Psychologie des Schließens
Wäre Aristoteles, als er mit großem Scharfsinn die Genusregeln der Logik aufstellte, ein besserer Psychologe gewesen, er hätte mit seinen Gruppen ohne Zweifel die Grammatik bereichert. Hätte er den Vorgang des Denkens besser beobachtet, so hätte er gefunden, dass wir niemals nach einer logischen Figur denken, niemals formelhaft, sondern immer sachlich. Und eben darum kommen wir nicht weiter mit unserem Denken, weil sich das Schließen vom Urteilen nur grammatikalisch unterscheidet. Es ist nicht wahr, dass wir nach irgend einer der logischen Figuren schließen: "Wenn die Sonne aufgegangen ist, wird es hell — es ist hell — also ist die Sonne aufgegangen." Abgesehen von den Fehlern dieses Schlusses (auch bei einer Feuersbrunst wird es hell), ist unser Denken viel einfacher. Der ganze Schluß vollzieht sich als die Tautologie: Sonne ist hell. Wenn wir aufwachen, so ist der Einfall "es ist hell" dem anderen "die Sonne ist auf" fast gleich. Nicht ein Schluß ist die Sache, sondern eine Tautologie.
Und wenn man einwerfen wollte, dass doch dann das Denken etwas ganz Anderes sei als die Sprache, weil die Sprache offenbar schließt, das Denken aber nicht, so antworte ich: Es braucht die Sprache gar nicht zu kümmern, dass wir diese Art von Bewegungen in ihr Schlüsse nennen. Sie folgt dem Denken schon. Und für gewöhnlich begnügt sie sich mit Subjekt und Prädikat. Erst wenn sie sich der Tautologie bewußt werden will, wenn sie das Gefühl des Nichtweiterkommens sich deutlich machen will, dann zerdehnt sie das Subjekt zu einem Vordersatz, zerdehnt das Prädikat zu einem Nachsatz, murmelt bei der Kopula ein superkluges Aha! und steht vor der Tatsache, dass sie einen Wurm dort herausgezogen hat, wo er drin war.
Die Ordnung der Prämissen, wie sie vom Logiker auf die Tafel geschrieben werden, ist eine willkürliche. Im Kopfe ist die Regel des Obersatzes und die "Voraussetzung" des Untersatzes zugleich vorhanden; sonst würden dem Kopfe beide Sätze nicht zum Beweise eines dritten einfallen. Wie die höhere Art und die niedere Spezies im Begriffe steckt und dem wirklichen Kenner des Worts gegenwärtig ist, so der ganze Syllogismus mit jedem seiner Sätze. Und darum ist der Syllogismus für den Satz, was die Definition für das Wort ist: eine Eselsbrücke für Dummköpfe oder ein Spiel für gelehrte Kinder.
Vielleicht ist die Syllogistik des Aristoteles aus einer ähnlichen Marotte hervorgegangen, wie die Ethik des Spinoza. Vielleicht wollte er die Gedanken ordine geometrico demonstrieren. Man versuche aber einmal, in der Geometrie mit logischen Schlüssen weiter zu kommen, anstatt mit realen Konstruktionen; man versuche einmal aufzusagen: alle Kegelschnitte sind Kurven, die Ellipse ist ein Kegelschnitt, also ist die Ellipse eine Kurve (schon Sigwart I.²> 470 bringt dieses Beispiel in einem guten Abschnitte seiner "Logik") und das Gelächter der Mathematiker wird vielleicht lehren, dass auch in der übrigen Welt nicht die Logik weiter führe, sondern Beobachtung. Wir wollen für ein Weilchen bei den Ellipsen stehen bleiben.
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