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Sprachgebrauch und Weltanschauung

Wenn wir den Mittelbegriff überhaupt denken, das heißt wenn wir uns auf das nähere Merkmal unseres Begriffs überhaupt besinnen, so ist es eben eine Besinnung auf den Sinn, den wir mit unserem Worte verbinden. Unsere ganze Weltschauung anschauung, das heißt die Summe unserer Erinnerungen ist und bleibt in unseren Begriffen, in unserem Sprachschatz enthalten. Ich will ein Beispiel geben, nach dessen Muster man tausend andere erfinden mag. Ja, ich behaupte, dass dieses Beispiel, kritisch betrachtet, der Typus alles Denkens in Menschensprache ist.

"Aristoteles war der Lehrer Alexanders des Großen." Bei diesen Worten kann sich der ungebildete Bauer oder der Wilde auf einer Südseeinsel so wenig denken, als wenn er unartikulierte Laute hört. Unsere Schuljungen glauben etwas dabei zu denken, weil sie sich der Namen Aristoteles und Alexander dunkel aus anderen Verbindungen erinnern. Sie fügen jetzt die neue Vorstellung hinzu, dass Alexander der Große der Schüler des Aristoteles gewesen sei. Eigentlich denken sie sich aber immer noch nichts dabei. Wer aber mit den beiden Namen etwas mehr Vorstellungen verbindet, wen die beiden Namen an reichlichere Merkmale erinnern, der wird je nach seiner Auffassung etwas recht Verschiedenes dabei denken. Der Logiker wird zwei entgegengesetzte Syllogismen aufzuzeichnen haben, die zu dem gleichen Schlußsatze führen können.

Aristoteles war der weiseste Mann aller Zeiten,
der weiseste Mann aller Zeiten war der Lehrer Alexanders,


also: war Aristoteles der Lehrer Alexanders.

Der andere Syllogismus klingt aber so:

Aristoteles war der eitelste Pedant des Altertums,

der eitelste Pedant des Altertums war der Lehrer Alexanders,

also: war Aristoteles der Lehrer Alexanders.

Ich brauche wohl nicht erst darauf aufmerksam zu machen, dass der Satz "Aristoteles war der Lehrer Alexanders" in dem einen und dem anderen Falle durchaus nicht dasselbe besagt. Und nicht der Mittelbegriff ist an der Änderung des Sinnes schuld gewesen, sondern die Vorstellungen, die man mit dem Namen Aristoteles verbunden hat.

Man wende mir nicht ein, dass nicht leicht ein Logiker eine so widernatürliche Sohlußfolgerung vollziehen werde, wie sie in den beiden Syllogismen vorliegt. Der Gedankengang kann ganz wohl so geführt worden sein, dass der Logiker nicht anders konnte. Man stelle sich z. B. vor, dass der Forscher die Lehrbücher Alexanders habe prüfen können, bevor er wußte, dass Aristoteles ihr Verfasser ist. Er wird dann zu der zweiten Prämisse selbständig kommen, dass nämlich der weiseste Mann der Welt, respektive der eitelste Pedant des Altertums sein Lehrer gewesen sei. Im wesentlichen fällt sogar dieser entsetzliche Syllogismus mit dem Gedankengang unseres Soldaten zusammen, der sich besinnt, dass das vermeintliche Gespenst wohl ein gewöhnlicher Mensch sein werde.

Unsere Mundart — ich meine die gemeinsame Mundart der sogenannten indo-europäischen Menschheit — sträubt sich ein wenig gegen die syllogistische Form eines solchen Gedankengangs. Wir sind es gewohnt, in solchen Fällen (wo nämlich der Mittelbegriff mit dem Subjekt auffallend tauto-logisch ist) einen Relativsatz anzuwenden, also hier z. B. zu sagen: "Aristoteles, welcher der weiseste Mann der Welt (respektive der eitelste Pedant des Altertums) war, war der Lehrer Alexanders des Großen." Schopenhauer pflegte solche Relativsätze, die nebenbei eine Begründung des Hauptsatzes zu enthalten schienen, mit einem "als welcher" einzuleiten; darin lag ja etwas mehr als bloß Grammatik. Doch diese Bemerkung nützt den Logikern nichts. Denn es bleibt ihnen nichts übrig, als solche Relativsätze nach dem ersten Schlußmodus der ersten Figur zu konstruieren, wenn sie nicht zugeben wollen, dass wir ohne Hilfe von Syllogismen denken oder sprechen.

