Zum Hauptinhalt springen

Inhalt und Umfang

Alle diese logischen Konstruktionen, diese Baugerüste von Luftschlössern, wären nicht möglich gewesen, wenn die Logik nicht die Worte oder Begriffe zu ihren Zwecken in Inhalt und Umfang auseinandergespalten hätte. Die natürlichen Erinnerungszeichen kennen diesen künstlichen Unterschied gar nicht. Die Worte unserer Sprache erinnern zugleich an die Einzeldinge und an die allgemeinen Merkmale. Es ist nur Bequemlichkeit oder Übung, wenn bald der Umfang, bald der Inhalt nicht über die Schwelle des Bewußtseins tritt, was doch nur wieder ein hübscher bildlicher Ausdruck ist. Genau so, wie unser Gehirn mit seinem ganzen bewußten Denken augenblicklich tot wäre, wenn die unbewußten Tätigkeiten der Atmung oder des Blutkreislaufs aufhörten, so wäre unsere ganze Sprache augenblicklich leblos, eine sinnlose Lufterschütterung, wenn hinter dem Inhalt der Worte nicht ihr Umfang, die Einzelvorstellungen, bereit wären. Darum sind auch die philosophischen Abstraktionen so leer, die den Zusammenhang mit der Sinnenwelt verloren haben. Ich gebrauche nicht gern Symbole aus der griechischen Mythologie. Aber ein prächtiges Symbol für echtes Denken ist der Riese Antaios,1 der unüberwindliche Kraft immer wieder frisch aus der Berührung mit der Mutter Erde schöpfte; hatte er erst den Zusammenhang mit der Erdenwelt verloren, hing er erst in der Luft, dann brauchte man kein Herkules zu sein, um ihn zu erwürgen. Die Herkulesarbeit bestand in der Kraft, ihn frei in die Luft zu hängen.

Dieses Gleiten oder Springen (je nach der Geschwindigkeit) des Gedächtnisses von Einzelerinnerungen zu ihren Zeichen und umgekehrt macht unser gesamtes Denken aus; die Logik hat die Notwendigkeit des Gedächtnisses, sich unbedingt innerhalb seiner erworbenen Vorstellungen zu drehen, hat diesen Zwang zu unabwendbarer Tautologie die Gesetze des Denkens, insbesondere Gesetze des Schließens genannt, wie ja auch die Figuren der Tänze besondere Namen haben. Weil man von Gesetzen sprach, sollten sie auch bewiesen werden; und hier scheint mir die Stelle, um die Tollheit aufzuzeigen, die darin liegt, sogenannte Denkgesetze durch geometrische Figuren (jetzt gewöhnlich durch ineinandergezeichnete Kreise) beweisen zu wollen. Ich bemerke gleich, dass diese Unsitte noch keine 300 Jahre alt ist; wahrscheinlich rührt sie von dem witzigen Possendichter Christian Weise her, der als tüchtiger Schulmann seinen Knaben die Logik durch Geometrie einbleuen wollte, wie Rhetorik durch seine Possen.1: "Antäus" heißt das bedeutende, fast sprachkritische Buch gegen Hegel (1831) von O. F. Gruppe; ich hoffe, bald einen Neudruck veranstalten zu können.