2. Ernst Mach
Ernst Mach (geb. 1838, seit 1867 Professor der Physik, seit 1895 der Philosophie in Wien, seit 1902 a. D., • 1916) legte seine positivistischen Anschauungen zuerst in seinen Beiträgen zur Analyse der Empfindungen (1886, 5. Aufl. unter dem Titel: Die Analyse der Empfindungen und das Verhältnis des Physischen zum Psychischen 1906, 7. Aufl. 1918) dar. Danach ist alle Wissenschaft eine gedankliche Nachbildung von Tatsachen, diese letzteren aber bestehen nur in Bewußtseinsinhalten oder Empfindungen. Auch die Materie z.B. ist nichts anderes als eine gewisse gesetzmäßige Verbindung von Empfindungen. Aufgabe der Wissenschaft ist es, diese Grundbedingungen der Erfahrung und ihre wechselseitigen Abhängigkeiten voneinander darzustellen, sie durch Beobachtung und Experiment in methodischen Zusammenhang zu bringen und zu wissenschaftlich haltbaren Sätzen zu gestalten. Dies geschieht durch ein subjektives Prinzip unseres Verstandes, die vereinfachende, verallgemeinernde und gedankensparende »Ökonomie des Denkens«. Wie die tatsächlichen Vorgänge selbst, so ist auch ihr wissenschaftliche Erkenntnis in unaufhörlichem Wandel, in steter Umbildung begriffen, sodass der Prozeß des Erkennens nie abgeschlossen ist. Aber je beständiger eine Gedankenverbindung und damit ein Gesetz ist, desto mehr vertrauen wir ihm und passen ihm andere, neue Urteile an. Denn, wie das zweite Hauptwerk Machs, seine Aufsätze über Erkenntnis und Irrtum (1905, 3. Aufl. 1918), ergänzend hinzufügen, müssen die Gedanken nicht bloß den Tatsachen, sondern auch einander angepaßt werden, wodurch sich ein dem erkenntniskritischen Monismus der Neukantianer ähnlicher Standpunkt ergibt. Das Ideal einer Wissenschaft ist erreicht, »wenn es gelungen ist, die geringste Zahl einfachster unabhängiger Urteile zu finden, aus welchen sich alle übrigen als logische Folgen ergeben, d.h. ableiten lassen«. Die Gesamtheit des für alle im Raum unmittelbar Vorhandenen nennen wir das Physische; das nur einem unmittelbar Gegebene, den übrigen nur durch Analogie Erschließbare das Psychische. Allerdings wird dieser erkenntniskritische Standpunkt vielfach wieder durch psychologische, biologische, historische Gedankengänge überwuchert.
Die ganze Welt verwandelt sich für Mach in ein Netz von Elementen, dessen Knotenpunkte die »Ich«-Punkte sind, in denen es zugleich empfunden wird. »Ding« und »Ich«, ja selbst die »Kausalität« sind nur provisorische Hilfsbegriffe; auch das »Ding« ist nichts anderes als ein Zusammenhang von Elementen, der empfunden wird. Ein philosophisches System oder gar ein vollständiges Weltbild zu geben, lehnt Mach ausdrücklich ab: er will kein Philosoph, sondern Naturforscher sein. »Es gibt«, erklärt er selbst, »keine Machsche Philosophie, sondern höchstens eine naturwissenschaftliche Methodologie und Erkenntnispsychologie, und beide sind, wie alle naturwissenschaftlichen Theorien, vorläufige, unvollkommene Versuche.« Aber, wenn auch »die Naturgesetze« zunächst nur »Einschränkungen sind, die wir unter Leitung der Erfahrung unseren Erwartungen vorschreiben«, so hat doch die Wissenschaft die Aufgabe übernommen, an die Stelle der tastenden, unbewußten Anpassung die »raschere, klar bewußte, methodische« zu setzen. Und dies muß uns ein Antrieb sein, auch »an der Verwirklichung einer sittlichen Weltordnung mit Hilfe unserer psychologischen und soziologischen Einsichten eifrig und kräftig mitzuarbeiten« »Haben wir aber einmal«, so schließt das letzte Werk Machs, »eine solche sittliche Ordnung geschaffen, so wird niemand sagen können, dass sie nicht in der Welt sei, und niemand wird mehr nötig haben, sie in mystischen Höhen oder Tiefen zu suchen.«
Obwohl Machs Relativismus im Grunde nicht dazu angetan war, eine »Schule« zu bilden, so hat er doch namentlich in Österreich und neuerdings auch in Rußland, hier besonders unter einem Teil der Sozialisten, zahlreiche eifrige Anhänger gefunden. Von seinen übrigen Werken seien noch die wichtige Geschichte der Mechanik (Die Mechanik in ihrer Entwicklung historisch-kritisch dargestellt, 1883, 7. Aufl. 1912) sowie die Populär-wissenschaftlichen Vorlesungen (4. Aufl. 1910) erwähnt.
Einen erkenntnistheoretischen Empirismus, der sich an die Arbeiten von Mach, H. Hertz und G. Kirchhoff anlehnt, vertritt Hans Cornelius (Frankfurt) in seiner Einleitung in die Philosophie (1901, 2. Aufl. 1911 und Transzendentale Systematik, 1916). In anderer Weise ist mit Mach verwandt der Standpunkt von H. Kleinpeter (1869 bis 1916, Erkenntnistheorie der Naturforschung der Gegenwart, Lpz. 1905) und von Richard Wahle (geb. 1857, in Czernowitz) in seinem früheren Werke: Das Ganze der Philosophie und ihr Ende. Ihre Vermächtnisse an die Theologie, Physiologie, Ästhetik und Staatspädagogik (Wien 1894), während sich Der Mechanismus des geistigen Lebens (1906) einem spinozistisch gefärbten Materialismus nähert.
Inzwischen war eine Philosophie der Erfahrung in Deutschland auch von anderer Seite verfochten worden. Wir fassen ihre Vertreter zusammen als jüngere deutsche Positivisten.
Literatur: R. Hönigswald, Zur Kritik der Machschen Philosophie, 1903. - B. Hell, Machs Philosophie, 1907. - Max Adler, Mach und Marx (in Sombarts Archiv), 1911. H. Henning, Lpz. 1915. Friedr. Adler, Machs Überwindung des mechan. Materialismus. Wien 1918.