Gesetze des Schließens
Was nun die allgemeinen Gesetze des Schließens anlangt, so lautet das erste: es lasse sich aus bloß verneinenden Prämissen kein gültiger Schluß ziehen. Man hat diesen Satz mit Hilfe der Sphärenvergleichung, also durch ein falsches Bild, zu beweisen gesucht; und wieder haben besonders spitzfindige Scholastiker die Allgemeingültigkeit des Satzes bestritten. Für uns liegt die Sache so, dass wir die Regel nicht brauchen, weil noch niemals, seitdem es Menschengehirne gibt, irgend eines auf den verzweifelten Einfall gekommen ist, bloße Negationen miteinander vergleichen zu wollen. "Kein Komet ist ein Käse, und ein Hund ist kein Komet", das assoziiert sich nicht in unserem Gehirn. Wir wissen, dass sowohl die Urteile, die wir Prämissen nennen, als dasjenige Urteil, das wir Schlußsatz nennen, schon im Begriff selbst vorhanden war. Wo die Negation des Schlusses überhaupt einen Sinn hat, also im Begriff schon enthalten ist, da ist der negative Ausdruck ein Zufall der Sprache, der mit der Wirklichkeit nichts zu schaffen hat. Es gibt in der Wirklichkeitswelt keine Negation; die Logik nur, weil sie mißverstandene Grammatik ist, muß sich damit abquälen.
Womöglich noch überflüssiger ist für unseren Standpunkt das zweite Gesetz des Schließens, dass nämlich aus zwei partikularen Prämissen kein gültiger Schluß folge. "Einige Hunde sind schwarz, einige Hunde sind weiß." Es scheint mir im Wesen der psychologischen Begriffsbildung zu liegen, dass bei der Urteilsvergleichung mindestens das eine derselben ein sogenanntes allgemeines Urteil sein müsse. Ich muß mich wiederholen. Der Schlußsatz mitsamt den Prämissen ist im Begriff schon enthalten. Ein Begriff oder ein Wort entsteht aber noch gar nicht, solange nicht alle Dinge einer Art durch das betreffende Merkmal zusammengefaßt werden. Die Allgemeinheit des Urteils gehört zum "Wesen" des Begriffs. So gehört zum Wesen des Begriffs Hund die Art seines Gebisses wesentlich; alle Hunde haben dieses Gebiß und kein anderes. Die Farbe aber gehört nicht zu dem Begriff Hund; und darum liegt in der Aufmerksamkeit auf die Farbe ("einige Hunde sind weiß") auch nicht die Bildung eines neuen Begriffs. So wie aber die Laune der Sprache oder das Interesse einer Menschengruppe die Farbe eines Tiers zum Merkmal einer besonderen Art, eines Begriffs oder eines Wortes macht, verwandelt sich das partikulare Urteil in ein allgemeines (z. B. "alle Schimmel sind weiß, alle Rappen sind schwarz"), und der Begriff kann sofort in Prämissen und Schlußfolgerung auseinandergelegt werden.
Das wirkliche Denken geht noch weiter. Alle sogenannten Induktionsschlüsse sind ja Schlüsse aus partikularen Urteilen. Die Bemerkung gehört nicht hierher, aber sie wirft ihr Licht vielleicht auf das ganze verkehrte Treiben der Logik. Wenn die Prämissen mitsamt der Schlußfolgerung schon im Begriff mit eingeschlossen sind (wir glauben deutlich gemacht zu haben, dass es sich so verhalte) und wenn der Induktionsschluß aus partikularen Urteilen der Begriffsbildung vorausgeht, so stellen sich die tatsächlichen Gehirnvorgänge dem Schlußgesetze, "es folge nichts aus partikularen Urteilen'', mit der besseren Wahrheit gegenüber: all unser Denken folgt aus partikularen Urteilen.
Das dritte Gesetz der Schlußweisen ist eine Vermischung der beiden ersten Gesetze, und man wird es mir nach dem Vorangegangenen glauben, dass ein Nachweis seiner Überflüssigkeit sich nicht verlohnt.
Mit Hilfe dieser drei Gesetze haben die Logiker kunstreich die Zahl von 64 ausgerechneten Schlußweisen auf 32 reduziert, um nachher auch diese Zahl als falsch nachzuweisen. Wir wollen uns mit diesen kindischen Freuden der Logik nicht länger befassen. Wir wissen jetzt noch gründlicher als früher, dass die syllogistischen Formen ein ganz falsches Bild von den wirklichen Gehirnvorgängen geben und dass dieser ganze Stolz der logischen Disziplin den einen Fehler hat: nicht psychologisch zu sein. Und nur darum, weil die besten Köpfe des Altertums und der Neuzeit sämtliche syllogistische Figuren vertrauensvoll auf die erste Figur zurückgeführt haben und weil die vier Schlußweisen (Modi) der ersten Figur für den Schülerverstand den bestechenden Reiz einer bequemen Eselsbrücke bieten, wollen wir noch ein übriges tun und die vier Schlußweisen der ersten Figur noch einen Augenblick genauer betrachten.
