Schlußketten
Wir wissen bereits, dass die hypothetischen Schlüsse nur eine andere sprachliche Form für die hier behandelten künstlichen Denkoperationen sind. Ihre nähere Betrachtung gehört in einen kritischen Überblick über die Grammatik.
Eine Fortführung meiner Kritik auf die sogenannten Schlußketten wird man mir erlassen. Wo das einzelne Glied nicht hält, kann die Kette auch nichts taugen.
Ebenso darf ich es mir wohl ersparen, das abgekürzte Schlußverfahren besonders zu behandeln, so unerbittlich auch in allen Lehrbüchern der Logik die schönen griechischen Namen für abgekürzte einfache Schlüsse und für abgekürzte Schlußketten wiederholt und erklärt und eingepaukt werden. Dieses abgekürzte Schlußverfahren mußte von den Begründern der Logik sehr früh beobachtet und in ein System gebracht werden , weil das wirkliche Denken allerdings regelmäßig nur in solchen Gedankensprüngen, wie im Enthymem und dem Sorites (dem abgekürzten einfachen Schluß und dem abgekürzten Kettenschluß), vor sich geht. Das wirkliche Denken erinnert sich bei einem Begriff je nach Umständen an ein näheres oder ferneres Merkmal, es vollzieht also unmittelbar, wenn man durchaus will, ein Enthymem oder einen Sorites. Nicht aber sind diese Gedankensprünge abgekürztes Denken, sondern die Schlüsse und Schlußketten sind auseinandergezerrte, schablonisierte, künstlich verlängerte und verdünnte Gedankensprünge. Man könnte die Tätigkeit des Logikers dabei mit dem Photographieren von Anschütz vergleichen (neuerdings noch besser mit den Teilbildern eines Films für den Kinematographen), das doch z. B. die Bewegungen eines rennenden Pferdes in winzigen Bruchteilen von Sekunden aneinanderreiht und dadurch Stellungen der vier Füße wahrnehmen läßt, die vor diesen Photographien kein menschliches Auge an rennenden Pferden wahrgenommen hatte. Man muß sich freilich hüten, das Bild wirklich anzuwenden. Denn im Denken werden durch den Einfluß der Gewohnheit, der Übung unendlich viele Zwischenglieder wirklich übersprungen oder doch gewiß mit ungleicher Schnelligkeit, erledigt, während das rennende Pferd jeden kleinsten Bruchteil der Zeit gleichmäßig ausfüllen muß. Wäre dem aber auch nicht so, so täte der Logiker nicht gut daran, sich auf jene Photographien zu berufen. Denn die Maler malen falsch, wenn sie (wie das neuerdings versucht wird) Augenblicksstellungen in ihren Bildern fixieren; und so schildern die Logiker das Denken falsch, wenn sie die Gedankensprünge für abgekürzte Schlußketten erklären.
Die alte Lehre, dass unser Denken auf dem Wege von logischen Denkoperationen aus künstlich gruppierten Urteilen neue Urteile erschließe, ist nicht mehr zu halten. Es ist endlich an der Zeit, dass sie umgestürzt werde, nicht nur in einzelnen Teilen, sondern von Grund aus. Der Begriff "Schluß" ist für uns ein sinnloses Wort geworden, ein geträumtes Dach für ein Haus, das keine Wände hat. Seit Bacon und noch mehr seit Stuart Mill müht man sich ab, diesem alten Gebäude der Logik, einem Gebäude ohne Wand und Dach, den Induktionsschluß als einen neuen, nützlicheren Teil anzufügen. Es wird eine weitere Aufgabe für uns sein, das Wesen der Induktion zu prüfen und vor allem zu zeigen, dass sie mit der Logik ganz und gar nichts zu tun habe, dass der sinnlose Begriff "Schluß" mit gehäufter Sinnlosigkeit auf diesen psychologischen Vorgang angewandt worden ist.