Norddeutschland:
Kosegarten, Rehberg, Salomon Maimon u. a.
Aber Kants kategorischer Imperativ übte doch auf manches begeisterungsfähige Gemüt eine gewaltige Wirkung aus. So widmete der als lyrischer Dichter bekannte L. Th. Kosegarten aus Mecklenburg, damals noch geplagter Schulrektor in dem schwedisch-pommerschen Städtchen Wolgast, ein "Sträußchen Feldblumen", d. h. eine Sammlung seiner Gedichte ('Rhapsodien" 1790) in einer mehrere Seiten der Akademie-Ausgabe füllenden 'Zueignung' dem Manne, "der mein moralisches Selbst mich recht würdigen und dem Idol des wahrhaftig aufgeklärten und rechtschaffenen Menschen, Pflicht genannt, mich einzig huldigen lehrte", der "in seinen Untersuchungen unseres praktischen Vernunftvermögens ebenso liebenswürdig, einfältig und menschlich-schön erscheint, als er in der Analyse aller Spekulation anfangs furchtbar, abschreckend und grausend [!] erscheinen mag", und dessen Kritik der praktischen Vernunft man nicht lesen kann, "ohne ihrem ebenso gefühlvollen als tief denkenden Verfasser um den Hals zu fallen" (an Kant, 1. April 1790).
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Ehe wir Norddeutschland verlassen, sei noch auf den Geheimsekretär Rehberg in Hannover hingewiesen, einen feinen und selbständigen Kopf, der mit Kant über mathematische Probleme korrespondierte und auch zu Jachmann mit besonderer Wärme über Kants Ethik sprach. Ferner auf den Professor Hegewisch in dem damals dänischen Kiel, der seine Anhängerschaft in einem Aufsatz über den Vorzug der Kantischen vor der Wolffschen Philosophie in der Berliner Monatsschrift (1789) bezeugte.
Von den Beziehungen zu Berlin ist schon gelegentlich seines ersten Schülers Marcus Herz, der Berliner Monatsschrift und des Jacobi-Mendelssohn-Streites die Rede gewesen. Seit Herbst 1789 wirkte dort auch der junge Kiesewetter, den das preußische Ministerium ausdrücklich nach Königsberg gesandt hatte, um von dort die Kantische Philosophie einzuführen, eifrig für Kants Lehre (s. B. IV, Kap. 1). Zu dem Kreise von größtenteils jüdischen Kantverehrern, der sich um Marcus Herz sammelte, trat gegen Ende der 80er Jahre der scharfsinnige Salomon Maimon, der nach seiner eigenen Aussage "die besten Jahre seines Lebens in den litauischen Wäldern, entblößt von jedem Hilfsmittel zur Erkenntnis der Wahrheit" zugebracht hatte und nun durch die Unterstützung wohlgesinnter Glaubensgenossen in den Stand gesetzt war, den Wissenschaften obzuliegen (an Kant, 7. April 89). Kant urteilt, nachdem er einen Teil des ihm zugesandten Manuskripts gelesen, dass es "in der Tat kein gemeines Talent zu tiefsinnigen Wissenschaften verrate" (an Maimon, 24. Mai 89); ja, dass "niemand von seinen Gegnern mich und die Hauptfrage so wohl verstanden", nun 'nur wenige zu dergleichen tiefen Untersuchungen soviel Scharfsinn besitzen möchten wie Herr Maimon" (an Herz, 26. Mai 89). Angefeuert durch solches Lob, schickte ihm nun freilich Maimon in diesem und den nächsten Jahren so viel Briefe und literarische Erzeugnisse seiner emsigen Feder zu, dass Kant nicht mehr antwortete, trotzdem jener ihn durch einen gemeinsamen Bekannten daran erinnern ließ. — Abseits von den Aufklärern stand in Berlin noch der langjährige Leibarzt Friedrichs des Großen, Chr. G. Selle, der zwar in verschiedenen Schriften Kants Apriorismus bekämpfte, aber gleichwohl von diesem hochgeschätzt wurde (vgl. Kant an Selle, 29. Dez. 87; Selle an K., 24. Febr. 92).