b) Ästhetik, Ethik, Soziologie
3. Seltener wurde bis zu Anfang des neuen Jahrhunderts die Ästhetik in größeren Einzelwerken behandelt. So von: E. von Hartmann (Ästhetik, 2 Bde., 1886-87), Groos (geb. 1861, in Gießen), Einleitung in die Ästhetik, 1892, Die Spiele des Menschen, 1899; Die Spiele der Tiere, 2. Aufl. 1907), Volkelt (Ästhetische Zeitfragen, 1894, Ästhetik des Tragischen, 1897, 2. Aufl. 1906), H. von Stein (Vorlesungen über Ästhetik, 1897), K. Überhorst (in Innsbruck, Das Komische, 1896-99). Seitdem ist jedoch auch auf diesem Gebiete ein Umschwung eingetreten. Wir besitzen heute eine ganze Reihe allgemein- ästhetischer Werke, von: Konrad Lange (Tübingen, Das Wesen der Kunst, 2. Aufl. 1907), J. Cohn (Freiburg i. Br., Allgemeine Ästhetik, 1901), Witasek (Grundzüge der allgemeinen Ästhetik, Leipzig 1904), B. Croce, Ästhetik als Wissenschaft des Ausdrucks usw. (aus dem Italienischen übersetzt 1905), Lipps (Ästhetik, 2 Bde., 1903-06), wiederum Volkelt (System der Ästhetik, 3 Bde., 1905-1912), Christiansen (Philosophie der Kunst, 1909), Dessoir (Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, 1906) und H. Cohen, Die Ästhetik des reinen Gefühls, 1912 (vgl. § 72, 1, III). Seit 1906 besteht eine besondere Zeitschrift, 1913 fand ein Kongreß für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft statt.
4. Besonders zahlreiche Bearbeiter haben in den letzten Jahrzehnten die Ethik und die damit verwandten Gebiete (s. unten 5) gefunden. Die meisten derselben sind jedoch von uns schon an früherer Stelle erwähnt, so Cohen, Gizycki, Görland, Jodl, Lipps, Natorp, Paulsen, Schuppe, Staudinger, Weltmann, Wundt und Ziegler. Außerdem, seien von neueren Versuchen, deren Grundtendenz meist schon aus ihrem Titel hervorgeht, hervorgehoben: A. Döring (1834-1912, Philosophische Güterlehre, 1888), Georg Simmel (1858-1918, Einleitung in die Moralwissenschaft, 2 Bände, 1892 f., 3. Aufl. 1910), W. Stern (1844-1918, Kritische Grundlegung der Ethik als positiver Wissenschaft, 1897), M. Wentscher (Ethik, 2 Bde., 1902-05). Auch die moralpsychologischen Untersuchungen von Th. Elsenhans (Wesen und Entstehung des Gewissens, 1894) und P. Rée (Entstehung des Gewissens, 1885) sowie die Werttheorien von Meinong und v. Ehrenfels (S. 494) gehören hierher. Mehr anthropologischer Natur ist des Finnen Westermarck Ursprung und Entwicklung der Moralbegriffe, 2 Bde., 1907-09.
5. Um die Förderung der Sozialphilosophie (Soziologie) haben sich, abgesehen von den schon in § 74 behandelten Sozialisten, von Ferd. Tönnies (§ 77) und den Neukantianern Natorp, Stammler, Staudinger, Vorländer (§ 72), verdient gemacht; die der organisch-biologischen Richtung Spencers nahestehenden P. von Lilienfeld (Deutschrusse, 1829-1903, Gedanken über die Sozialwissenschaft der Zukunft, 5 Bände, 1873-81) und A. Schäffle (1830-1908, Bau und Leben des sozialen Körpers, 4 Bde. 1875-78, 2. Aufl. 2 Bde. 1896), der den Rassenkampf zur Leitidee machende Ludwig Gumplowicz (in Graz, 1838 bis 1909, Grundriß der Soziologie, 2. Aufl. 1905) und der ihnen verwandte, auch als Naturphilosoph zu erwähnende Österreicher G. Ratzenhofer (1842-1904, Die soziologische Erkenntnis, 1898), wozu als älterer Versuch noch E. Kapp, Grundlinien einer Philosophie der Technik (1877) kommt. Dem Positivismus steht weiter nahe F. C. Müller-Lyer (München, • 1916), der, von der Naturwissenschaft herkommend, ein eigenartiges soziales System unter dem Titel Phasen der Kultur und Richtungslinien des Fortschritts (1908 ff.) unvollendet hinterließ. Seine philosophische Weltanschauung (Der Sinn des Lebens, 1910) nannte er »Euphorismus«, eine Philosophie, welche »die vollkommene Persönlichkeit als obersten Zweck und den vollkommenen Staat als letztes Ziel betrachtet und diese beiden höchsten Werte durch Kulturbeherrschung zu verwirklichen strebt« Ferner der soeben als Ethiker genannte G. Simmel (Die Probleme der Geschichtsphilosophie, 3. Aufl. 1907, Philosophie des Geldes, 2. Aufl. 1908, Soziologie, 1908), sowie der sozialistisch gestimmte R. Goldscheid (geb. 1870, in Wien, Zur Ethik des Gesamtwillens, 1902, Grundlinien zu einer Kritik der Willenskraft, 1906, Entwicklungswerttheorie, Entwicklungsökonomie, Menschenökonomie, 1908, Höherentwicklung und Menschenökonomie, Bd. I, 1911), der auch eine »Gesellschaft für Soziologie« gründete; vgl. auch L. Stein, Die soziale Frage im Lichte der Philosophie, 2. Aufl. 1903 (mehr literarhistorisch). A. Eleutheropulos (in Zürich, geb. 1870, Soziologie, 2. Aufl. 1908, vgl. auch Philosophie, 1911) gab seit 1909 eine Zeitlang eine Monatsschrift für Soziologie heraus. Werner Sombart will in seinem Werke Der moderne Kapitalismus, von dem jedoch erst die beiden ersten wirtschaftsgeschichtlichen Bände (1902, 2. Aufl. 1917) erschienen sind, »das kapitalistische Wirtschaftssystem von seinen Anfängen bis zur Gegenwart verfolgen, seine eigenen Bewegungsgesetze aufdecken und die Gesetzmäßigkeit seines Übergangs in eine zukünftige Wirtschaftsepoche (eine sozialistisch- genossenschaftliche) darstellen, unter kausalem Gesichtspunkt« Auf »der Grundlage der durch diese historisch-theoretischen Betrachtungen gewonnenen Einsicht« soll sich dann später »ein wissenschaftliches System praktischen Handelns, also ein System der Sozialpolitik« aufbauen, »unter teleologischem Gesichtspunkt«; endlich »die Krönung des Gebäudes ein System der Sozialphilosophie bilden, unter kritischem Gesichtspunkt«.
Nahe verwandt mit der Soziologie ist die Geschichtsphilosophie, die von Paul Barth (geb. 1858, in Leipzig) sogar mit ihr gleichgesetzt wird. Der bisher allein erschienene 1. Band seiner Philosophie der Geschichte als Soziologie (1897, 2. stark erweiterte Auflage 1915) gibt eine gut orientierende »kritische Übersicht« seiner sozial- und geschichtsphilosophischen Vorgänger. Von Historikern haben sich neuerdings mit geschichtsphilosophischen Problemen beschäftigt K. Lamprecht (1856-1915, Alte und neue Richtungen der Geschichtswissenschaft, 1896, Moderne Geschichtswissenschaft, 1904), der in Leipzig auch ein Institut für Kultur- und Universalgeschichte ins Leben rief, und E. Bernheim (Lehrbuch der historischen Methode, 5. u. 6. Aufl. 1908), beide im Gegensatz zu der alten »individualistischen« eine mehr oder weniger »kollektivistische« Anschauung vertretend; ferner Th. Lindner (in Halle, Geschichtsphilosophie, Einleitung zu einer Weltgeschichte seit der Völkerwanderung, 3. Aufl. 1912) und von Jüngeren Mehlis (Geschichtsphilosophie, 1915). Außer dem natürlich auch hierher gehörigen historischen Materialismus (§ 74), vgl. noch Eucken, Simmel (S. 498) und Dilthey, der freilich die Möglichkeit einer wissenschaftlichen Geschichtsphilosophie bestreitet, ferner die völkerpsychologischen Untersuchungen von Wundt, Lazarus und Steinthal, desgleichen die schon S. 444 erwähnten methodologischen Schriften von Windelband und Rickert sowie verschiedene Abhandlungen des ihnen philosophisch verwandten Heidelberger Nationalökonomen Max Weber.
Als Hauptvertreter der der Ethik und Sozialphilosophie gleich nahe stehenden Rechtsphilosophie nennen wir außer H. Cohen. (S. 427), W. Schuppe (S. 480 f.) vor allem den schon S. 435 ff. besprochenen Rudolf Stammler (Berlin), den hegelianisierenden Philosophen A. Lasson (1832-1917, in Berlin, System der Rechtsphilosophie, 1882), die Juristen R. von Jhering (1818-92, Geist des römischen Rechts, 4 Bde. 1852-65, 6. Aufl. 1894 bis 1907, Der Zweck im Recht, 2 Bde. 1877 ff., 4. Aufl. 1904), Bergbohm (in Bonn, Jurisprudenz und Rechtsphilosophie, 1892), Bierling (Juristische Prinzipienlehre, 4 Bde. 1894 bis 1911), J. Kohler (1849-1919, Berlin, Lehrbuch der Rechtsphilosophie, 1909) und Berolzheimer (System der Rechts- und Wirtschaftsphilosophie, 5 Bde. 1904-07). Berolzheimer und Kohler haben 1907 ein Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie, sowie 1909 eine ›Internationale Vereinigung für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie‹ begründet, während R. Stammler im Verein mit mehreren anderen seit Juli 1913 eine Zeitschrift für Rechtsphilosophie herausgibt.