Prolegomena


Nun hatte Kant ohnehin schon einige Monate zuvor den Plan gefaßt, die wichtigsten Gedanken der 'Kritik' in einem auch Laien verständlichen populären, kurzen "Auszug" darzulegen, weil man das Hauptwerk "zwar durchzublättern, aber nicht durchzudenken" Lust habe und dasselbe in der Tat "trocken, dunkel, allen gewohnten Begriffen widerstreitend und überdem weitläufig" sei (Prol. Vorr. S. 8). Wie dieser Plan durch das Erscheinen der Garve-Federschen Rezension im einzelnen modifiziert wurde, ist eine Streitfrage der Kantgelehrten, die uns hier nicht interessiert.*) Genug, im Frühjahr 1783 erschienen die Prolegomena. Auch sie sind zwar, wie gleich ihr erster Satz ankündigt, "nicht zum Gebrauch vor Lehrlinge, sondern vor künftige Lehrer" geschrieben, eignen sich aber auch heute noch, infolge ihrer leichteren Verständlichkeit, übersichtlicheren Gliederung und nicht zum wenigsten ihres weit geringeren Umfangs (nur ein Viertel des Hauptwerks) aufs beste zur Einführung in die 'Kritik'.**)

Doch auch sie führten noch nicht sogleich den gewünschten Erfolg herbei. Kant klagt Schultz noch am 26. August d. J., "fast von niemandem verstanden worden zu sein" und äußert die Besorgnis, er möchte vielleicht "alle Arbeit vergeblich aufgewandt haben". Und auch die 'Erläuterungen' zur Kritik, die Professor Schultz auf seine Anregung und zu seiner Freude 1784 veröffentlichte (s. Kap. 8), wirkten außerhalb Königsbergs wohl kaum durchschlagend. Entscheidender ward die rührige Begeisterung, mit welcher der Jenaer Professor Schütz seit Anfang 1785 in der von ihm begründeten Jenaer Allgemeinen Literaturzeitung (näheres siehe unten Kap. 6) für die Sache des Kritizismus eintrat. Seine warmherzige und doch besonnene Besprechung der Kritik im Juliheft dieser neuen Zeitschrift war die erste, die dem Werke wirklich gerecht wurde. Von demselben Jena aus ließ dann der junge K. Chr. Erh. Schmid bald nachher schon eine 'Kritik der reinen Vernunft im Grundrisse zu Vorlesungen' und zwei Jahre darauf bereits ein 'Wörterbuch zum leichteren Gebrauch der Kantischen Schriften' in die Welt gehen. Nachdem so das Eis der Nichtbeachtung und der Wall der Mißverständnisse einmal gebrochen war, entstand dann eine von Jahr zu Jahr sich mehrende Literatur für und gegen die neue Lehre. Für unsere Leser hat es kein Interesse, Namen und Titel aller dieser, zum größten Teil mit Recht, längst verschollenen Gelehrtenerzeugnisse zu erfahren.***)

 

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*) Vgl. darüber meine Ausführungen a. a. O., S. XIII—XIX.

**) Was den Gedankengang dieser und aller in den folgenden Kapiteln erwähnten Kantischen Schriften betrifft, verweise ich ein und für allemal auf die Einleitungen zu denselben in meiner Kantausgabe (Philos. Bibl.).

***) Dem sich dafür Interessierenden sei in erster Linie die Jugendschrift von Benno Erdmann, Kants Kritizismus in der 1. und 2. Auflage der Kr. d. r. V. (Leipzig 1878) empfohlen.


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