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Theodizee

Theodizee. „Unter einer Theodizee versteht man die Verteidigung der höchsten Weisheit des Welturhebers gegen die Anklage, welche die Vernunft aus dem Zweckwidrigen in der Welt gegen jene erhebt.“ Im Grunde wird aber hier nicht die Sache Gottes verfochten, sondern nur die Sache „unserer anmaßenden, hierbei aber ihre Schranken verkennenden Vernunft“. Zu beweisen ist hier entweder, daß das von uns als zweckwidrig Angesehene es nicht ist, oder daß es dies nur als unvermeidliche Folge aus der Natur der Dinge ist, oder endlich, daß es bloß den zurechnungsfähigen Wesen (Menschen u. dgl.) entspringt, Theodiz. (VI 135). Das „Zweckwidrige“ in der Welt, das der Weisheit ihres Urhebers entgegengesetzt sein könnte, ist dreifacher Art: I. Das schlechthin Zweckwidrige (das sittlich Böse). II. Das bedingt Zweckwidrige (das als Mittel zweckvoll sein kann; das Übel, der Schmerz). III. Das Mißverhältnis der Verbrechen und Strafen in der Welt. Diese Zweckwidrigkeiten würden verstoßen gegen die drei Eigenschaften der höchsten Weisheit Gottes: gegen seine Heiligkeit, Güte, Gerechtigkeit, ibid. (VI 137). Die Rechtfertigung Gottes gegen die drei Arten des Zweckwidrigen muß geprüft werden. Es ergibt sich: ad I: a) Daß das Gute und Böse nur relativ, in bezug auf unsere menschliche Vernunft und Wertung gilt, während die göttliche Weisheit ganz anders wertet. Dies ist eine Apologie, „in welcher die Verantwortung ärger ist als die Beschwerde“ und die daher keiner Widerlegung bedarf, b) Durch die Zurückführung des Bösen auf die Schranken der menschlichen Natur würde das Böse selbst gerechtfertigt werden; es könnte den Menschen nicht zugerechnet werden und wäre dann kein sittlich Böses mehr, c) Hat Gott das Böse (als Schuld des Menschen) auch nur zugelassen, als Mittel zum Zweck, so führt dies auf die vorige Apologie (b) zurück, ibid. (VI 138 ff.). — Ad II: a) Daß das Leben trotz der Übel dem Nichtsein vorgezogen wird und um jeden Preis bejaht wird, ist nicht anzunehmen, b) Wenn Unlust (Schmerz) von Lust untrennbar ist, dann fragt es sich, warum uns Gott ins Leben gerufen, wenn es für uns nicht wünschenswert ist. c) Daß Leiden als Vorbedingung für die künftige Seligkeit sein müssen, ist nicht einzusehen, ibid. (VI 140 f.). — Ad III: a) Daß das Verbrechen schon auf Erden die ihm angemessene Strafe erleidet (so durch die Gewissensbisse), ist nicht richtig; der Lasterhafte hat nicht jene Gewissenhaftigkeit, die ihn in der Erinnerung an sein Tun unglücklich machen könnte, b) Daß Leiden den Wert der Tugend erheben, deren Eigenschaft es sei, mit Widerwärtigkeiten zu ringen, setzt, um gerecht zu sein, voraus, daß wenigstens das Ende des Lebens noch die Tugend krönt und das Laster bestraft, was aber oft nicht der Fall ist; es scheint dann das Leiden dem Tugendhaften zugefallen zu sein, nicht damit seine Tugend rein sei, sondern weil sie es gewesen ist, was ungerecht wäre, c) Daß in einer künftigen Welt die Harmonie zwischen Tugend und Wohl, Laster und Übel stattfinden werde, setzt in jener Welt willkürlich eine andere Ordnung als in diesem Leben voraus, während es — rein theoretisch genommen — wahrscheinlich ist, daß auch im künftigen Leben die Ordnung der Natur unsere Schicksale bestimmen werde, ibid. (VI 141 ff.). Es zeigt sich also, daß alle bisherige Theodizee das nicht leistet, was sie verspricht. Es ist aber überhaupt unsere Vernunft nicht imstande, das Verhältnis der Welt, wie wir sie durch Erfahrung kennen, zu der höchsten Weisheit einzusehen. Wir haben keinen Begriff von der Einheit in der Zusammenstimmung der „Kunstweisheit“ mit der „moralischen Weisheit“ Gottes. „Denn ein Geschöpf zu sein und als Naturwesen bloß dem Willen seines Urhebers zu folgen, dennoch aber als freihandelndes Wesen (welches seinen vom äußeren Einfluß unabhängigen Willen bat, der dem ersteren vielfältig zuwider sein kann) der Zurechnung fähig zu sein, und seine eigene Tat doch auch zugleich als die Wirkung eines höhern Wesens anzusehen: ist eine Vereinbarung von Begriffen, die wir zwar in der Idee einer Welt, als des höchsten Gutes, zusammen denken müssen, die aber nur der einsehen kann, welcher bis zur Kenntnis der übersinnlichen (intelligiblen) Welt durchdringt und die Art einsieht, wie sie der Sinnenwelt zum Grunde liegt; auf welche Einsicht allein der Beweis der moralischen Weisheit des Welturhebers in der letzteren gegründet werden kann, da diese doch nur die Erscheinung jener ersteren Welt darbietet, — eine Einsicht, zu der kein Sterblicher gelangen kann“, ibid. (VI 144 f.). Wir können die „Endabsicht Gottes (welche jederzeit moralisch ist)“ nicht aus der Welt als einem Gegenstande der Erfahrung ersehen, wie die „doktrinale“ Auslegung der Natur es versucht („doktrinale Theodizee“). Die bloße Abfertigung aller Einwürfe wider die göttliche Weisheit kann man als „authentische Theodizee“ bezeichnen, weil Gott durch unsere sittlich gesetzgebende praktische Vernunft selbst als der Ausleger seines durch die Schöpfung verkündigten Willens betrachtet wird. Diese Theodizee hat es mit einer Glaubenssache zu tun; es kommt auf die Aufrichtigkeit betreffs des Unvermögens unserer Vernunft, auf die Redlichkeit unseres Denkens über die Pläne Gottes an (wie dies z. B. im Buche Hiob gezeigt wird), ibid. (VI 145 ff.); vgl. Vorles. über d. philos. Religionslehre, S. 169 ff. Vgl. Optimismus, Zweck, Vorsehung, Teleologie.