2. Staatslehre
Des Zusammenhanges wegen schließen wir gleich die naturrechtlichen und politischen Ideen Spinozas an, wie er sie namentlich im 4. Buche der Ethik (Scholium II zu Satz 37) und im Tractatus politicus äußert.*) Nach dem Rechte der Natur strebt jeder das, was er liebt, zu erhalten und das, was er haßt, zu zerstören. Wenn nun die Menschen nach der Leitung der Vernunft lebten, so würde jeder dies sein Recht ohne allen Schaden seines Nächsten genießen. Aber da sie ihren Leidenschaften unterworfen sind, treten sie einander entgegen und müssen durch stärkere Affekte, wie Furcht vor größerem Schaden und den Drohungen des Gesetzes, im Zaume gehalten werden. So geht der Status naturalis in den status civilis über; zum Schutze seiner Bürger wird der Staat geschaffen, der nach allgemeiner Übereinkunft festsetzt, was gut und böse, recht und unrecht ist, was diesem, was jenem gehört. - Diese Ideen der Ethik, in denen wir wesentliche Züge von Hobbes' Staatslehre wiederfinden, werden in dem politischen Traktat näher ausgeführt. Auch hier will unser Philosoph kein utopisches Ideal entwerfen, sondern sich an die Erfahrung halten, die Naturgesetze dessen, was ist, festzustellen suchen. Wie das Handeln des einzelnen, so ist auch das des Staates durch den Selbsterhaltungstrieb bestimmt. Aber, wie der einzelne, so muß auch der Staat, wenn anders er sich nicht selbst vernichten, sondern zu Macht und Blüte kommen, ja nur selbständig (sui iuris) bleiben will, den Geboten der Vernunft folgen. Spinoza tritt wie Hobbes für eine starke Staatsgewalt ein, die, wenn es nottut, sogar die bürgerlichen Gesetze zu suspendieren befugt ist, aber an das natürliche Recht gebunden bleibt. Nach den allgemeinen Erörterungen der vier ersten Kapitel behandeln V - VII ziemlich ausführlich die Frage, wie die Monarchie beschaffen sein müsse, damit sie sich selbst erhalte und nicht in Tyrannis ausarte, VIII - X in gleicher Weise die Aristokratie. Für die absolute Monarchie (die im Grunde übrigens nur eine versteckte Aristokratie der Beamten ist !) hat er wenig übrig; sie muß, wenn sie heilsam wirken soll, durch Volksrechte, etwa wie in der aragonesischen Verfassung, beschränkt werden. Weit nützlicher und der Erhaltung der Freiheit, vor allem aber dem Hauptziel, der Sicherheit des Staates, angemessener erscheint dem Bürger der holländischen General-Staaten und Anhänger der liberalen Brüder de Witt die aristokratische Regierung, zumal wenn sie sich aus einer großen Zahl gewählter Patrizier zusammensetzt. Ihnen sollen allerdings ausgewählte Männer aus dem Volke zur Seite treten. Leider bricht die Schrift nach den vier ersten Paragraphen des XI. Kapitels, deren letzter die politische Minderwertigkeit der Frauen zu beweisen sucht, ab. Der Staat soll, wie schon im theologisch-politischen Traktat gesagt war, die Menschen nicht zu Tieren oder Maschinen machen, sondern bewirken, dass sich ihre geistige und körperliche Tätigkeit frei zu entfalten vermag. Wenn man sage, die Menge verstehe nichts von öffentlichen Angelegenheiten, so rühre das daher, dass man sie eben darüber in Unwissenheit halte.
Über die Beziehungen des Staates zu den Religionsbekenntnissen und der Gewissensfreiheit hatte sich Spinoza bereits im theologisch-politischen Traktat (s. § 8) geäußert, dort auch seine allgemeine Stellung zur Religion entwickelt. Sehen wir zum Schluß, welche Stellung die Religionsphilosophie in seinem System einnimmt (Ethica l. V.).
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*) Vgl. die gut orientierende Einleitung Gebhardts in seiner Ausgabe der letztgenannten Schrift (Philos. Bibl., Bd. 95).