Barbara
1. Barbara.
"Jeder Käse ist ein Kas,
jeder Chester ist ein Käse,
also muß Chester ein Kas sein":
das ist ein Musterbeispiel des ersten Schlußmodus, der selbst wieder alle anderen Schlußmoden an Wert, an Verwendbarkeit, an Häufigkeit so sehr übertreffen soll, dass der einfache Mensch eigentlich überhaupt, wie unser Hanswurst, nur in Barbara denkt. Die drei anderen Moden der ersten Figur haben unter ihren Prämissen entweder ein negatives oder ein partikulares Urteil, oder gar beide. Die anderen drei Moden der ersten Figur haben es also nach meiner Darstellung gar nicht mit vorstellbaren Begriffen zu tun; sie haben aber auch nach der Auffassung der Logiker durch die Hereinziehung der Negation und des Teils nicht mehr die überwältigende Kraft und Schönheit des ersten Schlußmodus. Der erste Schlußmodus ist in seinem einleuchtenden Dreitakt lieblich wie ein Wiener Walzer, und jeder Schuljunge glaubt ihn tanzen zu können, wenn er ihn einmal gehört hat. "Jeder Hund ist ein Säugetier; jeder Pudel ist ein Hund; also ist jeder Pudel ein Säugetier"; das ist pudelnärrisch einfach. So einfach hat sich der Junge die Logik gar nicht gedacht. Es ist fast dumm. Aber es kann einfach bleiben und dabei doch interessant werden. "Jeder Mensch kann irren; der Herr Lehrer ist ein Mensch; der Herr Lehrer kann also irren." Und dann begibt man sich mit Barbara auf das Gebiet der Metaphysik. "Jedes Geistige ist einfach; die Seele ist ein Geistiges; also ist die Seele einfach."
Wir wissen, dass in allen diesen Beispielen der Schlußsatz — wenn wir ihn überhaupt denken — schon vor den Prämissen in unserem Gehirn war. Wir wissen noch genauer, dass der Schlußsatz mitsamt den Prämissen, dass also das Prädikat des Schlußsatzes mitsamt dem Mittelbegriff schon im Subjekt des Schlußsatzes enthalten war, für den wenigstens, der dieses Wort in seinem Sprachschatz wirklich besitzt. "Pudel" ist für jedermann ein Hund und ein Säugetier. Irrtum ist menschlich. Und wenn die Sache anders aussieht, sobald Barbara zu philosophieren anfängt, so liegt das nur daran, dass wir die Begriffe eben nicht in unserem wirklichen Sprachschatz hatten. Was ist ein Pudel? Was ist einfach? Was ist geistig? Was ist Seele?
Da aber die Schlußmode namens Barbara in der Tat genau mit dem zusammenfällt, was wir als Aufmerksamwerden auf die Merkmale unserer Begriffe (also der W'orte unserer Sprache und ihres Sprachschatzes) kennen gelernt haben, so wäre es doch möglich, dass dieser erste Schlußmodus uns beim Denken bequem oder behilflich sein könnte, wenn wir auch aus allgemeinen Gründen gewiß sind, dass sich auch aus Barbara nichts Neues erschließen lassen werde. Auch Barbara muß unfruchtbar sein. Aber sie ist vielleicht angenehm und nur darum wollen wir sie näher betrachten.
Es scheint wirklich so, als ob der erste Schlußmodus am ehesten dem wirklichen Vorgang in unserem Gehirn entspräche. Wir haben in unserem Sprachschatz einen Begriff, z. B. den Begriff Pudel. Richten wir aus irgend einem Grunde unsere Aufmerksamkeit darauf, dass wir verschiedene ähnliche Tiergruppen unter gewissen Merkmalen zusammen Hunde nennen, so kommen wir ohne weiteres zu der auseinandergelegten Vorstellung oder dem Urteil "jeder Pudel ist ein Hund"; und richten wir ferner unsere Aufmerksamkeit darauf, dass wir diese weiteren Tiergruppen unter dem schon recht abstrakten Namen Säugetier zusammenfassen, so kommen wir wieder ohne weiteres zu dem Schlußsatze "der Pudel ist ein Säugetier". Genau dasselbe meint ja eigentlich auch die erste Schlußregel, wenn sie sagt: das Prädikat eines Prädikats kann ich auch seinem Subjekte beilegen; ist der Hund ein Säugetier und der Pudel ein Hund, so ist der Pudel ein Säugetier. Es könnte scheinen, als ob wirklich diese logische Klarheit dem Denken zugute käme, weil wir dabei einen Augenblick vom Ausgangsbegriff "Pudel" ganz absehen, um so unsere volle Aufmerksamkeit auf das oberste Prädikat zu lenken, auf "Säugetier". Zugegeben (könnte man mir sagen), der Gedankengang sei minimal, sei kindisch, aber ein Gedankengang sei doch vorhanden, und beim Gange komme man weiter, man schreite vom Ursprungsbegriff zu einem entfernteren Prädikat fort.
Das aber ist es, was ich endlich und von Anfang an leugne. Immer und fest muß unserem Denken der Begriff und seine Entstehung in unserem Gehirn gegenwärtig sein, muß ganz banal dem Sprachgebrauche gehorcht werden, wenn wir uns beim Schlußsatz dasjenige vorstellen wollen, was er allein und ausschließlich sagen kann. Im Geschwätz der Leute und der Philosophen ist das freilich nicht der Fall. Im Geschwätz der Leute und der Philosophen rückt das Denken allerdings vom vorstellbaren Begriff langsam fort, aber nur, um eben nach dem Verlust der Vorstellbarkeit sich ins Bodenlose zu verlieren. Wer einen logisch gefundenen Satz ehrlich gebrauchen will, muß ihn immer erst wieder zum vorstellbaren Begriff zurückverfolgen. Die ganze logische Denkoperation ist umsonst gewesen.
Wir können das an Barbara sehr deutlich aufzeigen.