Ich will aber doch lieber ganz Selbstverständliches auf die Gefahr der Breite noch einmal sagen, als den Verteidigern der Logik eine Lücke lassen. Ich will also hier noch einmal den Einwand ablehnen, als hätten, wenn schon die einzelnen Schlußweisen wertlos sind, vielleicht die eben angeführten obersten Schlußgesetze irgend einen Nutzen für das menschliche Denken. Sie sind wohl zu unterscheiden von den viel vornehmeren, früher behandelten obersten Denkgesetzen. Diese haben wir in allen ihren Verkleidungen als armselige Tautologien herauserkannt. Was könnten auch Gesetze des Denkens, das heißt Abstraktionen von Sprache, anderes sein?
Die eben behandelten obersten Gesetze des Erschließens sind also noch weniger, denn wenn sich der bildliche Ausdruck Gesetz noch halbwegs auf das Denken anwenden läßt oder die Sprache, muß er jeden Sinn verlieren in seiner Anwendung auf etwas Nichtvorhandenes, auf das vorgebliche Erschließen. Der Mensch kommt gar nicht in die Lage, sich beim wirklichen Gehirngebrauch zu fragen, ob aus rein negativen oder rein partikularen Urteilen irgend ein Satz mit logischer Notwendigkeit hervorgehe. Diese obersten Schlußgesetze haben auf der Welt keinen anderen Zweck als den, ganz schwache Schulmeisterköpfe darüber zu beruhigen, dass nicht sämtliche durch Kombination ausgerechnete Schlußweisen mit logischen Schulbeispielen belegt werden können. Noch einmal: wir denken nicht in Urteilen, sondern in Begriffen; Begriffe (wohl freilich Worte) sind ihrem Wesen nach weder negativ noch partikular.
Selbst dann aber, wenn es von Nutzen wäre, sich beim Denken die Begriffe in Urteile auseinanderzulegen, wie man beim Essen die Stücke zerschneidet, selbst dann wären die obersten Gesetze des Schließens das bißchen Gehirn nicht wert, das auf sie verwandt worden ist.
Es läßt sich nämlich einem Urteil ohne weiteres gar nicht anhören, ob es negativ, ob es partikular sei oder nicht. Längst schon mußten die Logiker zugeben, dass Urteile über einzelne Personen Allgemeinurteile seien. Homer, Bismarck bedeuten der Zahl nach noch weniger als "einige Menschen" und bilden doch Subjekte von allgemeinen Urteilen. Die Sprache hat dafür ihren Ausdruck gefunden, indem sie sie Eigennamen nennt. Ob aber Individuen Eigennamen tragen oder nicht, hängt von unserem Interesse ab. Wir geben einzelnen Haustieren Eigennamen, selten aber einzelnen Tieren aus einer Herde. Fast niemals geben wir einem Pflanzenindividuum einen Eigennamen. Aber auch das kommt mitunter vor, wie z. B. die Luthereiche, die "einsame Pappel" und dergleichen. Genau so steht es mit Gruppenbezeichnungen. Wir trennen die Völkerrassen nach ihren Farben, bisher aber noch nicht z. B. die Deutschen nach ihrer Haarfarbe. Noch ist es ein partikulares Urteil, wenn ich sage "einige Deutsche sind blond". Man kann sich aber ein Weitergehen einer Bewegung vorstellen, in welcher die blonden Deutschen einen besonderen Namen erhielten, z. B. "Germanen", und dann hätten wir das allgemeine Urteil "alle Germanen sind blond". Ohne Gnade muß man bei der Untersuchung, ob ein Urteil partikular sei oder nicht, auf das Wort zurückgehen, auf die psychologische Begriffsbildung.
Ebenso steht es mit der Negation, die sich dann gewöhnlich auf das Prädikat bezieht. Immer müssen wir auf den Begriff zurückgehen, um zu erfahren, ob der negative sprachliche Ausdruck eine wirkliche Negation enthalte oder nicht. "Homer war blind." — "Homer konnte nicht sehen." Diese Sätze müßten logisch ganz verschieden behandelt werden, je nach ihrem sprachlichen Ausdruck, was doch dem wirklichen Denken nicht einfällt.
Ich will den Leser nicht mit dem Beweise langweilen, der uns lehren soll, warum in der ersten Schlußfigur anstatt der ausgerechneten sechzehn Einzelweisen oder Moden und sogar anstatt der nach den allgemeinen Schlußregeln übrig gebliebenen acht Einzelweisen doch nur vier übrig bleiben, die unter ihren barbarischen Namen im Gebrauch sind. Es genüge die Erinnerung, dass diese vier Moden (Modi) in den Gedächtnisversen Barbara, Celarent, Darii, Ferio heißen und dass in diesen an sich vollkommen sinnlosen Buchstaben-Zusammenstellungen für den Kenner und Liebhaber all ihre Weisheit ausgedrückt ist. Die Anfangsbuchstaben geben (nach der Reihenfolge der Konsonanten des Alphabets) ihre Reihenfolge im System. In den Vokalen aber steckt die tiefste Weisheit der Logik, da immer drei Vokale da sind, die die Qualität und Quantität der Prämissen und des Schlußsatzes unzweifelhaft angeben. Ein Kurzwarenhändler, der auf ein Schubfach mit Knöpfen den Buchstaben K, auf ein Schubfach mit Nadeln den Buchstaben N geklebt hat und dann hinter dem Buchstaben K mit freudigem Stolze wirklich Knöpfe findet und nicht Nadeln, wäre ebenso weise. Und hat er gar unter dem Buchstaben K einen heimlichen Vermerk über die Preise seiner Knöpfe angebracht, so ist die Ähnlichkeit ganz vollkommen.