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Für die Diktatur

Interview mit Georges Valois

I

Patriotismus! Sozialismus! Katholizismus! Das sind die drei Grundpfeiler, auf denen Georges Valois den Fascismus aufgebaut hat.

II

Fascismus bedeutet also in Frankreich – das lehrt ja ein Blick auf den mittleren Pfeiler – nicht ganz genau dasselbe wie in Italien (ganz abgesehen davon, daß er sehr viel weniger bedeutet). Valois selber hat im italienischen Fascismus einen militärisch aristokratischen und einen demokratisch produktiven Flügel unterschieden, und während er dem Unterredner einräumt, es sei der erste, der in Italien die Führung hat, wünscht er die nationale Erneuerung von Frankreich auf dem zweiten zu gründen. Im »Nouveau Siècle« – so heißt die Wochenzeitung, die unter der Redaktion von Jaques Arthuys von ihm herausgegeben wird – kann man sogar lesen, die Formel des neuen Staates zu finden sei der italienischen Diktatur ebensowenig gelungen wie der russischen. Anfänglich haben die nachbarlichen Relationen zwischen französischen und italienischen Schwarzhemden weniger Vorbehalte gekannt, und man weiß nicht, im Gefolge von welchen Umständen das ideologische Revirement erfolgte, das heute dem französischen Fascismus sein beklemmend harmloses Ansehen gibt. Immer wird man berücksichtigen, daß der italienische Fascismus in einer Epoche der aktuellen Klassenkämpfe entstanden ist, während die Bewegung um Valois nicht aktiv einer militanten Partei, sondern literarisch und kritisch dem Parlament gegenübersteht.

III

Bei alldem bleibt eines ganz sicher: diesseits und jenseits der ligurischen Alpen reklamiert sich der Fascismus vom Kriege. (Und wenn er sich auf diese Ebene einmal begibt, dann dürfte der von Valois immerhin besser als Mussolinis placiert sein.) Die »minorités agissantes« – eine Übersetzung des Wortes Miliz, in der das Französische seinen ganzen Esprit hat aufbieten müssen – sind in Valois' Sinne die Sieger der Marneschlacht; ihre Gesinnung, Forderung und Haltung sollen im revolutionären Staate maßgebend sein. Valois aber erklärt, nicht nur auf 1918, sondern auf 1792 zu fußen. (Ein sehr gebirgiger Sockel wie uns scheint, auf dem man ohne akrobatische Kunst schwer das Gleichgewicht halten kann.) Wie dem nun sei, der Fascismus erklärt, die letzte, die »phase ouvrière« der großen Revolution zu eröffnen. Die Menschenrechte wollen im Angesicht der großen Wirtschaftsmächte, der Trusts und der Konzerne, noch einmal proklamiert sein.

IV

Hier also klingt die süße Weise an, die vor bald einem Jahrzehnt zum Einzug der unfreiwilligen Gäste in Versailles gespielt ward und verklungen schien wie ein Gassenhauer. Und es gibt auch jenseits des Rheins noch Leute, denen sie sehr auf die Nerven geht. Das sind – zu schweigen von den Kommunisten – die Partisanen der »Action française«.1 Deren Erbitterung ist um so größer, als der sie heute spielt, vor wenigen Jahren noch einer von den ihren gewesen ist. Valois hat eine kurvenreiche politische Bahn beschrieben. Als Schüler von Sorel, dem großen, wahrhaft bedeutenden Theoretiker des Syndikalismus, ist er vom Sozialismus ausgegangen, der, nach der letzten europäischen Erfahrung zu schließen, für Fascistenführer die beste Pflanzschule ist. Unter dem Einfluß Sorels hat Valois sich mit sozialökonomischen Studien befaßt und ist gelegentlich einer ersten Revision seiner politischen Überzeugung als Spezialist für wirtschaftliche Fragen in die Redaktion der »Action française« eingetreten. Das war für ihn nur eine Etappe. Mit seinem Ausscheiden begann zwischen beiden Lagern, dem royalistischen und dem fascistischen, eine beispiellose Polemik, die nun nach mehr als einjähriger Dauer durch einen Prozeß zugunsten der »Faisceau« liquidiert worden ist. Da in Frankreich aber der Raum für Sekten schmal ist, werden die Gegner auch nach dieser Auseinandersetzung um jeden Zoll eines politischen Terrains, das abseits von den großen Schlachtfeldern gelegen ist, zu ringen haben. Und einem Publikum, das wie kaum ein anderes sich auf politischen Witz versteht, ist sein Spektakel noch auf lange hinaus gesichert.

V

Valois empfängt mich in seinem Salon Louis XVI im ersten Stock eines vornehmen Hauses im Panthéon. Es war, als ich ihn sprach, noch früh am Tage, so kam ich dazu, seiner Erledigung der Bureaugeschäfte beizuwohnen. Die Tugend des politischen Menschen, ein jedes Wort auf seinen Eindruck, jede Bewegung auf die Wirkung zu berechnen, besitzt der künftige Diktator in hohem Grade. Ein Diener, der ihm die Papiere zureicht, steht in seinem Rücken.

