3. Die philosophische Grundlegung der Biologie


An welcher Stelle des kritischen Systems soll die beschreibende Naturwissenschaft ihren Platz finden?

In der Kritik der reinen Vernunft erfährt sie nur nebenbei Berücksichtigung. Eigentlich nur in dem 'Anhang zur transzendentalen Dialektik', der die regulative Bedeutung der Idee (s. oben Kap. 1) auch für die Naturerkenntnis darlegt. Auch die letztere strebt nach systematischer Einheit. Die Naturforscher suchen die Mannigfaltigkeit der Dinge auf eine kleinere Zahl von Einheiten (Gattungen oder Grundstoffe) zurückzuführen. Anderseits treibt sie ein entgegengesetztes Interesse der Vernunft, von den jeweiligen Einheiten zu einer immer größeren Mannigfaltigkeit von Arten hinabzusteigen. Und, um "die systematische Einheit zu vollenden", sucht die Vernunft drittens einen stetigen Übergang zwischen ihnen allen herzustellen. So entstehen die drei grundlegenden Prinzipien aller beschreibenden Naturforschung: das der Homogeneität (Gleichartigkeit), der Spezifikation (Sonderung) oder Varietät (Mannigfaltigkeit) und der Kontinuität (des durchgängigen Übergangs) oder Affinität (Verwandtschaft). Alle drei stellen jedoch keine "objektiven Einsichten" dar — solange man sie für solche hält, würde der Streit nicht aufhören —, sondern "bloße" Ideen, regulative Prinzipien, "heuristische" Grundsätze, die dazu da sind, um Ordnung in die Natur zu bringen, die Vernunft zufriedenzustellen und mit sich selbst einstimmig zu machen. Die wenigen Beispiele werden übrigens nicht der Biologie, sondern der mineralogischen Chemie und der Astronomie entlehnt, nur an einer Stelle auch auf die "Charakteristik" der Menschen (Völker-Familien, Rassen), Tiere und Pflanzen hingewiesen.

Eine Reihe wertvoller methodischer Bemerkungen bringt sodann, besonders im Anfang und gegen Schluß, die vorhin erwähnte Abhandlung von 1788 über die 'teleologischen Prinzipien'. Zunächst braucht alle Naturwissenschaft "Theorie", d. i. kausale Forschung, wie die Physik sie bietet. Auch darüber ist Kant mit seinem Gegner Forster einverstanden, dass in einer Naturwissenschaft alles natürlich, nicht etwa theologisch, erklärt werden muß. Aber reicht die kausal-mechanische Erklärungsart auch für die neue, erst noch zu schaffende Wissenschaft der Naturgeschichte aus? Auch für sie muß doch ein leitendes Prinzip vorhanden sein, nach welchem das Suchen und Beobachten des Forschers sich richtet, denn Beobachten heißt — "Erfahrung methodisch anstellen"; womit selbstverständlich nicht gesagt ist, dass der Naturkenner, selbst der bedeutende, seine privaten Gedanken in die Beobachtung hineintragen darf. Sogenannte "Grundkräfte" an der Stelle anzunehmen, wo die Erfahrung aufhört, ist ein Abirren von dem fruchtbaren Boden echter Naturforschung in die Wüste der Metaphysik. Wahre Metaphysik ersinnt nicht solche leeren "Kräfte", sondern sucht die in der Erfahrung wirklichen auf die kleinstmögliche Zahl zurückzuführen. Hier tritt nun die Idee des Zweckes in ihr Recht. Geht doch jeder Anatom und Physiologe von dem Begriff des Organismus oder, wie Kant statt dessen noch sagt: "eines organisierten Wesens", aus, in dem sich alles aufeinander als Zweck und Mittel bezieht. Der Gebrauch dieses teleologischen oder Zweckprinzips ist jedoch streng auf die wissenschaftliche Erfahrung zu beschränken.

So ist das Werk vorbereitet, das allen diesen Erörterungen ihren systematischen Abschluß gibt, die Kritik der Urteilskraft (1790).


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