C. Malerei
Damit wären wir bei seinem Verhältnis zur Malerei angelangt. In Königsberg hatte Kant Reproduktionen guter Gemälde, ja selbst Originale zu sehen ziemlich reiche Gelegenheit. So besaß, abgesehen von der reichhaltigen Keyserlingschen Galerie (S. 198 f.), Hippel in seiner ansehnlichen Sammlung von mehreren hundert Gemälden unter anderen einen Albrecht Dürer (Anbetung der Weisen aus dem Morgenlande), drei Lukas Cranach (Ecce homo, Luther, Melanchthon), ein Damenporträt von van Dyk, Gemälde von Vernet, Teniers, Brouwer und anderen, außerdem viele Zeichnungen und Kupferstiche von guten Meistern. Und der Hofrat von Morgnes unter seinen 250 Bildern einen Greisenkopf von Rembrandt, Adam und Eva "in der Manier von Michelangelo" und zahlreiche Niederländer. Überdies konnte unser Philosoph durch seine Bekanntschaft mit dem Keramiker Collin, den er allsonntäglich an der Mittagstafel des gemeinsamen Freundes Kaufmann Motherby traf, allerlei Neues aus der Kunst sehen und erfahren. Collin, selbst ein Königsberger Kind, hatte in England die Keramik kennen gelernt und 1776 in seiner Vaterstadt eine Fayence- und Steingutfabrik gegründet; er hat auch Kant mehrfach in Ton abgebildet.
Danach sollte man eigentlich bei diesem bessere Kenntnisse von der Kunst erwarten, als er sie tatsächlich zeigt. Er kennt und nennt zwar in seinen Vorlesungen die großen Malernamen, verwechselt aber z. B. noch in der Anthropologie von 1798 (§ 13) Rafael mit Correggio und folgt dem Urteil des "berühmten Malers", aber unbedeutenden Ästhetikers Rafael Mengs über diese und Tizian, ohne sie anscheinend selbst zu kennen. In seiner Anthropologie-Vorlesung von 1784 gebraucht er die Wendung: Rafael soll (!) Ideale von Menschen gemacht haben, indem er die Natur nicht malte, wie sie ist, sondern wie sie besser wäre. In seinem ästhetischen Hauptwerk kommt überhaupt kein Malername vor! Auch in seinen reichen Nachlaßnotizen über Kunst finden wir, abgesehen von einer das Geburtsdatum des "Genies" Michelangelo betreffenden Bemerkung, nur den bekannten englischen satirischen und Karikaturenmaler Hogarth zweimal erwähnt wegen seiner vorzüglichen Gabe, in seinen Gesichtern den Charakter der Menschen höchst natürlich auszudrücken.
Dagegen zeigt er, wo es nicht auf historische Kenntnisse, sondern auf die Kunst überhaupt ankommt, feines Verständnis. So in einer um 1769—1770 hingeworfenen Notiz, in der Malerei seien "die Anlage (das Faktum)" und die "Disposition" oder das Gruppieren zu unterscheiden, "dadurch es als ein Ganzes in die Augen fällt," wobei "keine Gruppe gut ohne Kontrast" sei. Oder, wenn er den Malern den Rat erteilt, lieber allgemein bekannte Geschichten und Fabeln als "bloße Ideen" zu malen (um 1772); und alle reinen Farben schön findet, "weü das Unvermengte schon Kunst anzeigt" (zwischen 1773 und 1778). Oder endlich in den Vorlesungen (1775/76): "Ein Maler hat immer eine Idee im Kopfe zum Grunde, wonach er malt, obgleich er die Idee selbst niemals erreicht."