Und so, gestand ich mir, unterzeichnet nur einer, dem das Regieren zur zweiten Natur ward, wenn es nicht seine erste gewesen ist.

VI

Ich placiere meine Fragen nach Valois' Stellung zur Diktatur, denn hier erwartete ich den Schwerpunkt unseres Gespräches zu finden. Aber Valois ist ein Diplomat. Jene Nachprüfung der politischen Fundamente, in denen sich der Fascismus Valois' mit dem Mussolinis auseinandersetzte, ist dem Prestige des Diktaturbegriffs nicht zugute gekommen. Valois akzeptiert nur mit Vorbehalt Diktatur. Manchmal hat man den Eindruck, daß er weniger sich als seinen Hörern schmeichelt, sie umgehen zu können. Den reservierten Gedankengängen, die man nicht ohne langes Suchen im »Nouveau Siècle«, nicht ohne zu insistieren von Valois selbst zu hören bekommt, entnehmen wir, er sei sich der Gefahr dieses Regimentes bewußt: das Risiko, daß der Diktator die Kontrolle über sich selbst und seine Positionen verliert. Hier weist mein Unterredner einleuchtend darauf hin, die erbliche Monarchie, die nur in Ausnahmefällen bedeutende Männer an ihren leitenden Spitzen sieht, sei weniger prekär als Diktatur, deren Macht in den Händen des Stärksten liegt. Kurz: Diktatur ist Übergangserscheinung. Wozu? Zu einer revolutionären Staatsform; die Valois als international, als die einzige will gelten lassen, die den wirtschaftlichen Gewalten der Plutokratie gewachsen sei. Das Revolutionäre seiner Ziele unterstreicht er. Aber über die Technik des fascistischen Aufstandes etwas zu erfahren, ist schwierig. Und was zumal die Diktatur betrifft, so kann man über deren Apparat und Struktur nach Ansicht dieses Spezialisten prinzipiell nichts äußern.

VII

Im übrigen scheint Valois selbst sich weit von der exakten Theorie des Massenstreiks, mit der vor 20 Jahren sein Lehrer Sorel in jenen »Réflexions sur la violence« so blendend hervortrat, entfernt zu haben. Immerhin will auch er die Umwälzung als Massenbewegung. Und nun spielt auch bei ihm der Trick der unblutigen Revolutionen seine Rolle. Alle großen Umwälzungen der Nachkriegszeit sind als unblutige Revolutionen im Augenblick ihres Ausbruches proklamiert worden. Aber einige Wochen oder Monate später haben die Völker, welche ihre Schulden an dem Umsturz nicht bar haben zahlen wollen, mit Zins und Zinseszinsen sie begleichen müssen.

VIII

Während ich solchen Überlegungen im stillen nachhänge, fällt mein Blick auf einen Revolver, welchen mein Unterredner vor sich auf seinem Schreibtisch liegen hat. Das veranlaßt mich, ohne Exkurse mich um ein Resumée der Unterhaltung zu bemühen.

IX

Der neue Fascismus hat es gern, seine Bewegung mit dem Bolschewismus konfrontiert zu sehen, als dessen feindlichen Zwillingsbruder er sich bezeichnet. Auf diesen naheliegenden Gegenstand, den Bolschewismus, hatte ich die Rede nicht zu bringen gewagt. In Rußland macht man mit dem Vergleich dieser beiden Formen der Diktatur keine gute Erfahrung. Und in der Tat kann sie den kritischen Betrachter nicht allzu viel lehren. Denn auf dem Grund der Leninschen Lehre ruht nicht die Konzeption der Diktatur (die freilich, wo sie auftaucht, erheblich schärfer als der Fascismus umrissen scheint), sondern es ist bekanntlich der Klassenbegriff, auf dem der politische Bau des Marxismus fundiert ist. Für den Fascismus besteht die Klassenfrage letzten Endes genau so wenig wie für irgendeine der vielen anderen bourgeoisen Reform- oder Reaktionsströmungen. Valois' Staatsideal ist ein Zweikammersystem: aus direkten Wahlen soll sowohl die eigentlich gesetzgebende als auch eine repräsentative Versammlung hervorgehen. (Und wie immer, so ist es vielleicht auch hier Aufgabe der Diktatur, diese Wahlen zu machen.) Die Formel lautet: nicht Meinungen, sondern staatsbürgerliche Funktionen sollen vertreten werden. So zwar, daß beispielsweise Familienoberhäuptern das aktive Wahlrecht nach Maßgabe der Kinderzahl sich vergrößert. In einer entschlossenen Polemik gegen den überwundenen Parlamentarismus liegen die zeitgemäßen aktiven Elemente dieser Bewegung. Sie verbinden sich mit einem mystischen Zuge, einem mystischen Einschlag in das neue Wirken: Verwandlung der Rutenbündel in Bündel von Kräften. Aber die Schneiden der beiden Beile »Furcht« und »Gehorsam« stechen nur desto blanker hervor.



  1. Die von Léon Daudet und Charles Maurras geleitete Partei der Royalisten.