Noch eine andere Bemerkung möchte ich an mein Beispiel von Aristoteles und Alexander knüpfen, wobei es sich vielleicht empfehlen würde, zur Abwechslung für Aristoteles das deutsche Gymnasium und für Alexander Bismarck einzuführen. ("Das deutsche Gymnasium konnte einen Bismarck bilden.") Ich will aber schulgerecht fortfahren.

Viel häufiger als der oben angenommene Gedankengang wird nämlich ein anderer vorhanden sein, der den Logikern schon wieder recht zu geben scheint, weil er uns zu einem überraschenden Ergebnis führt, beinahe zu einem Scherz, also zu etwas, was neu aus den Prämissen hervorzugehen scheinen möchte. Diesen Gedankengang müßte der Logiker freilich nach dem ersten Modus der dritten Figur (nach Darapti) konstruieren.

Aristoteles war der Lehrer Alexanders,
Aristoteles war ein weiser Mann,


also: war (einmal) ein weiser Mann der Lehrer eines Eroberers,

oder aber:

Aristoteles war der Lehrer Alexanders,
Aristoteles war ein Pedant,


also: war (einmal) ein Pedant der Lehrer eines Genies.

Ich brauche wieder nicht darauf aufmerksam zu machen, dass der immerhin witzige Sinn des Schlußsatzes nicht unmittelbar aus den Prämissen hervorgehe, dass vielmehr sofort an Stelle des Eigennamens Alexander dasjenige Merkmal trat, das mit dem Subjekt nach der Anschauung des Redenden eine Antithese bildet. Ist aber diese Antithese überhaupt; logisch aus den beiden Prämissen nach Darapti hervorgegangen? Das leugne ich ganz entschieden. Abgesehen davon, dass kein einziger unter allen denkenden Menschen bei solchen Gedankengängen Darapti vor Augen hat, weder als einen durch Sphärenvergleichung, noch als einen durch Reduktion bewiesenen Schlußmodus (was ja auch gar nicht nötig wäre), abgesehen davon, dass die Form Darapti auf Urteile über Individuen doch nicht recht passen will, scheint mir auch dieses Beispiel wieder nur ein Beleg dafür zu sein, dass all unser Denken nur psychologische Begriffsbildung ist und dass auch überraschende neue Einfalle uns nicht anders, uns nicht auf dem Wege des Erschließens in den Sinn kommen. Was uns da einfiel, das nahm den gewöhnlichen Weg.

Durch neue Beobachtungen oder Mitteilungen, jedesfalls also durch Bereicherung unseres Wortes Aristoteles, sind wir dazu gelangt, uns bei diesen Buchstaben oder Lauten daran zu erinnern, dass der Grieche dieses Namens sehr weise gewesen sei und Alexander unterrichtet habe. Diese Erinnerungsmomente sind ohne jede Sohlußfolgerung miteinander verbunden wie andere Gedankenassoziationen. Ein lebhafter Geist wird rasch durch das eine Merkmal an das andere erinnert werden. Eine andere Begriffsbereicherung hat uns in der Schule das Wort Eroberer mit dem Merkmal "schlecht" verbinden lassen, und so mag auf induktivem Wege, unklar und unbewiesen, der Begriff Eroberer zugleich das Merkmal eines schlecht erzogenen Menschen enthalten haben. Will dieser Gedankengang frech und bestimmt in uns auftauchen oder sagt ein anderer in unserer Gegenwart schulmeisterlich etwa "alle Eroberer seien schlecht erzogen worden", so wird ohne jede syllogistische Denkoperation, einfach durch die Assoziation des Widerspruchs die Erinnerung auftauchen: aber der weise Aristoteles ist doch der Lehrer Alexanders gewesen. Das Gehirn wird also seine Begriffsbereicherung, die schlechte Erziehung an das Eroberertum knüpfen wollte, einfach nicht vollziehen können. Genau so wie das Urteil, alle Schwäne seien weiß, das heißt also die Verbindung des Merkmals weiß mit dem Begriff Schwan, fallen gelassen werden muß, sobald man schwarze Schwäne erblickt. Wobei ich freilich nicht behaupten will, dass ich das Geheimnis der Assoziation des Widerspruchs damit enträtselt habe.

Es versteht sich von selbst, dass der Gedanke, es sei einmal ein Pedant der Lehrer eines Genies gewesen, ohne syllogistische Denkoperation ebenso entstanden ist.