Das Schöne und Erhabene


Der zu seiner Zeit üblichen Einteilung des Ästhetischen in das Schöne und Erhabene folgend, behandelt er zunächst das erstere. Das Schöne erhält das Gemüt in ruhiger "Kontemplation", wir weilen in seiner Betrachtung. Es betrifft eigentlich nur die Form des Gegenstandes, die in dessen Begrenzung besteht. Darum liegt auch, wie wir sahen, für unseren Philosophen das Wesentliche der bildenden Künste in der Zeichnung, nicht dem Reiz der Farben; in der Musik in der Komposition, nicht den reizenden oder rührenden Tönen. Rein ästhetisch ist bloß die "freie", das heißt für sich bestehende Schönheit, z. B. von Blumen, Arabesken, Musik ohne Text; während die "anhängende", das heißt durch einen Begriff (z. B. eines Gebäudes, des Pferdes, des Menschen), in der Musik durch einen Text bedingte, sich schon mit intellektuellen Begriffen mischt. Der Naturschönheit gibt Kant vor dem Kunstschönen den Vorzug, wie auch dem Wild-Schönen, anscheinend Regellosen des englischen Geschmacks vor dem Langeweile machenden Steif-Regelmäßigen des französischen. Ein Schönheitsideal — nicht zu verwechseln mit der Normal- oder Durchschnittsidee, z. B. eines Europäers — ist freilich nur vom Menschen möglich, da nur dieser den Endzweck seines Daseins in sich selbst trägt. Es besteht im sichtbaren Ausdruck der den Menschen beherrschenden sittlichen Idee. Insofern kann die Schönheit als "Symbol" der Sittlichkeit bezeichnet werden (wodurch freilich, im Widerspruch zu Kants Grundprinzip reinlicher Scheidung, die Ästhetik zu nahe an die Ethik gerückt wird).

Mit dem sittlichen Menschen Kant hängt vielleicht auch die besonders starke innere Anteilnahme zusammen, mit der er das Erhabene behandelt. Im Gegensatz zu dem Schönen, zieht uns das Erhabene gerade durch seinen Geschmack am Formlosen, Unbegrenzten, Unendlichen, mithin durch seinen Widerstand gegen das Sinneninteresse an. Es ist daher auch nicht, wie die Empfindung des Schönen, mit einem Gefühl der Lebensförderung, sondern eher der Lebenshemmung, jedoch mit "unmittelbar folgender desto stärkerer Ergießung" verbunden. Es geht nicht aus dem Bewußtsein der Harmonie, sondern eher aus dem des Kontrastes hervor. Mit Reizen unvereinbar, rührt und erschüttert das Erhabene das Gemüt, ruft mehr Bewunderung als Lust hervor, ist deshalb auch in höherem Grad als das Schöne mit dem moralischen Gefühl verwandt; man empfindet in seiner Nähe einen heiligen Schauer. Es zerfällt, je nach seiner Beziehung auf das Erkennen oder das Begehren, in das Mathematisch- und das Dynamisch-Erhabene. Das Mathematisch-Erhabene wirkt als das schlechthin Große, "mit welchem in Vergleichung alles andere klein ist", wie die "Weltgrößen", die das Teleskop uns zeigt, und umgekehrt als das Unendlich-Kleine, das ebenfalls jeden Maßstab menschlicher Sinne übersteigt. Noch stärker jedoch wirkt das Dynamisch-Erhabene auf den Menschen. Denn jetzt erscheinen ihm nicht unermeßliche Größe und Zahlen, die bloß staunende Bewunderung hervorrufen, sondern die Natur selbst tritt ihm als eine unwiderstehliche Macht gegenüber, die seine Furcht erregt, und der er sich gleichwohl durch seine Persönlichkeit, durch das Gefühl der Erhabenheit seiner eigenen Bestimmung, innerlich überlegen fühlt. Das Erhabene liegt daher auch weniger als das Schöne in den Gegenständen, mehr in unserem eigenen Gemüte. Die Erhabenheit unserer Denkungsart steigert sich einerseits zum Enthusiasmus, andererseits zu der unserem Helden noch erstrebenswerter dünkenden Affektlosigkeit "eines seinen unwandelbaren Grundsätzen nachdrücklich nachgehenden Gemütes". Erhaben ist der Anblick des unendlichen oder wild bewegten Ozeans, erhaben der Anblick des gestirnten Himmels; erhaben aber auch der Heldenmut — selbst im Kriege, "wenn er mit Ordnung und Heilighaltung der bürgerlichen Rechte geführt wird" —, erhaben die Ideen Gottes, des Sittengesetzes und der Pflicht; womit schon die durch Schiller weitergeführte Ergänzung des Ethischen durch das Ästhetische ausgesprochen ist.

Neben dem Schönen und Erhabenen werden gelegentlich noch weitere ästhetische Begriffe, wie das Häßliche (Ekelhafte), das Launige oder Scherzhafte (das Lachen, das Kolossale) und das Naive, beleuchtet und bestimmt. Die Kunst vermag auch das an sich Häßliche schön darzustellen, wie die Furien oder den Tod (Kant hat Lessings Abhandlung 'Wie die Alten den Tod gebildet' wahrscheinlich gekannt und gebilligt). Nur das Ekelhafte schließt sie von ihrer Darstellung aus.


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