1. Karl Marx (1818-83)


ging ursprünglich vom Junghegelianismus, insbesondere Feuerbachs, aus, aber bald über ihn hinaus. Die Kritik des Himmels, der Religion, der Theologie muß nach ihm zu einer Kritik der Erde, des Rechtes und der Politik werden. Es gilt, die Hegelsche Philosophie, welche die Welt »auf den Kopf gestellt«, nämlich allein aus dem Kopfe (den Ideen) des Philosophen abgeleitet hat, »umzustülpen«, die dialektische Methode auf die geschichtliche Wirklichkeit anzuwenden, um die eigentlich treibenden Mächte zu entdecken, die hinter den Beweggründen der geschichtlich handelnden Menschen stehen. Diese Mächte aber sind im letzten Grunde ökonomische, nicht ideelle. So verkündet die neue, »materialistische« Geschichtsauffassung, die schon in dem Elend der Philosophie gegenüber Proudhon hervortritt, bestimmter in dem in Gemeinschaft mit Engels verfaßten Kommunistischen Manifest (1848, 7. deutsche Auflage mit Vorwort von Kautsky 1906) zum Ausdruck kommt und schließlich in der Vorrede zur Kritik der politischen Ökonomie (1859, 2. vermehrte Auflage 1907) ihre klassische Formulierung erhält. Die ökonomische Struktur der Gesellschaft, in welche die Menschen ohne ihren Willen hineingeboren werden, bildet hiernach die reale Basis, auf der sich der gesamte Überbau der politischen und juristischen, ja auch der religiösen, künstlerischen oder philosophischen, kurz »ideologischen« Formen erhebt. »Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt.« Dies gesellschaftliche Sein aber ist kein starres, sondern, wie schon Hegel gezeigt, in beständigem Flusse begriffen. Seine Entwicklungsgesetze gilt es in naturwissenschaftlicher Methode zu erforschen und so die Geschichte der Menschheit wissenschaftlich zu begreifen. Auf einer gewissen Stufe der sozialen Entwicklung nun gerät jener ökonomische Untergrund, da er inzwischen seine Eigenart wesentlich verändert hat, notwendig in Widerspruch mit dem überlebten juristisch-ideologischen Überbau. Dann tritt eine Epoche sozialer Umwälzungen ein, die je nachdem kürzer oder länger dauert und eine Änderung der bisherigen veralteten Produktionsweise bewirkt. So folgten einander im Laufe der Geschichte die asiatische (Barbarei), antike (Sklaventum), feudale (Leibeigenschaft) und modernbürgerliche (Lohndienst) Produktionsweise: wobei jede frühere Gesellschaftsordnung die Keime der folgenden so lange in ihrem Schoße trug, bis diese zur Sprengung der vorhergehenden fähig war.

Auf diese seine Theorie der sozialen Entwicklung gründet Marx den Sozialismus der Gegenwart. Auch unsere Zeit nämlich befindet sich in einem solchen Konflikt: zwischen der veränderten, sozialisierten Produktionsweise (in Fabriken, Großhandel, Großgrundbesitz usw.), die sich naturgemäß immer weiter ausdehnt, und der veralteten Rechtsordnung des Privateigentums an den Produktionsmitteln. Dieser Konflikt, der namentlich in regelmäßig wiederkehrenden Industrie- und Handelskrisen von Zeit zu Zeit zum Ausbruch kommt, läßt sich nur dadurch endgültig lösen, dass das Überlebte dem Lebendigen, die veraltete Form dem neuen Inhalt weicht. »Das Kapitalmonopol wird«, wie Marx in Band I, S. 793 seines großen nationalökonomischen Werkes Das Kapital (1. Band 1867, 4. Aufl. 1892; der 2. Band ist 1885, der 3. 1894 von Engels herausgegeben worden) sagt, »zur Fessel der Produktionsweise, die mit ihm und unter ihm aufgeblüht ist... Die kapistalistische Hülle wird gesprengt. Die Stunde des kapitalistischen Privateigentums schlägt. Die Expropriateure werden expropriiert.« Die heutige, planlose Produktionsanarchie muß umschlagen in ein planmäßig organisiertes, zentral geleitetes. Zusammenwirken, dessen erste Voraussetzung die »Vergesellschaftung« der Produktionsmittel (Grund und Boden, Rohstoffe, Maschinen, Verkehrsmittel u. a.) ist. Das individuelle Privateigentum wird durch diese »Negation der Negation« wiederhergestellt, aber jetzt auf Grund der Kooperation freier Arbeiter und ihres Gemeineigentums an den Produktionsmitteln. Aufgabe des modernen Sozialisten ist es nicht, den Organisationsplan eines zu schaffenden »Zukunftsstaates« auszuarbeiten, sondern sich und seine Mitarbeiter auf die von selbst kommende Umwälzung vorzubereiten, ihr »Geburtshelfer« zu werden.

Die nationalökonomischen Einzeltheorien des Mehrwerts, der Krisen, des Zusammenbruchs, der Verelendung u. a., die bei Marx mit dieser geschichtsphilosophischen Lehre in Verbindung gesetzt werden, müssen wir übergehen.


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