Zum Hauptinhalt springen

Möbel und Masken

Zur Ausstellung James Ensor bei Barbazanges, Paris

Jemand hat all sein Lebtag im Elternhause gewohnt. Das steht in Ostende. Es ist kein Bauernhaus und keine Villa, sondern ein Bau, der unten zu Verkaufszwecken eingerichtet, Bazar ist und oben die Wohnräume hat, wo dieser Mann haust.

Ein Freund von mir hat ihn im Krieg besucht. Er kam durch eine niedrige Galerie, in der es finsterer und finsterer wurde. Das war der Laden. »Andenken an Ostende« füllen ihn. Seesterne, präparierte Tiefseefische, Muscheln, Flaschen, in die man Schiffchen eingesiegelt hat, Tintenwischer in Form von Seerobben, Briefbeschwerer mit dem Kasino in einer Glaskugel und Federhalter, in denen durch ein Loch am obern Ende die Mole von Ostende zu sehen ist. Vor allem aber Masken, Masken, Masken. (Den magischen Charakter solcher Galerien hat Strindberg in den »Drangsalen des Lotsen« festgehalten.) Am Ende liegt die Treppe, die zu dem Erben heraufführt. Sein Zimmer hängt von oben bis unten voll mit Bildern.

Wie werden die aussehen, wenn er sie selber gemalt hat? Denn er ist Maler. Es ist die Behausung von Ensor. Von diesen Bildern, die als Darstellung seiner eigenen Umgebung das so schon unentrinnbare Milieu an seinen Zimmerwänden gräßlich verdoppeln, gibt die Gesamtausstellung einen Begriff, die jetzt bei Barbazanges, rue du Faubourg St. Honoré, veranstaltet und offiziell patronisiert wird.

Das Œuvre geht über eine Periode von annähernd fünfzig Jahren. Um die Jahrhundertwende zeigt es einen Bruch. Die Masken erscheinen. Vordem, seit 1880, malt er: das bürgerliche Interieur, Schnee, Kinder bei der Toilette, Stilleben, auf denen etwa Fische schon maskenhaft werden. Durch dicht verhangene Fenster bricht ein schwaches Licht ins Innere der chaotischen, mit Möbeln überfüllten Zimmer, in welchen wir wie in den Eingeweiden eines Reptils als Kinder oft am Ersticken waren. Diese Bilder sind teilweise von vollendeter Schönheit. Bis dann der Wahnsinn langsam Figur verliert und Gestalten erscheinen läßt. Die Paßhöhe zwischen den Ländern seiner Vision ist ein Bild »Le meuble hanté«. Ein Kind sitzt, ganz en face, vor einem aufgeschlagenen Buche an dem viel zu hohen Tisch. Daneben die häuslich beschäftigte Mutter. Aus dem Plafond, aus einem riesigen Büfett, unterm Tische hervor tauchen Masken. Das Kind starrt sprachlos, weitgeöffneten Auges, vor sich hin – nicht auf die Masken, die sein Blick ringsum erweckt, auch wenn es sie nicht sieht. Noch ist hier alles düster, in stumpfen Farben. Das Bild gleicht einer geisterhaften Intarsie.

Um 1900 hellt sich die Palette zu den schrillsten Tönen auf. Es kommen große explizite Schildereien, deren methodischer Wahnwitz an einen Wiertz denken macht: ein Selbstporträt, der Kopf des Künstlers, in einem unmöglichen rosa Wallensteinhut, von Maskenhäuptern in dichtem Kreise umstellt. Die Wohnung ist auf diesen neuen Bildern ganz verändert, von grellem Tageslichte erfüllt, in welchem Totenköpfe, Kobolde, Clowns hinter Masken aus allen Ecken hervorsehen und Tiere Schwanz und Schnabel durch die Dielen klemmen, als läge unter Ensors Zimmer (denn er hat kein Atelier) geradeswegs die Hölle von Hans Baldung Grien oder Hieronymus Bosch. Seine Palette aber desavouiert die Schattenwelt dieser verkrochenen Gebilde. Sie zieht das Licht der Sommersonne, reflektiert von einem unbewegten Meeresspiegel in eine Stube herab, wo der Greis es neben Mumien sich heimisch gemacht hat.