Satire, Humor
Neben der Didaktik bevorzugt er die damit ja verwandte Satire. Selbst des von Schiller mit Recht sehr tief gestellten Wieners Aloys Blumauer 'Travestierte Äneis' erregt sein Wohlgefallen, wie er denn auch das 26 Strophen zählende humoristische Hochzeitskarmen eines gewissen Richey, das den Ehestand als Wehestand schilderte, öfters "mit komischer Grazie" seinen Tischgenossen zum Besten gab; und in seinen 'Losen Blättern' finden sich, wie Adickes nachgewiesen hat, manche Anspielungen auf Anekdoten aus dem 'Vademecum für lustige Leute" einer vielleicht von Nicolai herrührenden mehrbändigen Sammlung witziger, oft recht freier kleiner Geschichten und Späße. Stärker war natürlich seine Vorliebe für die ernstere Satire. Von den Alten gehören hierhin wiederum Persius und Juvenal, in geringerem Maße Martial und Horaz; unter den Neueren, außer Erasmus, von den Deutschen: der "Spötter" Liskow, der als "Original" gekennzeichnete Lichtenberg, der Epigrammatiker Kästner. Von Franzosen schätzt er besonders den geistreichen Skeptiker Montaigne, den man im 17. Jahrhundert "das Brevier der ehrlichen Leute" nannte, den freilich viel unbedeutenderen Fontenelle, und natürlich auch den großen Bekämpfer der Vorurteile Voltaire; daneben aber auch die derbe Kost eines Molière und sogar Rabelais: also vor allem den satirischen Humor. Im ganzen waren es doch dieselben Schriftsteller, die nach Karl Justis 'Winckelmann'*) überhaupt "den Kindern des 18. Jahrhunderts die Geistes- und Feuertaufe erteilten": Montesquieu, Buffon, Addison — Montaigne, Bayle, Shaftesbury und Voltaire — Butler, Cervantes, Pope und Swift: aus denen allen der unnatürlich gewordenen Zeit der Ruf zur Natur, zum Einfachen und Vernünftigen entgegenschallte. Von den Engländern behagten ihm deshalb besonders Sterne und Swift, in seiner früheren Zeit auch des alten Butler derber Hudibras. Und ebenso gern, wie des großen Cervantes ewig jungen Don Quixote, las er von seinen britischen Zeitgenossen die satirischen Romane Richardsons, namentlich aber Fieldings, dessen Tom Jones er besonders schätzte, und dessen Romane er, weil sie das Laster, anstatt es zu schelten, verspotteten, den Wielandschen vorzog (Abegg, 1798).
Er kannte natürlich — in weit höherem Grade, als gemeinhin bekannt ist — auch andere Dichter. So soll er aus Bürger und Hagedorn längere Stellen auswendig gewußt haben (Jachmann). Er weiß von Petrarkas Sonetten an Laura, er zitiert Ariost, er macht sich nichts aus den von vielen Zeitgenossen bewunderten schwülstig-sentimentalen 'Nachtgedanken' Youngs, der wie Klopstock und Gleim "eine Menge schwacher Köpfe verdorben" habe. Er tadelt Lohenstein, der, anstatt den Gesetzen der Schönheit, denen der Mode gehuldigt, kennt überhaupt die Entwicklung des deutschen Schrifttums vom Schwulst zur Tändelei, von da wieder ins "Schal-Witzige" oder Rührselige (vgl. Schlapp, S. 197 f.). Mit Recht wendet er sich gegen die breit beschreibenden Poeme des Hamburgers Brockes und des sonst von ihm geschätzten Haller. Kein Organ aber hat er für die erhabene religiöse Poesie der altisraelitischen Propheten und des Psalters: entweder infolge der Überfütterung mit Hebräisch und Altem Testament in seiner Schulzeit, oder auch wegen seiner starken Abneigung gegen den bilderreichen "orientalischen" Stil überhaupt, der Hamanns und Herders Wonne war. Aus seinen Altersjahren berichtet Dohm, dass Kant alles, was Jean Paul schreibe, mit der größten Begierde lese (1797), und 1800 teilt er Jean Paul selbst mit, Kant liebe und lobe seine Schriften sehr und empfehle sie bei jeder Gelegenheit.**)
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*) K. Justi, Winckelmann und seine Zeitgenossen (2. Aufl. 1898), dessen erster Band in kaum übertroffener Weise in die geistige Bewegung der Zeit von 1720—1760 einführt. Zu unserem Kapitel vgl. besonders S. 207 ff.
**) P. Nerrlich, Jean Paul und seine Zeitgenossen. Berlin 1878, S. 290.