Alphabets der menschlichen Gedanken«, das, von bestimmten einfachsten Grundlagen ausgehend, alle Begriffe und Ideen in mathematischer Ordnung und unanfechtbarem Beweisverfahren ableiten sollte. Zu diesem Zweck soll eine allen Nationen verständliche allgemeine »Charakteristik« oder Zeichensprache festgesetzt werden, die alle philosophischen Fragen - einschließlich der »wahren Religion, die mit der Vernunft in genauer Übereinstimmung steht« - auf Zahlen reduziert und so eine Art »Statik« der Vernunft darstellt: ein Gedanke, der ihn noch bis in seine letzten Lebensjahre beschäftigt hat. Das neue Gedankenalphabet sollte natürlich nichts mit der Lullischen Kunst (Bd. I, S. 276), an die Leibniz selbst bei dieser Gelegenheit erinnert, zu tun haben, sondern eine streng wissenschaftliche Zergliederung der menschlichen Begriffe enthalten, die auf ihre einfachsten Elemente, wie die zusammengesetzten auf die Primzahlen, zurückgeführt werden und so »in dem Laden der menschlichen Erkenntnis Ordnung schaffen« sollen. Auf diese allgemeine Analyse hat dann die universelle Synthese zu folgen, die, von den Prinzipien beginnend, nach fest geregelter Ordnung bis zu den Einzelfällen fortschreitet. Damit wäre eine Scientia generalis hergestellt, welche die Voraussetzung und Grundlage aller Einzelwissenschaften bildet, oder eine neue, verbesserte Metaphysik. Denn diese gehört, wie er besonders deutlich in dem kurzen Aufsatz Über die Vervollkommnung der ersten Philosophie (1694) ausführt, auch heute noch, wie zu des Aristoteles Zeiten, zu den »gesuchten« Wissenschaften. Sie bedürfe ebenso fester Beweise wie derjenigen, durch welche die Mathematik ihre Erfolge erringe, einer Methode, die ebenso zuverlässig sei wie die des Euklid. Ist nun auch unser Philosoph zur tatsächlichen Ausführung seines genialen Jugendplanes nicht gekommen, so hat er doch dessen Tendenz in der Art seiner methodischen Begründung der verschiedenen Wissenschaften festgehalten. Bevor wir ihn jedoch zu dieser wichtigsten Seite seiner philosophischen Tätigkeit begleiten, müssen wir zunächst einen kurzen Blick auf seine Erkenntnislehre werfen.